Das Kind liebevoll ins Bett bringen 

 16/09/2025

Interview mit der Schlaf-Expertin und Ärztin Daniela Dotzauer

Meine Nichte, Mama einer fast zweieinhalbjährigen Tochter, hatte mir begeistert von einem Online-Baby-Schlaf-Kurs berichtet. Seither klappt das Zu-Bett-Bringen am Abend viel besser und die jungen Eltern werden auch nachts nur noch selten von der Kleinen geweckt. Den Kurs hat Daniela Dotzauer gegeben. Sie ist eine Koryphäe zum Thema "Babyschlaf". Im Sommer habe ich ein Interview mit Daniela Dotzauer für eine Zeitung geführt, das ich hier mit euch teilen möchte. 

Daniela Dotzauer hat schon Hunderte von Babys zum Schlafen gebracht. Denn für ihre Doktorarbeit über "otoakustische Emissionen im Vergleich zur Hirnstammaudiometrie", brauchte sie schlafende Säuglinge, um ihre Untersuchungen vornehmen zu können. Große Lehrmeister waren nicht nur diese Babys, sondern auch ihre eigenen Kinder.

Dotzauer arbeitete am Kinderzentrum München in der renommierten „Münchener Sprechstunde für Schreibabys“ und blickt auf eine 30jährige Erfahrung in der Kinderheilkunde zurück. Heute berät sie Eltern online zu allen Themen der frühen Kindheit, aber ganz besonders zum Thema Baby- und Kinderschlaf. 

Uta: Viele Eltern fürchten den Abend. Ein Horror die Vorstellung, dass es wieder Stunden dauern wird, bis ihr Kleinkind endlich in den Schlaf gefunden hat. Woran liegt es, dass das bei vielen ein so großes Problem ist?

Daniela Dotzauer: Es gibt viele Mythen, Missverständnisse und Unklarheiten zum Thema Kinderschlaf. In meiner Beratung stoße ich immer wieder darauf, dass Eltern ihren Kleinkindern maximale Geborgenheit durch Streicheln, Handhalten oder Danebenliegen vermitteln wollen. Das so einschlafende Kind bemerkt zunächst das Wegschleichen des Elternteils nicht, erlebt aber beim nächtlichen Erwachen, dass durch den Schlaf wieder einmal Mama oder Papa abhanden gekommen ist. Nächstes Mal muss besser aufgepasst werden. So entsteht das gegenseitige Belauern, ein langer und quälender Prozess. Die Eltern lauern darauf, dass sie sich raus schleichen können, während das Kind sich krampfhaft wach hält, um genau dies zu verhindern. Man erreicht also genau das Gegenteil von dem, was man sich wünscht, nämlich dass das Kind entspannt und glücklich einschlummert. Das gegenseitige Lauern macht es zu einem langen und quälenden Prozess. Und erst bei maximaler Übermüdung fällt das Kind irgendwann in den Schlaf.

Uta: Das klingt nicht nach einem entspannten Abend-Ritual.

Daniela Dotzauer: Nein, überhaupt nicht. Häufig sind die Eltern mit ihren Nerven am Ende und gehen daher den Weg des geringsten Widerstands. Das bedeutet, die Eltern übernehmen den kompletten Beruhigungs- und Einschlaf-Job für ihre Kinder. Das wird zur Gewohnheit. Die Kinder ihrerseits lernen dadurch keine eigenen Einschlaf-Strategien (zum Beispiel das selbständige Nutzen des Schnullers oder des Kuscheltieres) und sind beim nächtlichen Erwachen hilflos. Die größte Unklarheit besteht darin, dass viele Eltern ihre Kinder am Abend gerne in den Schlaf begleiten, aber in der Nacht nicht mit dem regelmäßigen Erwachen rechnen und erwarten, dass das Wiedereinschlafen in der Nacht ohne ihr Zutun gelingen sollte.
Dem ist nicht so. Denn jeder möchte so aufwachen, wie er eingeschlafen ist. Und so werden die müden Eltern um erneute nächtliche Hilfestellung gebeten.

Uta: Es spricht aber doch nichts dagegen, wenn das Kind nachts ins Elternschlafzimmer kommt und dort weiterschläft, oder?

Daniela Dotzauer: Nein, da spricht überhaupt nichts dagegen. Kinder sollen immer zu den Eltern kommen dürfen oder gleich im Elternzimmer schlafen. Gleichzeitig ist es für das heranwachsende Kind gut, wenn es weiß, wie es selbstständig in den Schlaf findet und auch die Nacht meistern kann, egal wo es schläft. Gelingt das nicht, kann der Schlafbesuch bei einer Freundin, die Kita-Übernachtung oder die Lesenacht in der Grundschule zum Problem werden. Das Kind wird sich dann selbst von altersgemäßen Erfahrungen abschneiden.

Uta: Was empfehlen Sie stattdessen, um zum Beispiel ein dreijähriges Kind liebevoll zu Bett zu bringen?

Daniela Dotzauer: Hilfreich ist es, wenn Eltern am Abend die Führung übernehmen und eine sinnvolle Abendroutine gestalten.

  1. Durch ein frühes Abendessen entsteht noch Raum für 
  2. eine schöne gemeinsame Spielzeit.
  3. Nach Waschen und Zähneputzen  findet die Einschlafroutine in dem Zimmer statt, in dem das Kind schlafen soll.
  4. Damit das Kind seine Müdigkeit auch spüren kann, kommt jetzt die Bilderbuch-Zeit: Mit dem Kind auf dem Schoß oder im Arm liegend ist Einsatz von Mama und Papa gefragt. Mit verschiedenen Stimmen lesen und viel Gefühl, das hält das Kind bei der Stange. Das Kuscheltier ist natürlich dabei und das Elternteil achtet auf die Müdigkeitssignale des Kindes.
  5. Zeigt sich das Kind müde, beginnt das, was ich „Herzenszeit“ nenne: sich nochmal mit dem Kind verbinden, in den Arm nehmen, intensives Kuscheln, über den Tag sprechen, sich zusammen daran erinnern, was besonders schön war heute, und dem Kind sagen, wie lieb man es hat und wie stolz man auf es ist. 
  6. Ein letztes Lied und eine Verabschiedung zur „guten Nacht“, denn jetzt beginnt die Schlafenszeit.
  7. Und wenn das Kind noch nicht daran gewöhnt ist, selbstständig einzuschlafen, sich mit etwas Abstand neben das Kind legen (mit einer kleinen räumlichen Trennung, zum Beispiel einer „Bettschlange“ zwischen dem Erwachsenen und dem Kind oder einer eigenen Matratze neben dem Kinderbett.)
  8. So bleibt Mama oder Papa noch neben dem Kind liegen, dreht sich aber auf die andere Seite und simuliert ein kleines Schnarchen. Warum? Weil dadurch das Kind die Möglichkeit erhält, eigene Einschlafstrategien zu entdecken und einzuüben. Selbstständig, aber nicht alleine!
  9. Gibt es Protest, wird gut zugeredet und weitergeschlafen. Ein schlafendes Elternteil ist maximal langweilig und es ist unlukrativ für das Kind, sich wach zu halten. Der Erwachsene ist zwar noch im Raum, steht dem Kind aber nicht mehr zur Regulation zur Verfügung. Er oder sie bleibt im „Fake“-Schlaf neben dem Kind, bis es eingeschlafen ist.

Uta: Und das funktioniert?

Daniela Dotzauer: In der Regel ja. Natürlich ist das jetzt sehr schematisch dargestellt. In meiner Beratung dagegen gehe ich individuell auf jedes Kind und die Familiensituation ein. Besonders das Alter des Kindes spielt bei der Einschlaf-Begleitung eine entscheidende Rolle. Aber durch den skizzierten Ablauf bekommt man eine Vorstellung von dem, was ich empfehle. Und nach ein paar Abenden wird das in der Regel zügig klappen.

Uta: Das ist aber auch ein aufwändiges Programm.

Daniela Dotzauer: Auf den ersten Blick vielleicht, aber durch diese Struktur ist es für alle viel schöner, vorhersehbarer, funktionaler und zügiger, als wenn die Kinder mehrfach wieder aufdrehen, um den Schlaf zu vermeiden. Dank der beschriebenen Abendroutine werden die Kinder schlafbereit. Alle Bedürfnisse sind erfüllt und sie freuen sich auf diese gemeinsame Zeit. Sie machen gerne mit, arbeiten nicht dagegen. Diese „Herzenszeit“ ist für mich die wichtigste Zeit des Tages. Wir sprechen über das, was heute schön war, wir versichern uns unserer Liebe, verabschieden uns zusammen vom Tag und dann kann sich das Kind ohne Angst dem Schlaf überlassen. Dank dieser Sicherheit ist es auch kein Problem wenn es nachts mal aufwacht. Es kann sich sein Schnuffeltuch oder Kuscheltier nehmen und sich selbst beruhigen oder - wenn es im Zimmer der Eltern schläft – erhält es eine soziale Rückversicherung: „alles ist gut“ oder häufig reicht es schon, wenn Mama oder Papa mit den Schlafgeräuschen signalisiert „wir sind da, keine Sorge“.

Uta:  Sie sagen „Wenn es im Schlafzimmer der Eltern schläft“. Also haben Sie nichts gegen ein Familienschlafzimmer oder ein Familienbett?

Daniela Dotzauer: Das können Eltern so handhaben, wie sie sich wohlfühlen. Mir ist nur wichtig, dass sie verstehen: auch im Familienbett ist jeder für seinen eigenen Schlaf zuständig. Der Säugling bekommt dort sein eigenes Nest oder ein Beistell-Bettchen zum großen Bett. Das größere Kind findet es bequem auf dem eigenen Kopfkissen. Und eine „Bettschlange“ schenkt ihm Halt und Begrenzung. Geborgenheit ist ein innerer Ort und das unumstößliche Wissen des Kindes um Verbundenheit mit dem Elternteil. Es sollte nicht auf ein Körperteil z.B. Mamas Oberarm konditioniert werden. Schon aus dem Grund, dass ich Mamas Arm nicht mit zum Übernachten bei Oma oder ins Landschulheim mitnehmen kann. 

Uta: Okay. Das mit dem Landschulheim und der Kita-Übernachtung ist ein Argument. Aber ist es nicht wunderbar, dass kleine Kinder heute mit so viel Nähe aufwachsen  und jemand bei ihnen bleibt, bis sie fest eingeschlafen sind? So entsteht eine sichere Bindung oder nicht? 

Daniela Dotzauer: Ja, die Nähe zu den Eltern und deren Co-Regulation ist wichtig, sicherheitsspendend und unverzichtbar für guten Schlaf. Diese Co-Regulation der Eltern kann sich an das Alter des Kindes anpassen. Bindung zwischen Eltern und Kind entsteht nicht dadurch, dass das Kind am oder auf dem Körper der Eltern schläft, sondern durch seine wiederkehrenden Erfahrungen mit den Bezugspersonen den ganzen Tag über. Ich fühle mich als kleiner Mensch geborgen, wenn ich sicher weiß: Ich bekomme immer Hilfe, wenn ich sie brauche. Ich kann mich auf meine Eltern verlassen, daraus entsteht Bindung, mit Bezugspersonen, die für das Kind zeitlich und emotional verfügbar sind. 

Bei Trennungssituationen ist es besonders wichtig, klar und verlässlich zu bleiben und sich nicht einfach wegzuschleichen. In der Herzenszeit vor dem Einschlafen kann das Elternteil sich noch einmal mit seinem Kind verbinden, Sicherheit vermitteln und sich für die Nacht verabschieden, jeden Abend aufs Neue. So entsteht kein Betrugsszenario und es reift die Gewissheit beim Kind, es kann sich auf mich verlassen, unabhängig davon, wo ich gerade bin, auch nachts, wenn sich Unsicherheiten einschleichen, ich kümmere mich immer.
Das Einschlafen ist eine komplexe Körperfunktion und von vielen verschiedenen Faktoren abhängig. Das heranwachsende Kind kann lernen, es schrittweise selbst zu beherrschen, statt von der Regulation der Eltern abhängig zu bleiben.

Uta: Nur was ist, wenn das Kind Angst vor Monstern unter dem Bett oder Gespenstern hinter dem Vorhang hat? 

Daniela Dotzauer: Ich hatte neulich eine Mutter in der Beratung, die ihrer fünfjährigen Tochter versprochen hatte, alle zehn Minuten ins Zimmer zu kommen, um nachzuschauen, ob wirklich keine Monster unter dem Bett lauern. So ging das den ganzen Abend. Diesem Überwachungswunsch nachzukommen, ist der Weg des geringsten Widerstands, erhält aber Ängste des Kindes aufrecht. Die Mutter bestätigt damit eine potentielle Gefahr. Es gibt aber keine Monster. Sollte ich als Erwachsener daran auch nur den geringsten Zweifel aufkommen lassen, verliert das Kind seinen Halt. Denn als Eltern, sind die „Sicherheitsbeauftragten“ und kennen die Welt. Eine Mutter, die ständig zum Monster-Check kommt, bestätigt das unsichere Kind. Es fragt es sich: „Ist die Welt wirklich sicher? Selbst Mama hat offenbar Zweifel.“

Uta: Die Haltung und das Stress-Level der Eltern spielen also auch eine wichtige Rolle?

Daniela Dotzauer: Oft wird Verantwortung an die Kinder abgegeben und mit einer Sehnsucht nach Zustimmung kommt es zu vielen Fragen. „Möchtest du jetzt Schlafen gehen?“, „Soll Mama, Papa oder lieber Oma dich ins Bett bringen?“ Und „Soll das Schlummerlicht an oder aus sein?“ Die vielen Fragen überfordern und verunsichern die Kinder. Wenn Eltern jedoch klar auftreten und Führung übernehmen und entspannt in die „Herzenszeit“ am Abend gehen, fühlt sich das Kind wohl, sicher und geborgen. Es kann leichter loslassen und friedlich einschlafen. Dann geht es am Ende des Tages auch nicht um bloßen Körperkontakt, sondern um die Botschaft von Seele zu Seele.

Vielen Dank für das Gespräch, liebe Frau Dotzauer!

Wie klappt das bei euch mit dem Zu-Bett-Bringen? Was sind eure liebsten Rituale? Und könnt ihr nachempfinden, dass Daniela Dotzauer empfiehlt, das Kind nicht auf Körperkontakt beim Einschlafen zu konditionieren?

Ich freue mich über Kommentare!

Immer fröhlich bleiben,

Eure Uta 

  • Liebe Uta,
    wie erleichternd zu lesen, dass es eine Alternative gibt zum manchmal echt nervigen Mit-Körperkontakt-und-Kuscheln-Einschlafen. „Fake-Schlaf“ finde ich super, werden wir ausprobieren. Eigene Einschlafroutinen entwickeln … Geborgenheit ist ein innerer Ort … der Monster-Check haha … bei mir ist auf jeden Fall ne Menge hängengeblieben.

  • {"email":"Email address invalid","url":"Website address invalid","required":"Required field missing"}

    Uta


    Ich arbeite als Eltern-Coach, Buchautorin und Journalistin, bin Ehefrau und Mama (ein Sohn, eine Tochter) und kann es nicht lassen, dem Familien-Glück auf die Spur zu kommen. Ich forsche in Büchern, spreche mit Experten und teste alle Erkenntnisse in der Praxis. Nur was mich überzeugt, weil es das Leben mit Kindern wirklich erfüllender macht, schafft es auf diese Seite.

    Deine, Uta

    >