Von der Leichtigkeit des Eltern-Seins 

 10/04/2013

Prinzessin (12) lag gestern morgen in ihrem Zimmer auf dem Boden und versuchte, Hotpants anzuziehen, die sie zuletzt getragen hat, als sie noch Zahnlücken hatte.
Sie nimmt in Mathe gerade Wahrscheinlichkeitsrechnung durch. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Knopf, der sich auch bei allem Ziehen und Zerren eine Handbreit entfernt vom Knopfloch befand, sein Ziel erreichen könnte, lag bei Null. Der Reißverschluss stand in einem Winkel von 90 Grad offen.
„Warte mal, daraus lässt sich eine lebensnahe Textaufgabe formulieren.“
„Mama“, ächzte Prinzessin, „hilf mir lieber.“
Wir schnitten bei einer aktuellen Jeans die Beine ab. Ich ging Brötchen aufbacken.
Wenig später auf der Treppe die Fohlenbeine.
Mehrere Stufen lang nur Beine, schwarz, lang, seidenmatt, … endlich fing die Hose an, war aber schnell zu Ende.
Ich schluckte.
Sieht es billig aus? Ist es zu sexy?
Was machen diese Beine mit der Konzentration des Referendars?
Der Backofen piepste.
„Hast du meinen Mathe-Zettel gesehen?“ Prinzessin hatte ihr schimmerndes Untergestell eingeklappt und wühlte in einem Stapel mit Schulsachen.
Ich? Was? Mathezettel?
Vor meinem geistigen Auge sah ich keine Zettel, ich sah andere Mütter tuscheln, sah die Schulleiterin mit der „Sitte“ telefonieren, den Hausmeister eine Plane vor das Kind halten.
Prinzessin hielt das warme Brötchen wie ein Vögelchen in beiden Händen und lächelte sonnig.
Ich lächelte zurück, sagte nichts.
War das Feigheit oder Mut? Verantwortungslosigkeit oder Vertrauen?
Sollte ich meine Tochter in Stil und Moral strenger unterweisen?
Als Prinzessin mittags zurück kehrte, trug sie eine petrolfarbene, lange Jeans.
„Ich habe mich in der ersten Pause umgezogen. Lina hatte noch eine Sporthose dabei und hat mir ihre Jeans gegeben.“-
„Hat denn jemand über dein Outfit gemeckert?“ –
„Nein, aber ich habe mich damit irgendwie nuttig gefühlt. Das ging gar nicht.“

*

Immer wieder erlebe ich es, dass ich gar nichts sagen muss, dass die Kinder ihre eigenen Erfahrungen machen und häufig daraus die Schlüsse ziehen, die ich mir innerlich wünsche. (Dabei könnte ich mit den Hotpants sogar gut leben. Solche Beine müssen gefeiert werden!)
Ich habe schon einmal geschrieben, dass das Buch „Unterstützen statt Erziehen“ meine Bibel im Umgang mit den Kindern ist. Manchmal lasse ich mich verunsichern, wenn ich andere Eltern erlebe, wie sie kämpfen, streiten, zwingen, sich abmühen, im Recht sein wollen.
Bin ich nur zu bequem oder zu schwach, um mich durchzusetzen?
Andere haben so viel Krieg zu Hause.
Sind der Soßenkönig und ich zu harmoniebedürftig, um schlechte Stimmung – vielleicht zum Wohl der Kinder – auszuhalten?
Eltern sollten sich nicht anbiedern. Sie sind nicht die Kumpel ihrer Kinder. Diese Kumpanei, die meine ich auch gar nicht.
Aber diese permanente Besserwisserei von Erwachsenen gegenüber Kindern, diese angebliche moralische Überlegenheit geht mir gehörig gegen den Strich.
Nur weil viele von uns resigniert haben und den Mut verloren haben, ihr Leben in vollen Zügen auszuschöpfen, halten wir die Kinder klein. Haben Sorge, dass die anderen Eltern schlecht von uns denken könnten. Haben Bedenken, welchen Eindruck der Lehrer von unserem Kind gewinnt. Haben Angst, unser Kind könnte mit seinem Eigensinn in dieser Gesellschaft nicht zurecht kommen.
Ja, darüber kann ich mich aufregen.
Aber dann weiß ich, dass ich meinen Weg weiter gehen möchte.

Erziehen darf leicht sein. 
 
Leben darf leicht sein. 

 
 

Weg mit der Angst!
Habt eine größere Vision von eurem Kind als es selber hat.*
Bleibt immer schön fröhlich, haltet viel häufiger den Mund, lasst die Liebe fließen und macht es euch nicht künstlich schwer
Uta
* nach den Coaches Maria und Stephan Craemer

  • Liebe Uta,
    da hast Du mir aber eben wieder aus der Seele geschrieben. Meine großen Mädchen sind ja schon älter , 18 und 16, insofern habe ich das Erlebnis mit den HotPans schon hinter mir. Ich kämpfe hier auch gegen die Windmühlenflügel etlicher Eltern, die solche Dinge nicht als das sehen, was sie sind. Ideen und Ausprobieren auf dem Weg zu sich selbst.
    Lieben Gruß
    Susanne

  • Liebe Ute,
    danke mal wieder für diesen Post!
    Also bei mir geht es immer so:

    lachen
    nicken
    verschämt gucken
    nicken
    lachen
    und zum Schluß freuen, dass es solche Menschen wie dich gibt!

    Liebe Grüße von Jenny

  • Dieser Artikel tut gut, man könnte ihn „Unterstützen statt schlechtes Gewissen machen“ nennen. Immer wieder mal hatte ich im Laufe der Jahre Zweifel, ob ich nicht zu lasch erziehe, ob ich nicht mehr von meinen Kindern „fordern“ sollte, aus Prinzip, damit sie dies und jenes „fürs Leben“ lernen (angefangen bei der Hilfe im Haus bis hin zum Erlernen eines Musikinstrumentes). Meist ergaben sich die Dinge so irgendwie. Selten war ich streng (dann ging es wohl nicht anders). In manchem hätte ich wohl konsequenter sein müssen… Aber dann ergibt sich auf einmal ein Dialog wie z.B. gestern abend, als Sohn 2 (18 J.) mich um Geld und Auto bat, damit er einkaufen und für seine Freunde/in kochen könne: „Macht es euch was aus, wenn wir das Esszimmer belegen?“ – „Nö, ich finde es toll, dass ihr zusammen kocht.“ – „Gut. Sag mal – liegt das eigentlich daran, dass wir so ein geiles Haus haben, oder seid ihr einfach so geile Eltern?“ – „Hä? Was liegt daran…?“ – „Na, dass alle immer zu uns kommen, viel öfter als wir zu denen!“ – “ 🙂 Öh…vielleicht an beidem… :-)?“ – „Wahrscheinlich.“
    Da hab ich mich gefreut…

  • Hihi! Aber die Sorgen um die Konzentration des Referendars sind doch berechtigt ;-).
    Und die Vorstellung, dass der Hausmeister eine Plane vor’s Kind hält, das ist ganz großes Kopfkino!
    Vielen Dank für Dein Plädoyer der Leichtigkeit.
    M.

  • Danke für diesen Beitrag.
    Ich frage mich dasselbe auch sehr oft, mache vieles ähnlich wie Du und meine Kids kommen bis jetzt sehr richtig 🙂
    Es tut so gut, zu lesen, dass es Menschen gibt, die gleich denken wie ich.

  • Ich lese und liebe alle deine Beiträge und da ich meist einfach nichts mehr hinzuzufügen habe weil sie so toll sind, möchte hier nun einfach mal ein pauschales Dankeschön und Lob aussprechen! Es lebe die Leichtigkeit!
    Sei ganz lieb gegrüßt,
    Dani

  • Ich verfolge diesen Blog er seit Kurzem: danke. Danke für’s Wachrütteln, danke für tolle Buchtipps, danke für’s Schmunzeln und danke für neue Wege und danke für die paar Minuten entspannte Auszeit.

  • Ich kann Deine Bedenken anfangs gut verstehen… Wir habe im moment ähnliche „Probleme“. Unsere Große verkündete neulich sie hätte jetzt ihren eigenen „Style“ gefunden. Was sie anhatte sah sogar wirklich gut aus, hob sich aber sehr von den Outfits ihrer Freundinnen ab. Also war unsere „Designerin“ nicht sicher ob sie die Sachen auch in der Schule anziehen sollte. Am Ende hat ihr Selbstbewußtsein gesiegt. „Ich fühle mich wohl in den Sachen und ich muß ja nicht das anziehen, was alle anderen anziehen!“ waren ihre Worte.
    Da war ich auch sehr stolz auf ihr Selbstbewußtsein, auch wenn es „nur“ um Äußeres geht. Aber irgendwo fängt es ja an.
    Manchmal müssen wir uns dran erinnern, dass wir unseren Kindern vertrauen können.
    Danke für Deinen Blog!

  • Gestern morgen (Anna10) wollte partout einen rEgenschirm mit in die Schule nehmen, der Vater rebellierte, fand Regenschirme auf dem Schulhof gefährlich.Ende vom lied–Anna heulte und zog wütend ab. Der Gatte und ich hatten darauf einen Disput über das Thema „wieviel Freiheit darf sein“
    Eine Kleinigkeit bei Hotpants sind wir noch nicht, ehr bei ungekämmten Haaren und verschiedenen Socken….Schön deinen Blog gefunden zu haben und danke für diesen aufmunternden Beitrag:)

  • Ha, Danke! Gerade diese Tage schleppe ich mich mit einem Spruch meiner Mutter zu meinem allesgeliebtesten Hobby als Teeny herum. Ich war begeisterte Reiterin und meine Mutter sagt:“Das läuft sich doch tot!“ – sie meinte, wenn ich Familie und Haus möchte, kann ich mir ein Pferd abschminken. Ich habs dann tatsächlich mit 20 resigniert sausen lassen, anstatt zu tun was ich mir immer vorgenommen hatte: Ein Pferd kaufen.
    Letztes Wochenende haben meine beiden Kinder ein Pferd einer Bekannten geritten (ich habe geführt, die Tochter ist 2,5 und der Sohn 6). Diese Augen von uns dreien, dieses Lachen auf den Fotos. Mir ging es supergut danach – ich vermisse es immer noch. Jep, ich werde wieder Reitstunden nehmen. Vielleicht, ganz vielleicht reitet ja mit Glück mal eines der Kinder und wir beschließen uns ein eigenes zu kaufen, oder ich nehme wenigstens eine Reitbeteiligung.

    Tsss – läuft sich tot! (zu meinen Blumenkindern hat sie Staubfänger gesagt, ist aber jedesmal begeistert – Mütter!)
    Äh, das Einzige wo ich froh war, dass eine Mutter ihre Kinder beim Ausprobieren wieder rigoros eingefangen hat, war als die Nachbarjungs mit Federballschlägern Kirschen auf unser neugestrichenes Haus gefeuert haben. Wir haben sie putzen lassen.;-)

    Ganz federleichte Grüße LOLO

  • Liebe Uta,
    vielen Dank. Deine Beiträge kommen immer zur rechten Zeit. Ich habe doch gerade wieder kurz gezweifelt: mein Sechsjähriger hat gestern an unserer recht familiär und somit vertraut gehaltenen Geburtstagstafel (außer meinen 4 Kindern noch meine Eltern und mein Bruder mit den beiden Töchtern seiner Freundin) lautstark einen fahren lassen. Nach großem Gelächter aller Kinder legte sich dann auch noch eine etwas unappetitliche Wolke über die Tafel. Ich hatte meinen Sohn nicht zurechtgewiesen, sondern dachte mir, „kann man auch nicht mehr ändern“. Und irgendwie fand ich es auch lustig, wie einfach man die Stimmung heben kann. Die Gesichter der Erwachsenen verfinsterten sich jetzt jedoch und ich bekam böse Blicke zugesandt. Mein Bruder meinte nun, erzieherisch tätig werden zu müssen (wenn ich das schon nicht mache): „M.! Du bist ein Schwein!“ Jetzt bekam er einen bösen Blick von mir! Nachdem meine Kinder alle noch kauend von der Tafel aufgesprungen waren und die beiden ausgeborgten Kinder meines Bruders (3 und 5) vorsichtig nacheinander gefragt hatten: „Darf ich bitte aufstehen?“ wurde auf mich „eingeprügelt!“ Was ist das für ein Benehmen? Ich lasse zu viel durchgehen, bin zu inkonsequent, der Junge hätte mal kurz vor die Tür gemusst …. 🙁 Und natürlich habe ich verpasst sie dazu zu erziehen, dass sie am Tisch bleiben, bis sie gehen dürfen. Häh? Ey, ich bin größtenteils alleinerziehend! Wir kämpfen teilweise ums blanke Überleben! Was soll ich mich mit solchen Oberflächlichkeiten abgeben und meine knappe Zeit mit Moralpredigten und Streit verbringen (den gibt es trotzdem noch genug)? Denn: alle sehen wieder mal nur eine Momentaufnahme. Denn: wenn die Atmosphäre am Tisch gut ist, bleiben meine Kinder auch sitzen! Von sich aus – und nicht, weil sie dressiert wurden. Und was bitte ist so schlimm daran, wenn ein Sechsjähriger seine Luft aus dem Bauch lässt? (zumal das bei uns wirklich nicht üblich ist)
    Dein Beitrag hat mich nun wieder runter geholt und ich kann nun wieder nachts schlafen mit dem Wissen, dass meine Kinder zwar unerzogen, aber keine schlechten Menschen sind. Und vor allem, dass ich keine schlechte Mutter bin! Nochmals danke!
    Liebe Grüße!
    Jenny
    (PS: Mit dem Katzenklo-Label ist irgendwas schief gegangen. Das ist bis heute nicht angekommen. Hattest du meine Mail mit der Adresse damals bekommen?)

    • Ich hatte obigen Kommentar aus Versehen zweimal veröffentlicht.

      Das Katzenlabel schicke ich noch einmal los. Kannst Du mir noch einmal die Adresse schicken, vielleicht war ein Fehler darin?

      Danke für den tollen Kommentar mit eigener Geschichte.

      Liebe Grüße

      Uta

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    Uta


    Ich arbeite als Eltern-Coach, Buchautorin und Journalistin, bin Ehefrau und Mama (ein Sohn, eine Tochter) und kann es nicht lassen, dem Familien-Glück auf die Spur zu kommen. Ich forsche in Büchern, spreche mit Experten und teste alle Erkenntnisse in der Praxis. Nur was mich überzeugt, weil es das Leben mit Kindern wirklich erfüllender macht, schafft es auf diese Seite.

    Deine, Uta

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