Ich stehe für eine Pädagogik des Vertrauens.
Menschen mit dem Motto „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“ sind mir höchst suspekt.

Aber auch mein Vertrauen ist Erschütterungen ausgesetzt. Zumindest sometimes.

Prinzessin (12) lernte zusammen mit unserer Nachbarin Toni (16) Englisch. Ich hatte in der Küche zu tun und bekam ein paar Fetzen mit. „Was heißt denn ’sometimes‘?“ – „Weisinich.“ – „Manchmal“. „Und was heißt ’still‘?“ – „Äh, keine Ahnung.“

Unter Schock vergaß ich, den Druck auf die Spüli-Flasche zu lockern. Berge aus Schaum und Selbstzweifeln wuchsen aus dem Spülbecken. Sechste Klasse und kein Grundwortschatz?

Ist mein Weg ein Holzweg? Ist mein Vertrauen vielleicht Blindheit? Ist meine sonnige Gelassenheit eine Gefahr für die Wettbewerbsfähigkeit meiner Kinder?

Auf dem Wohnzimmertisch lag „Der Spiegel“. Vom Titelbild schaute mich ein bekümmertes Mädchen an. „Ich kann nicht mehr“ stand in weißen Buchstaben auf ihrem Pulli und in einem Kasten daneben „Generation Stress. Wenn Schule krank macht“.

Ich warf das Heft zurück auf den Tisch. Zumindest dieses Problem haben wir nicht.

 

Lernen mit Toni – da kann es passieren, dass auch noch die Nägel neu lackiert werden.

„Komm, Toni, eine Runde Abtanzen.“ Prinzessin alberte herum, stupfte die neonpinke Spitze ihres Zeigefingers in Tonis Seite.

Aber Toni zog ihren Pulli glatt, blieb hart, ließ Prinzessin ’sometimes‘ und ‚up to now‘ und ‚ago‘ auf Zettel schreiben und hängte sie in Prinzessins Zimmer an den Kleiderschrank. „Das sind die Signal-Wörter für ’simple past‘. Hast du das verstanden?“ – „Alles klar, gecheckt“, Prinzessin flog durch ihr Zimmer und landete mit einer Arschbombe in ihrem Sitzsack. Toni seufzte und grinste.

Überhaupt Toni. Sie wohnt im Haus nebenan. Und wenn es nach Prinzessin ginge, brächen wir die Kellerwand durch für ein gemeinsames Schwimmbad, das Wohnzimmer für eine Disco, das Bad für ein Beauty-Studio mit Toni.

Als ich neulich jammerte, dass ich keine Lust hätte, ständig der Antreiber beim Lernen zu sein, meinte der Soßenkönig: „Können wir nicht Toni fragen, ob sie Prinzessin unterstützt? Sie spart doch für ein iPhone. Dann kann sie sich ein bisschen Geld verdienen und alle sind glücklich.“

Ja, glücklich.

Gelernt wird auf der Bank in der Sonne vor dem Haus oder bäuchlings auf dem Teppich im Zimmer. Und wenn der Kopf schwirrt von Present Perfect, Past Progressive und Simple Past, hängen beide an der Turnstange ab.

„Das war der perfekte Tag“, sagte Prinzessin neulich, nachdem sie den halben Nachmittag mit Toni verbracht hatte. „Obwohl ihr lernen musstet?“ fragte ich ungläubig. „Ja, mit Toni passt es einfach. Sie ist streng, aber man hat trotzdem seinen Spaß.“

So beschwingt, tippte sie noch eine halbe Stunde Französisch-Vokabeln in ein Computer-Lernprogramm (auch zu empfehlen), übte Spagat und schaufelte noch schnell die Klumpen aus dem Katzenklo.

Hätte ich mit ihr gelernt, hätten wir uns spätestens nach einer halben Stunde in die Haare bekommen.

Deshalb mein Eltern-Entspannungs-Tipp für heute:

Wenn ihr einen Schüler in eurer Nachbarschaft habt, der drei oder vier Jahre älter ist als euer Kind und sich etwas Geld dazu verdienen möchte, engagiert ihn oder sie als Lerncoach. So lernt es sich effektiver und bringt sogar Spaß.

„In Deutschland“, sagt der Neurobiologe Martin Korte, “ wird Schule vor allem mit Arbeit und Entbehrung gleichgesetzt.“

Und wie sagen die Amerikaner?

 

The brain runs on fun.
 
Also mein Weg bleibt der des Vertrauens und der Freude. Yesterday, up to now, for ever.
Immer schön fröhlich bleiben
Uta

 

  • Liebe Uta,

    normalerweise profitiere ich immer sehr von deinen Posts. Aber diesmal war ich schneller 😉
    Dass du nun aber auch zu einer Art Nachhilfe-Unterricht rätst, gibt mir das Gefühl, dass dieser Weg nicht unbedingt falsch ist.
    Da ich ebenfalls sehr verwundert darüber war (und es bei allem Vertrauen auch ein wenig mit der Angst zu tun bekam), dass mein Fünftklässler noch nicht mal ein kleines Gespräch auf Englisch führen kann, hatte ich das Gefühl, es muss was geschehen. Mit mir zu üben brachte uns beiden nur Frust ein, mein ständiges Erinnern ans Vokabel-Lernen, brachte nur taube Ohren hervor und mein Angebot vor Klassenarbeiten zusammen zu lernen, wurde zwar bejaht, aber nie genutzt.
    Jetzt gibt es wöchentlich eine Übungsstunde bei der 18jährigen Tochter meiner Freundin.
    Ich kann auch nur dazu raten! Einen Konzern wie die „Schülerhilfe“ hätte ich nun nicht unbedingt noch reicher gemacht, das klingt eher nach einer Therapie oder sowas.
    Aber so ist’s für mich nun wesentlich entspannter: der Junior hat Spaß dabei, was man am stärkeren Ehrgeiz merkt (vor den Nachhilfestunden guckt er immer in den Hefter, vor regulärem Unterricht nie!) und irgendwie habe ich das Gefühl ein ganzes Stück Verantwortung abgegeben zu haben, denn ich bekomme auch mit, wie die Tochter meiner Freundin sich nun verantwortlich dafür fühlt 😀
    Sie betont zwar immer, dass sie es nicht wegen des Geldes macht, aber ich fühle mich besser, wenn ich etwas zu ihrem Taschengeld zuschustern kann.

    „In Deutschland“, sagt der Neurobiologe Martin Korte, “ wird Schule vor allem mit Arbeit und Entbehrung gleichgesetzt.“

    Das trifft den Nagel auf den Kopf. Leider!

    Liebe Grüße!
    Jenny

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    Uta


    Ich arbeite als Eltern-Coach, Buchautorin und Journalistin, bin Ehefrau und Mama (ein Sohn, eine Tochter) und kann es nicht lassen, dem Familien-Glück auf die Spur zu kommen. Ich forsche in Büchern, spreche mit Experten und teste alle Erkenntnisse in der Praxis. Nur was mich überzeugt, weil es das Leben mit Kindern wirklich erfüllender macht, schafft es auf diese Seite.

    Deine, Uta

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