Familiärer Führungskräftemangel 

 29/01/2016

Keine Konsum-Debatten mit Kleinkindern führen.

Ich bin gefragt worden, ob ich meinen Post „Familiärer Führungskräftemangel“, der als Gastbeitrag auf dem „Wertvoll“-Blog erschienen war, noch einmal bringen könnte, weil der Link dorthin nicht mehr funktioniert. Sehr gerne. Hier ist er:
Mein Mann war neulich in einem Schuhladen und erlebte mit, wie Mutter und Oma mit einem knapp dreijährigen Mädchen Schuhe kauften. „Mäuschen, magst du lieber die Blauen mit der Schleife oder die Braunen mit den Strasssteinchen?“ –„Guck mal hier, Mäuschen, die gibt es auch noch mit Klettverschluss.“ – „Nein, jetzt komm mal weg von dem Karussell. Du darfst dir die schönsten Schuhe aussuchen. Oma will sie dir schenken.“
Mein Mann war ganz fertig von seinem Besuch im Schuhladen. „Die haben das Kind total überfordert.“
Es war ja gut gemeint. Oma wollte dem kleinen Mädchen eine Freude machen. Mama wollte vielleicht ihrer Mama eine Freude mit der Freude des Kindes machen. Kind wollte aber keine Schuh-Freude, sondern eine Karussell-Freude, wollte auf die kleine Bank klettern, mit beiden Händen die Stange in der Mitte greifen und sich damit in Schwung bringen.
IMG_1632
Das erlebe ich häufig, dass Eltern meinen, sie müssten langwierige Konsum-Debatten mit ihren Kleinst-Kindern führen. „Leon, mein Engel, möchtest du eine Laugenbrezel oder lieber ein Milchbrötchen? Möchtest du die Brezel lieber mit Salz oder mit Sesam? Soll dir die Frau die Brezel aufschneiden und Butter darauf schmieren?“ Hinter Frau und Buggy eine immer länger werdende Schlange. Füße werden gescharrt, Augen verdreht.
Ich war ja auch so.
Die persönliche Integrität meines Kindes, so ein zartes Pflänzchen, sollte sich frei entwickeln dürfen. So ließ ich Kronprinz (heute 18) auf jedes Mäuerchen klettern (was ich heute wieder machen würde) und ich führte öffentlich Milchbrötchen-Laugenstangen-Sesam-Debatten (was ich heute nicht mehr machen würde).
Heute weiß ich, dass man zwar kleine Kinder nicht herumkommandieren sollte, aber dass Eltern bereit sein müssen, sie zu führen. Diese Verantwortung habe ich häufig nicht übernommen. Und dieser Führungskräftemangel in der Familie führt zu Stress für alle Beteiligten.
Dazu braucht es aber nicht nur die Entscheidung: „Ja, ich bin hier die Chefin“, sondern auch ein Gespür für den Entwicklungsstand des Kindes. In welchem Alter kann es schon selber entscheiden und in welchem nicht? Leichter geschrieben als getan.
Der dänische Familien-Therapeut Jesper Juul nennt „drei Lebensbereiche, in denen Kinder von Anfang an persönliche Verantwortung übernehmen können:
Die Sinne:
* was gut und was nicht gut schmeckt
* was angenehm und weniger angenehm riecht
* was sich kalt oder warm anfühlt
Die Gefühle:
* Freude, Liebe, Freundschaft, Zorn, Frustration, Trauer, Schmerz, Lust
Die Bedürfnisse:
*  Hunger, Durst, Schlaf, Nähe, Distanz
(aus: Jesper Juul: Dein kompetentes Kind, Reinbek bei Hamburg 2010, Seite 152)
Ja, und was ist dann mit den Kindern im Schuhladen und in der Bäckerei?
Meine Meinung:
Beim Bäcker fragen, welches Brötchen das Kind möchte, aber nicht zu viel Zauber machen um Sesam oder Nicht-Sesam.
Im Schuhladen müssen die Erwachsenen entscheiden. Das kleine Mädchen weiß nichts über Schuhbett oder Preisleistungsverhältnisse. Es braucht die klare Ansage, dass es einmal kurz anprobieren muss und dann noch auf das Karussell darf.
Immer fröhlich als Eltern eine Führungskraft sein
Uta

  • Liebe Uta,
    vielen Dank, dass du den Beitrag noch einmal veröffentlicht hast.
    Das hat sich für mich auf jeden Fall gelohnt.
    Liebe Grüße
    Anja

  • {"email":"Email address invalid","url":"Website address invalid","required":"Required field missing"}

    Uta


    Ich arbeite als Eltern-Coach, Buchautorin und Journalistin, bin Ehefrau und Mama (ein Sohn, eine Tochter) und kann es nicht lassen, dem Familien-Glück auf die Spur zu kommen. Ich forsche in Büchern, spreche mit Experten und teste alle Erkenntnisse in der Praxis. Nur was mich überzeugt, weil es das Leben mit Kindern wirklich erfüllender macht, schafft es auf diese Seite.

    Deine, Uta

    >