In dem Post „Der Elternautomat“ habe ich einmal dieses Zitat gebracht:

„Es gibt einen Raum zwischen Reiz und Reaktion.“
 
Diesen Satz entdeckte Stephen R. Covey, als er als Student in der Bibliothek in einem Buch blätterte, und der ihn wie ein Blitz traf. In seinem Hörbuch „Der Weg zum Wesentlichen“ beschreibt Covey, wie bedeutsam der Satz in seinem Leben geworden ist.
Im Umgang mit den Kindern ist mir der Raum zwischen Reiz und Reaktion auch sehr wichtig.
Als meine Eltern im vergangenen Sommer zu Besuch waren, saßen wir auf der Terrasse bei Kaffee und Kuchen. Ich brachte noch Zucker und Milch hinaus und fand an der Tafel nur noch einen Platz in der prallen Sonne, während seine Durchlaucht, der Kronprinz (da noch 15), unter dem großen Schirm im Schatten trohnte.
Unmut regte sich über den Kuchenstreuseln.
Meinen Eltern war anzusehen, dass sie vom Prinzen einen Platztausch erwarteten. Und meine Schwester fing an, ihren Sohn zu bearbeiten, damit er seinen Schattenplatz für die Tante räume.
Meine erste Reaktion war Unwohlsein.
Wenn der eigene Sohn paschamäßig im Schattenwurf des Schirmes sitzt und keine Anzeichen macht, auf den sozialen Druck von allen Seiten der Kaffeetafel zu reagieren, fällt zwar weiterhin viel Sonne auf Mutter, aber kein gutes Licht auf mich als Elterntrainerin.
Zum Glück hielt ich dieses kleine Unwohlsein aus (= Raum).
Der Wunsch, mein Sohn möge sich als höflich erweisen und ich würde als Tochter und Schwester dafür Anerkennung bekommen (=Reiz), wurde von mir ausgesessen (= Raum).

So hatte ich Zeit zu spüren, dass die Sonne mir tatsächlich wohl tat und ich gar nicht mit den halbwüchsigen Schattenmännern tauschen wollte, und bestand schließlich darauf, dass Sohn und Neffe  sitzen blieben (= Reaktion).

Mit Prinzessin und Kronprinz auf dem Dach des Gasometer in Oberhausen.
Berufs- und persönlichkeitsbedingt habe ich noch weiter drüber nachgedacht.
War ich wieder zu nachgiebig?
Hat Kronprinz vielleicht zu wenig Empathie?
Die Fragen beantworteten sich wenig später von selbst.
Als Kronprinz und ich am Abend über seine Pläne für das Wochenende sprachen, meinte er plötzlich:
„Ach, da hast du doch den Termin, auf den du dich so freust.“
Tage war es her, dass ich den Termin erwähnt hatte, deshalb war ich so beglückt, dass er sich daran erinnerte, meine Gefühle wahr genommen hatte und auf meine Pläne Rücksicht nahm.

Und mir wurde wieder klar,

  • dass entscheidend ist, wie wir mit einander sind (Jesper Juul), diese Stimmung erzieht, nicht die Einzelmaßnahme.
  • dass wir mit unseren Kindern manchmal Dressurnummern vorführen, um als Eltern besser da zu stehen
  • dass es immer wieder hilft, inne zu halten und einen Raum zu lassen, zwischen dem ersten Reiz und der Reaktion
Immer fröhlich den Schattenmännern vertrauen. In ihnen ist so viel Licht!

Eure Uta

  • Danke!!!!
    Du hast in Worte gefasst, woran ich seit einiger Zeit arbeite. Der „Raum“ ist so wichtig, egal man auf die Kinder, den Partner oder den Postboten reagiert bzw. es lässt.

    Zum Thema Dressur:
    Letzte Woche war ich mit den Kindern (2 und 5) beim Arzt. Das kleine Kind wollte sich nicht den Body ausziehen lassen. Also habe ich die Ärztin gefragt, ob sie mit dem Stethoskop auch von oben in den Ausschnitt gehen könne. Sie zog die Augenbrauen hoch und verneinte. Gut, also habe ich das Kind sanft, aber bestimmt dazu gebracht, sich von mir ausziehen zu lassen.
    Ich finde es nämlich wichtig, dass meine Kinder lernen, ihren Körper zu schützen und selbst zu bestimmen, was ihnen recht ist und was nicht. Und dass es erlaubt ist, nachzufragen oder Alternativen vorzuschlagen.
    Dann beim Anziehen habe ich die Pullis verwechselt und das große Kind schrie empört auf, das sei sein Pulli. Ich habe mich entschuldigt und den Fehler korrigiert. Es war doch auch mein Fehler und wir erziehen die Kinder, das Eigentum anderer zu respektieren. Okay, das Kind hätte mich freundlicher darauf hinweisen können anstatt gleich loszuschreien. Aber das sind Feinheiten, die es noch lernen wird.
    Die Ärztin: „Na, ihr habt eure Mama ja ganz schön im Griff!“ Wieder mit hochgezogenen Augenbrauen.

    Mag sein, dass sie da von mir eine Dressurnummer erwartet hätte. Aber tut mir leid, ich will das nicht mehr. Und mir ist es egal, was sie von mir denkt. Sie kennt nur diese Momentaufnahme von uns. Sie sieht nicht, dass wir alle aufeinander Rücksicht nehmen, auch die Kinder gegenseitig und die Kinder auf die Eltern.

    Außerdem ist „Choose your battles“ eins meiner Prinzipien. Von mir aus können die Kinder ihre Socken auf links oder zwei verschiedene oder in üblen Farbkombinationen anziehen. Ich bestimme nur, dass überhaupt Socken angezogen werden. Ich muss eh schon so viel bestimmen: Dass die Kinder morgens aufstehen, sich anziehen und zur Kita gehen, dass sie an der Hand gehen und nur bei grün die Straße überqueren, dass sie sich nicht gegenseitig wehtun und das Eigentum des anderen respektieren usw.
    Wenn ich nur um die wichtigen Dinge kämpfe, nehmen mich die Kinder auch ernst.

    Ich habe auf den Kommentar der Ärztin gar nicht reagiert. Unser Gesamteindruck scheint ein guter zu sein, so oft wie wir – teilweise von wildfremden Leuten – gelobt werden. Die Kinder fragen höflich, wenn sie etwas möchten. Sie bedanken sich brav. Sie putzen die Schuhe ab, bevor sie ein Haus betreten. Sie waschen sich die Hände nach dem Klo und vor dem Essen. Ich denke, wir sind auf dem richtigen Weg.

    Hups, jetzt habe ich mal wieder viel mehr geschrieben als geplant. Es ist aber auch ein wichtiges Thema. Danke dafür!

    Liebe Grüße,
    Henriette

    • Liebe Henriette, „Choose your battles“ finde ich ein tolles Motto, muss ich mir merken. Als der Kronprinz 5 war, musste ich mal mit ihm in die Notaufnahme. Prinzessin saß auf der Hüfte. Wir waren alle total fertig, weil alle krank und mein Mann seit Tagen auf Dienstreise. Und dann faltet mich der Arzt zusammen, weil der Prinz nicht den Mund aufmachen wollte. Das kann man dann wirklich nicht gebrauchen. Wenn Außenstehende meinen, sie müssten Erziehung bewerten, halte ich das immer für ganz problematisch. Danke für deinen Kommentar! LG Uta

    • Oh Gott- ich darf gar nicht an die Besuche mit meine Tochter(demnächst 4)bei der KiÄ denken-seit Anfang an eine Qual- sie haßt es, von Fremden bequatscht und angefaßt zu sein- kann ich gut verstehn-geht mir ebenso…allerdings frustriert mich das Verhalten der Ärztin dann immer mit- wieso darf ein Kind nicht deutlich sagen und einfordern dass es seine Grenze nicht überschritten haben will- zumal bei etwas so Unsinnigem wie diesen U´s?Wenn sie krank ist, läßt sie sich abhören usw-dann ist für sie ok wenn ein fremder Mensch in den geschützen Raum eindringt…hm…
      Lg Ines

  • Richtig gut finde ich wieder ueber was du mit uns nachdenkst. Danke!
    Mein lieber Mann hat auch schon ausserhalb von der eigenen Familie Spannungen ueberbrueckt indem er sie „ausgesessen“ hat. Das klingt erst mal sehr passiv. Aber es war eine bewusste und gute Enscheidung und die Dinge haben sich dann wieder geordnet. Im „Raum“ zu sein ist nicht immer gerade angenehm, sicher. Aber es laesst auch Raum zum Nachdenken. Herzliche Gruesse
    Luise

  • „…dass wir mit unseren Kindern manchmal Dressurnummern vorführen, um als Eltern besser da zu stehen“… Gerade das ist mir in den letzten Tagen auch mehrfach aufgefallen – an anderen, sowie an mir selbst. Ich hoffe, ich werde besser darin, diesem Drang zu widerstehen 🙂
    Danke für den schönen Beitrag,
    Josy

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    Uta


    Ich arbeite als Eltern-Coach, Buchautorin und Journalistin, bin Ehefrau und Mama (ein Sohn, eine Tochter) und kann es nicht lassen, dem Familien-Glück auf die Spur zu kommen. Ich forsche in Büchern, spreche mit Experten und teste alle Erkenntnisse in der Praxis. Nur was mich überzeugt, weil es das Leben mit Kindern wirklich erfüllender macht, schafft es auf diese Seite.

    Deine, Uta

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