Bedürfnisorientierung – weiter entwickelt 

 05/09/2019

Interview mit einer Mama, die nun weniger kräftezehrenden Ansätzen folgt

Das Thema, das ihr euch vor Wochen in meiner Umfrage am dringlichsten gewünscht habt, lautete:

„Bedürfnisse achten, ohne selbst auszubrennen“

Deshalb freue ich mich, heute ein Interview mit euch zu teilen, das beschreibt, wie eine Mama wieder in ihre Kraft kommt. 

Ich habe mit Franziska aus Berlin gesprochen, verheiratet und Mama von Mathilda (3) und Mio (5 Monate). Mit ihr hatte ich vor wenigen Wochen ein Coaching-Gespräch geführt. Zusätzlich hat sie mit der Schweizer Buch-Autorin und Therapeutin Rita Messmer telefoniert, die ihr aus Beiträgen von mir kennt. 

Nach diesen Impulsen hat Franziska einiges im Umgang mit den Kindern verändert. Weil jetzt vieles für sie leichter geht, fand ich es spannend zu erfahren, was sich in ihrem Familienleben gewandelt hat. 


Uta: Liebe Franziska, was genau machst du jetzt anders? 

Franziska: Mit Mathilda, der Älteren, habe ich lange den Ansatz der Bedürfnisorientierten Erziehung angewandt oder zumindest das, was ich darunter verstanden habe. Das ging auch gut, weil sie noch nicht in die Kita ging, weil ich zu Hause war und bis dahin nur ein Kind zu betreuen hatte. Wobei ich auch in der Zeit gemerkt habe, dass es mit viel Anstrengung verbunden war. Aber das konnte ich in den Griff bekommen, weil es nur ein Kind und der Stresspegel nicht allzu hoch war. Mit Mios Geburt vor fünf Monaten hat sich das radikal verändert. Aber ich weiß, dass ich schon vorher gedacht habe: ‚Bedürfnisorientierung - ist das wirklich noch angebracht bei einem dreijährigen Kind?` Daraufhin habe ich mich auf die Suche nach einem entspannteren Weg begeben. Ich fand den Gedanken, dass sobald das Baby schläft, ich dem großen Kind zum Ausgleich 200% gebe, extrem anstrengend und unstimmig. Darauf hatte ich keine Lust. Da war mein Egoismus zu groß. Und das finde ich auch gut, dass er groß ist. 

Uta: Was war der nächste Schritt?

Franziska:  Zunächst habe mich viel bei anderen Eltern umgehört. Die sagten, das sei normal. ‚Die ersten zwei Jahre sind der Stress pur.‘ Oder: ‚Freue dich, wenn es zehn Minuten mal gut läuft!‘ Solche Sachen wurden mir erzählt. Und ich dachte immer nur: Ähhhh?! Aber wieso? Es kann doch nicht sein, dass wir so lange überlebt haben und immer wieder Leute Kinder kriegen, wenn das alles immer so ätzend ist. Aus den Erzählungen von anderen Eltern hörte ich heraus, wie furchtbar es für sie ist und dass das Motto offenbar lautet: Augen zu und durch! Ich hatte so ein Gefühl, das muss anders gehen, aber ich wusste nicht wie. Und da kam das erste Interview mit Rita Messmer, das du geführt hast. Das hat dann total gefruchtet auf diesem Boden, der sich bei mir schon gebildet hatte.

Uta: Kannst du sagen, was du infolgedessen anders gemacht hast? Hast du Beispiele?

Franziska: Ich habe mir gleich das Buch „Der kleine Homo sapiens kann’s“ gekauft und auf der Grundlage ein bisschen herum probiert. Im Supermarkt zum Beispiel habe ich nicht mehr ewig auf Mathilda gewartet, sondern ihr gesagt „Mathilda, ich gehe weiter!“, habe den Einkauf fortgesetzt und mich nicht mehr umgedreht. Es hat richtig gut funktioniert. Sie ist mir nachgelaufen und es war völlig in Ordnung so. Da war kein Geschrei, kein Gejammer, total entspannt. Dann gab es Momente, wo ich gemerkt habe: Okay, jetzt funktioniert es nicht. Da war ich wahrscheinlich zu angespannt. Das war so ein Herumprobieren. Nachdem mir Rita Messmer es persönlich nochmal erklärt hat, habe ich vieles besser verstanden und konnte es umsetzen. 

Uta: Was war deine größte Erkenntnis?

Franziska: Nachdem ich ihr geschildert hatte, wie es bei uns so läuft, hat sie gesagt: „Du musst total zurückrudern!“ Allein dieser Satz war sehr hilfreich für mich, weil mir dann erst aufgefallen ist, was für ein Programm ich fahre, dass ich die ganze Zeit in diesem Befriedigungsprogramm stecke. Immer noch, obwohl ich dachte, ich wäre da schon ausgestiegen. Vorher glaubte ich, ich wäre eine entspannte Mutter, die sowas nicht macht, aber ich habe es voll gemacht und es gar nicht gemerkt. 

Uta: Und wo genau bist du zurückgerudert?

Franziska: Bevor ich Ritas Ansatz umgesetzt habe, war ich so strapaziert, dass ich innerlich fast ausschließlich genervt auf dieses Weinen reagiert habe und mich zusammenreißen musste, sie nicht anzumotzen. Das hat mal geklappt und mal nicht. Ein sehr frustrierendes Spiel. Mathilda wollte ständig auf den Arm, wollte dieses und jenes, hat mein ‚nein’ nicht akzeptiert und war so in einer Dauer-Schleife des Jammerns und Weinens. Mathilda kann herzzerreißend weinen und du denkst: „Mein Gott, das Kind stirbt gleich.“ Nach dem Coaching habe ich verstanden, dass das auch eine Art des Lenkens ist, während ich vorher dachte, es geht ihr wirklich schlecht. Dann habe ich geschaut, an welchen Stellen ich sie einfach lassen kann mit ihren Gefühlen. Dass sie weinen darf und ich weiterhin bei ihr bin, aber für mich etwas anderes tue, statt zu probieren, ihre Gefühle zu managen. Das habe ich gemacht und nach einem Tag haben sich so viele von den Konflikten, die wir immer hatten, gelegt. Es hat zum Beispiel aufgehört, dass sie in einem weinerlichen Ton immer wieder sagt, dass sie etwas haben will, und damit nicht aufhört, obwohl ich schon ein paar Mal ‚nein‘ gesagt habe. Sie war richtig ‚Mama-taub’, wie du das auch schon beschrieben hast. Auf ihre ständigen Forderungen nicht mehr einzugehen, hat mich total entlastet. 

Uta: Hattest du sofort diese Klarheit?

Franziska: Nein. Direkt nach dem Gespräch mit Rita gab es eine Situation, da hat Mathilda in total forderndem Ton gesagt: „Mama, ich will jetzt das und das!“ Ich bin nicht darauf eingegangen. Und dann hat sie angefangen zu weinen. Vorher hätte ich in irgendeiner Weise darauf reagiert, genervt oder liebevoll, je nachdem. Das habe ich nicht gemacht. Sie hat lange geweint, bestimmt eine Dreiviertelstunde. Da war ich natürlich in einem inneren Konflikt und habe mich gefragt: „Ist das jetzt in Ordnung so oder nicht?“ Dann aber spürte ich, wie schnell sie mein neues Verhalten für sich übersetzt und wie schnell das zur Entspannung geführt hat. 

Das Interessante ist, dass sie seither viel schneller anfängt zu spielen. Sie kann sich jetzt besser selbst beschäftigen als früher.

- Franziska -

Uta: Wendest du jetzt komplett diese Führung durch Verhalten an?

Franziska: Nein. Der Empfehlung, mich abzuwenden, wenn mir ein Verhalten von ihr nicht passt, ist mir zu krass. Das mache ich nicht. Es gab und gibt aber Situationen, die sind so eindeutig, da versucht sie so eindeutig, mich durch ihr Weinen zu lenken, dass ich das nicht noch verstärken will. Da gilt dann für mich die Devise: ‚Du darfst dieses oder jenes haben oder nicht, aber ich lasse mich nicht mehr instrumentalisieren.‘ Darauf hat sie prompt reagiert. Das Interessante ist, dass sie seither viel schneller anfängt zu spielen. Sie kann sich jetzt besser selbst beschäftigen als früher. Das ist das, was ich auch gelesen hatte, dass die Kinder - entlastet davon, die Erwachsenen lenken zu müssen - den Kopf frei haben, sich endlich in ihre Spiele zu versenken. So war es bei Mathilda: Plötzlich fing sie an zu spielen, zu singen und machte so ihr Ding. Das ist genau der Effekt, den Rita Messmer beschrieben hat. Den habe ich nun zu Hause.

Uta: Wie ist das jetzt für dich?

Franziska: Mit dem Weinen fand und finde ich es hart, weil meine Übersetzung dafür immer noch ist: ‚Das Kind ist in Not.‘ Das stimmt ja häufig auch. Dann zu unterscheiden, ob es ein echter Kummer oder ein lenkendes Weinen ist, bleibt eine Herausforderung. Es ist schon so, dass sie weinen und diese Gefühle haben darf. Nur ich gehe nicht immer darauf ein. Die Frage ist, ob sie diese Differenzierung versteht oder ob sie folgert: Du lässt mich allein mit meinen Gefühlen. Gleichzeitig möchte ich, dass meine Kinder lernen, dass sie verantwortlich sind für ihre Gefühle. Aber wann fängt man damit an? 

Insgesamt habe ich aber bei mir diese Entspannung wahr genommen, ich hatte das Gefühl, plötzlich wieder richtig im Saft zu stehen, viel mehr im Alltag bewältigen zu können. Und wenn mein Mann ankündigte, er sei dann und dann nicht da, löste das vorher Panik in mir aus. Jetzt denke ich: ‚Ja, okay! Ich schaffe das schon.‘ Und Mathilda wirkt glücklicher, selbstständiger und klarer.

Uta: Stützt du dich jetzt allein auf einen Ansatz?

Franziska: Nein. Ich habe auch nochmal bei Herbert Renz-Polster geschaut, weil er sich ja auf die Evolution bezieht. Aber so konkret hat er das leider nicht beschrieben. Manchmal hätte ich gerne eine Anleitung, aber die findet man ja meistens nicht. In seinem Buch „Kinder verstehen“ (Kapitel „Wenn Kinder trotzen“) schreibt er sinngemäß, dass Eltern sich einer unlösbaren Aufgabe stellen, wenn sie über die Säuglingszeit hinaus versuchen, das Gefühlsleben ihrer Kinder zu managen. Dieses Management sei Aufgabe des Kindes. Und: Babies fordern nicht mehr als sie brauchen, Kleinkinder hingegen schon.

Da sind noch viele offene Fragen. Letztlich hole ich mir Anregungen aus verschiedenen Ansätzen, sicher auch bei dem Bedürfnisorientierten Modell. Bei Rita Messmer aber hat mich angesprochen, dass die Eltern auch einen Wert haben. 

Uta: Hat sich für dich auch mit Mio (5 Monate) etwas verändert?

Franziska: Ja. Du hast ja eben am Telefon gehört, dass er ein bisschen unruhig war. Ich hatte ihn nochmal angelegt, aber das war nicht, was er brauchte, sondern er wollte herumschauen und Geräusche machen. Das macht er jetzt auch. Und ich bin rausgegangen, weil mich das beim Telefonieren gestört hat. Er plappert jetzt nebenan vor sich hin. Wenn er jetzt aber weinen würde, würde ich hingehen. Aber das scheint für ihn kein Problem zu sein. Da ist er auch anders als Mathilda. Oder meine Haltung hat ihn schon geprägt. Das lässt sich nicht rekonstruieren. Bei Mathilda hatte ich immer das Gefühl, sie begleiten zu müssen, weil sie so ganz neu ist auf dieser Welt. Bei ihm finde ich es frappierend, dass es für ihn auch okay ist, gerade allein im Zimmer nebenan zu liegen. Eigentlich würde ich davon ausgehen, er braucht mich und dass er Angst vor dem Säbelzahntiger hat, der gleich um die Ecke schleichen und ihn fressen könnte. Das habe ich doch gelesen. Warum zeigt er mir das nicht? Aber er ist einfach nicht so.

Mir ist es wichtig, mein Augenmerk auf die Kompetenz der Kinder zu legen. Das hast du auch mehrfach geschrieben, dass es eine Schwächung bedeutet, immer nur die Bedürfnisse der Kinder zu sehen und ihnen so wenig zuzutrauen, selbst mit einer Situation klar zu kommen. Ich bin überzeugt von der Notwendigkeit für Eltern, die Perspektive zu verändern. 

Was sich in der Familie verändert hat

  • Seitdem ich grob Ritas Prinzipien anwende, hat Mathilda viel weniger eine Frage darüber, ob sie folgt, wenn man ihr etwas sagt. Sie tut es in der Regel einfach. Und wir fordern nichts, was uns nichts angeht.
  • Mathilda geht von selbst ins Spiel, sobald wir irgendwo ankommen.
  • Sie hat einen liebevolleren Umgang mit Mio.
  • Sie wirkt insgesamt selbstständiger.
  • Ich bin wesentlich entspannter, weil ich weiß, dass ich führe.

Mir geht es ähnlich wie Franziska: Der Ansatz der Schweizer Therapeutin und Buch-Autorin Rita Messmer fasziniert mich. Hier, hier und hier habe ich darüber geschrieben. Ich bin mit vielem, aber nicht mit allem einverstanden, was sie empfiehlt. Sehr wertvoll finde ich aber ihre Idee, dass Eltern nach der anfänglichen totalen Bedürfnisse-Befriedigung die Richtung wechseln sollten. Sie sollten fördern, dass das Kind selbständig wird und ihnen folgt und nicht umgekehrt.

Das bedeutet:

Kurz und knackig:

  • Wenn ein Geschwisterkind geboren wird, ist das eine Freude und kein Schicksalsschlag, den ich für das größere Kind ausgleichen muss.
  • Jede Gelegenheit nutzen, bei der Mama oder Papa vorausgehen und das Kind gefahrlos lernen kann, eigenständig zu folgen und den Anschluss an die Eltern zu halten (Supermarkt, Park …).
  • Gefühle des Kindes ernst nehmen, aber sich als Eltern nicht davon lenken lassen.
  • Dabei bleiben, seine eigenen Sachen tun und sich nicht als Gefühlsmanager verausgaben.
  • Statt nur auf die Bedürfnisse lieber auf die Kompetenzen des Kindes achten.
  • Alles, was das Kind alleine machen kann und will, auch machen lassen.
  • Möchte es zum Beispiel die Treppe herunter robben, sich dahinter stellen, so dass man es notfalls auffangen kann, aber keine Tipps geben, wo welcher Fuß hinzusetzen ist, und kein Festhalten. 
  • Keine Vorträge darüber halten, wie sehr es aufpassen muss und wie gefährlich das alles ist.
  • Sich klar machen: Im Zumuten von schwierigen Situationen liegt auch ein großes Zutrauen.
  • Die innere Haltung wechseln: weg von „verletzliches und schutzbedürftiges Kind“ hin zu „erfindungsreiche Weltentdeckerin“, „Zwerg, der weiß, was er will"  oder was euch so einfällt.  

Liebe Franziska, vielen Dank dafür, dass du deine Erfahrungen mit uns geteilt hast!

Wer sich konkrete Hilfe wünscht, um es wieder leichter und schöner in der Familie zu haben, kann sich gerne an mich wenden: mail@wer-ist-eigentlich-dran-mit-katzenklo.de

Und natürlich freue ich mich, wenn ihr mir eure Gedanken und Erfahrungen zu dem Thema schreibt.

Immer fröhlich in liebevolle Führung gehen,

eure Uta 

  • Liebe Uta,
    danke für das Teilen dieser Mamaerfahrungen, beim Lesen musste ich ständig: „Ja, ja, ja!“ denken. Ich spüre, dass ich selber an meiner Art Mama zu sein etwas ändern muss!
    Und auch in meiner Arbeit sehe ich so viele Mütter, die unter den Bedürfnissen der Kinder praktisch verschwinden, dass kann einfach nicht richtig sein. Ich lege dein Blog immer sehr ans Herz?
    Viele liebe Grüße
    Stephie

    • Liebe Stephie, danke für deine Zeilen! Ja, „unter den Bedürfnissen der Kinder praktisch verschwinden“ … das passiert so leicht. Ich glaube auch, weil wir ja wertvoll sein möchten für andere Menschen. Bei den eigenen Kindern tappt man so leicht in diese Falle, weil sie einen am Anfang ja tatsächlich so sehr brauchen. LG Uta

  • Es braucht halt Zeit, wenn man auf einer Schiene gefahren ist – da muss man das Gleis wechseln und das bringt im ersten Moment neue An- und Einsichten und das braucht erst mal Zeit…
    Ich sehe in den Diskussionen immer wieder, dass die Eltern dieses Zu- oder eben Abwenden bewerten. Das eine positiv das andere negativ. Die Biologie kennt solche Bewertungen nicht, denn beide dienen dem Leben. Und das ist das Grundsätzliche, das Eltern, die meiner Philosophie oder meinen Thesen folgen, verinnerlicht haben und merken wie gut, schnell und ohne Problem dies funktioniert, weil es die biologische Art ist, wie ein Zusammenleben verstanden und geregelt wird. Bei dieser Zu- oder Abwendung geht es im Grunde genommen nur um die Augen.
    Da Eltern (und hier meine ich grundsätzlich alle Eltern oder zumindest das Muttertier, die ein Brut- oder Pflegeverhalten kennen) tun alles, damit der Nachwuchs alles für ihn Nötige zu seinem Überleben (mit)bekommt!
    Beispiel: Die Altvögel stellen die Fütterung der Jungvögel ein. Es geht auch kein Altvogel mehr zum Schlafen ins Nest und diese klaren biologischen Signale, sind das Zeichen für die Brut am nächsten Morgen auszufliegen! Das ist demzufolge genau das Richtige in der Biologie. Es ist kein armer Jungvogel, der jetzt vernachlässigt wird, sondern eben wichtig und richtig, damit er jetzt den nächsten Schritt tut.
    Und wenn wir diese präkognitiven, biologischen Verhaltenssignale wieder besser auf uns Menschen übertragen können, werden wir merken, wie unsere Kinder uns mühelos folgen und wie entspannt ein Familienleben sich dann gestalten kann.
    Und dass das Kind unsere Aufmerksamkeit fordert ist auch Biologie. Denn niemand in der Biologie ist so unselbständig und verletztlich über eine so lange Zeit wie der Homo sapiens. Also stattet die Biologie das Kleine so aus, dass es unsere Aufmerksamkeit auf sich ziehen soll. Jedes Mal, wenn ihm das gelingt, wird dieses Verhalten durch entsprechende Botenstoffe belohnt, folglich gefördert. Nun sind es aber die Eltern, die wissen, wann es nun wirklich nötig ist, dem Kind Aufmerksamkeit zu schenken – sein Überleben zu sichern – und wann eben nicht. Weil keine Gefahr und auch sonst nichts besteht, was dem Kind Schaden zufügen könnte. In diesen Momenten schauen (die Augen) die Eltern die Kinder nicht an – aber mit ihren Sinnesorganen nehmen sie immer wahr, wo ihr Kind gerade ist und macht, aber es braucht keine Aufmerksamkeit – keine Zuwendung.
    Wenn nun aber Eltern meinen, sie seien die besseren Eltern, wenn sie dem Kind möglichst viel Aufmerksamkeit und Zuwendung (Bedürfnisorientierte Eltern) schenken und ihr Kind dazu führen, dass es den Blick der Eltern dauernd auf sich haben muss, so führt das beim Kind zu grossem Stress. Anstatt dass es sich seiner Entwicklung zuwenden kann – das nennen wir Spiel, setzt es seine ganze Energie dafür ein, dauernd die Aufmerksamkeit der Eltern bei sich haben zu müssen. Durch Schreien, auffälliges, störendes Verhalten und was auch immer. Das Kind macht das aber nicht bewusst, deshalb nützen auch keine Zurechtweisungen oder Erklärungen. Es bekommt ganz einfach nicht die klaren biologischen Signale von Seiten seiner Eltern, damit es sich einer gesunden biologischen Entwicklung zuwenden kann. Die Biologie sagt ihm nämlich, wenn alles in deinem Umfeld stimmt, dann musst du entdecken, entfalten, ausprobieren – das heisst Lernen – dein Gehirn aufbauen und vernetzen und das kann das Kind erst, wenn es entspannt und sicher ist. Und diese Sicherheit geben ihm die Eltern, indem sie es eben gerade nicht beachten (als gute Eltern hat man ja weitere Sinnesorgane, die immer wissen, wo und was jetzt mit dem Nachwuchs gerade los ist, ohne sich ihm speziell zuwenden zu müssen), weil das das biologische Signal ist: Es ist alles gut, es gibt für uns eben gerade nichts zu tun – weil alles gerade bestens ist.
    Ganz herzlich eure Rita Messmer

    • Liebe Rita, ganz herzlichen Dank für diese Erklärung! Dein Beispiel mit den Vögeln ist ein wichtiges Bild, um im Kopf zu behalten, worum es geht. Bei deinen Ausführungen ist mir klar geworden, dass uns unsere Bewertungen mal wieder sehr im Weg stehen. Zuwendung wird so sehr positiv gesehen, während das Sich-Abwenden ausschließlich als lieblos gilt. Herzliche Grüße, Uta

  • Liebe Uta, liebe alle :),
    ich finde, die Ansätze können sich ja auch gut ergänzen.
    Ich kann ja auf den Nachfolgewillen vertrauen und mir auch zuzugestehen, „Nein“ sagen zu dürfen und mich abzugrenzen und trotzdem auf die Bedürfnisse meines Kindes eingehen, wenn es notwendig und/oder passend für mich ist.
    Ich finde schade, dass Bedürfnisorientierung immer noch so verstanden wird, dass nur die Bedürfnisse des Kindes gesehen werden. Das wird vielleicht manchmal so missverstanden, aber so ist es ja nicht gemeint. Und spätestens, wenn das Geschwisterkind da ist, müssen ja mindestens zwei Bedürfnisse gesehen und gegeneinander abgewogen werden, also warum auch nicht von Anfang an die Bedürfnisse aller?
    Dass es aber wichtig ist, sich selbst nicht zu verlieren, den Kindern Raum zum freien Spiel und ähnliches zu geben, ist total nachvollziehbar, aber ich finde, auch das steht nicht im Kontrast zur Bedürfnisorientierung. Viel Vertrauen zu haben und zu wissen, dass wir schon ausgestorben wären, wenn Kinder in Watte gepackt werden müssten, finde ich aber von Ritas Ansatz her sehr wohltuend.
    Ansonsten tue ich mich immer noch mit dem Vergleich mit Vögeln schwer ;), denn ich glaube trotzdem, dass wir Menschen nicht unbedingt mit Tieren vergleichbar sind (das ist mir nach wie vor zu biologisch-deterministisch), denn sonst hätten wir z.B. auch nicht den hausgemachten Klimawandel „am Hals“, sondern hätten uns achtsamer und pfleglicher gegenüber der Natur verhalten. Aber wahrscheinlich schließt das Ritas Ansicht gar nicht aus, sondern bedeutet vielleicht auch, dass ein Rückbesinnen auf unsere Biologie uns vielleicht vor dem Klimawandel gerettet hätte.
    Liebe Grüße,
    Bianca

    • Liebe Bianca, vielen Dank dafür, dass du so offen bist, alle Argumente und Standpunkte abzuwägen. Und danke überhaupt für deine wertvollen Beiträge auf der Katzenklo-Seite!
      Es mag so wirken, dass wir das Dilemma lösen, sobald wir auch unsere Bedürfnisse als Eltern oder als Erwachsene achten. Das ist sicher eine Hilfe. Nur dann kommen wir in so ein ständiges Abwägen und Verhandeln aller Bedürfnisse, was unglaublich anstrengend werden kann. Das Wissen, dass unser Nachwuchs unser Vorangehen und Lenken braucht und es ihn sogar entlastet, uns einfach folgen zu dürfen, ist ein wichtiger Schritt zu mehr Leichtigkeit in der ganzen Familie.
      Herzliche Grüße aus Hamburg, Uta

  • „Das hast du auch mehrfach geschrieben, dass es eine Schwächung bedeutet, immer nur die Bedürfnisse der Kinder zu sehen und ihnen so wenig zuzutrauen, selbst mit einer Situation klar zu kommen.“
    Dankeschön fürs Erinnern an diesen Satz! Ich muss ihn mir wieder öfter vorsagen.
    Ganz liebe Grüße
    Dana

    • Liebe Dana, danke für deinen Kommentar!
      Auf die Bedürfnisse der Kinder einzugehen, ist ja auch schön und auch unser Job. Wenn man ab und zu den Rat beherzigt, sich zurückzunehmen und nicht immer reflexartig zur Hilfe zu eilen, kann es für alle noch schöner und entspannter werden. LG Uta

  • Ich bin ja aus der Kleinkindphase mit meinen Süßen raus. Es war manchmal höllisch anstrengend – aber zum Glück bin ich bei Nummer 3 egoistisch genug gewesen, mich häufiger abzugrenzen und sie sich selbst oder meinem Mann zu überlassen. Sozusagen instinktiv, ohne vorher schlaue Bücher und tolle Blogs zu lesen 😉 Wenn ich das gleiche Programm wie mit Nummer 1 gefahren hätte, dann gute Nacht. Ich sehe mich noch heulend auf dem Peziball sitzen, das Baby schaukeln und mich fragen, warum es denn nicht schlafen oder trinken will. Was ich für eine schlechte Mutter bin, dass mein Kind immer heult. Das wir nachts den Kleinen den nackigen Bauch mit dem Föhn bepustet haben, bis er dann endlich einschlief. (Jetzt gibt es das „weiße Rauschen“ in Endlosschleife bei Spotify und Youtube, echt!) O Mann…. Was waren wir unsicher. Und dann der Versuch, es mit „Jedes Kind kann schlafen lernen“. Ich schäme mich noch immer dafür. Die Selbstregulation hatte das Kindchen entweder durch das dauernde „was ist bloß los mit dir, mein Schätzchen, komm wir gucken mal, ob dir das gut tut“ verlernt, oder vielleicht war es einfach wirklich ein Schreibaby. Ich bin aber sicher, dass der Große kein Trauma davongetragen hat. Erstaunlich, wie viel Kinder ihren Eltern verzeihen 😉
    Eins will ich noch loswerden: Ich glaube, trotz all er klugen Worte, zumindest bei Teenies und Prä-Teenies ist das Gefühlsmanagement durch die Eltern manchmal doch ganz hilfreich für die Brut. 😉
    Beste Grüße!
    SteffiFee

    • Hallo, liebe SteffiFee! Das Föhngeräusch gibt es jetzt bei Spotify? Das ist ja der Hammer! Danke für deine alltags-gestählte Sicht auf die Dinge! Liebe Grüße, Uta

  • Es gibt bei Spotify sogar Musik, die Hunde beruhigen soll ??
    Wenn ich das hier lese, bekomme ich immer ein schlechtes Gefühl im Bauch. Wo haben wir den Bezug zu unserem Innenleben und zu den Kindern verloren?
    Ich habe bei meinem grossen Sohn sehr schnell aufgehört, mich an Ratgebern zu orientieren. Es stimmte alles hinten und vorne nicht. Bei manchen Dingen war er extrem weit, bei anderen ganz normal. Wir entwickelten unser eigenes Ding und es lief gut. Teils wurden wir schief angeschaut, teils wurden wir unterstützt. Gerade dieses Regulieren von Emotionen klappte bei ihm null… wir unterstützten ihn und er war dankbar. Der Grosse ist nun 13 Jahre alt, jetzt wissen wir, dass wir absolut richtig gehandelt haben, dass wir – zum Glück – auf unser Bauchgefühl gehört haben, manchmal unsere Leistungsgrenzen überschritten haben, manchmal sehr viel von ihm verlangt haben. Aber für uns und ihn war es nur so stimmig. Er ist ein aussergewöhnliches Kind, ein aussergewöhnlicher Jugendlicher, jenseits der Norm. Das wussten wir damals nicht, haben aber gemerkt, dass wir Eltern am besten wissen, was für unser Kind stimmt.
    Beim zweiten Sohn lief es ähnlich, aber da waren wir schon routiniert ?

  • Liebe Bianca,
    du sprichst ein wahres Wort gelassen aus!
    Das ist ja gerade der biologische Ansatz – von dem ich immer spreche: Die Biologie berücksichtigt alles. Sie gibt jedem Lebewesen genau das, was es für sein Bestehen braucht. Dass es selber leben, überleben, bestehen kann und dies in Wechselwirkung mit seinem Umfeld. Auch Pflanzen interagieren mit ihrem Umfeld, entwickeln Strategien, um sich zu schützen oder gar zu verteidigen, sind imstande Nützlinge anzuziehen, wenn sie von Schädlingen befallen sind. Niemals würde sie aber ihre eigenen Lebensgrundlagen zerstören. Und weil der Mensch ja das Ergebnis (um nicht zu sagen das Produkt) dieser ganzen Evolution ist, ist er auf den Grundlagen dieser Biologie aufgebaut. Und so gäbe es auch den harmonischen biologischen Weg innerhalb der Familie, wo alle Bedürfnisse berücksichtigt werden – wo es für alle stimmt… Und der Klimawandel ist ja nur ein Ding, das zeigt, wie weit weg wir uns von dieser Biologie entfernt haben.
    lg Rita

  • Hier noch etwas in eigener Sache:
    Ich möchte mich hier an dieser Stelle nochmals melden und sowohl Uta wie auch Franziska danken!
    Es gibt nichts Schwierigeres als Eltern sagen zu müssen, dass sie in der Erziehung etwas falsch machen – und ich weiß, wovon ich spreche, denn ich mache das ja nun seit über 30 Jahren in Kursen, Workshops, Büchern und Therapien. Selbst, wenn der Leidensdruck der Eltern schon riesig ist, es ist eine Mammutaufgabe.
    Aber ich helfe ja nicht, indem ich sage, das ist alles richtig, du hast jetzt einfach mal ein schwieriges Kind und da musst du jetzt durch. Zum Vergleich: Wenn mein Kind eine Behinderung hat, kann ich das nicht ändern und es wird mir Zeit, Kraft und Energie abverlangen (je nach Behinderung mehr oder weniger). Und dann ist es für mich am besten, wenn ich nicht damit hadere, sondern einen Wert in dieser Rolle erkenne – etwas für mein Kind tun zu können!
    Aber das unterscheidet sich sehr von einer „normalen“ Eltern-Kind-Beziehung. Das soll und darf kein Martyrium sein. Wenn Eltern nur schon im Ansatz das Gefühl bekommen, vom Kind diktiert, kontrolliert, vereinnahmt zu werden, sollten sie über die Bücher. Denn Kinder sind in meinen Augen das Schönste, was es gibt! Es gab nicht einen Augenblick in meinem Leben, wo ich nicht gerne mit den Kindern zusammen war: Ihr Lachen, ihre Tränen, ihr Spiel, ihre Kreativität, ihre Freude, ihr Zutrauen, ihr Vertrauen, ihre Liebe – nie wieder im Leben hätte ich etwas vergleichbar Schönes gefunden.
    Aber ich wollte frei sein! Ich selber wollte glücklich sein!
    Und diese Art Glück fand ich ja in diesen traditionellen und indigenen Kulturen. Ich musste es noch nicht einmal selber erfinden – ich musste es lediglich kopieren.
     Ich wollte mit den Kindern spielen, weil ich Lust dazu hatte und nicht, um sie ruhig zu stellen.
     Ich wollte den Kindern eine Gute-Nacht-Geschichte erzählen, weil ich es als freudig empfand und nicht, um mein Gewissen zu beruhigen.
     Ich wollte den Kindern eine Süssigkeit geben, weil ich es genoss, ihre Freude und ihr Glück zu sehen und nicht weil sie mich dazu zwangen.
    Aber ich wollte meinen Wert nicht durch ein Martyrium haben.
    Und deshalb, liebe Franziska, in letzten Abschnitt sagst du:
    …Und ich bin rausgegangen, weil mich das beim Telefonieren gestört hat. Er plappert jetzt nebenan vor sich hin. Wenn er jetzt aber weinen würde, würde ich hingehen. Aber das scheint für ihn kein Problem zu sein. Da ist er auch anders als Mathilda. Oder meine Haltung hat ihn schon geprägt. Das lässt sich nicht rekonstruieren…
    Ich kann dir versichern, es ist deine andere Haltung! Du bist jetzt sicher, dass du das so haben willst – weil du es vorziehst, in Ruhe telefonieren zu können. Du gibst deinem Sohnemann die Sicherheit, weil du das ausstrahlst, weil du die Sicherheit hast, dass das jetzt genau das Richtige für dich, für ihn, für die Welt ist. Und siehe da: Dein Sohnemann fühlt sich rundum glücklich, zufrieden und entspannt. Folglich, was macht er? Das, was ihm die Biologie in solchen Momenten aufträgt: Er widmet sich seiner Entwicklung, er übt sich im Plappern.
    Also vergesst doch bitte diese üblen Geschichten über Säbelzahntiger und was euch sonst noch alles unsicher oder Angst macht.
    Herzlichst
    Rita Messmer

  • Ich lese die Beiträge gespannt und nachdenklich mit. Danke für alle Gedankenanstubser!
    Diesem Satz: „Die Biologie berücksichtigt alles. Sie gibt jedem Lebewesen genau das, was es für sein Bestehen braucht.“ und einigen der direkt davon abgeleiteten Grundsätze in Bezug auf unsere Menschengesellschaft kann ich jedoch überhaupt nicht folgen.
    Viele der unglaublich starken Eltern und BetreuerInnen von Kindern mit besonderen Bedürfnissen gehen für das Bestehen (und darüber hinaus für das Wohl) ihrer Anvertrauten weit über ihre persönlichen Grenzen bzw. schieben diese Grenzen immer weiter.
    Ohne Bedürfnisorientiertheit für unsere Kinder über die Kleinkindphase hinaus, würde die Biologie manchen von ihnen zu wenig für ein würdevolles Leben geben.
    Die Biologie kann grausam sein.
    Für unser Familienleben versuche ich einen bedürfnisorientierten Raum zu schaffen. Das geht manchmal besser und manchmal weniger gut – je nach Betrachtungswinkel (aus Elternsicht oder aus Kindersicht).
    Wir lieben uns und wir streiten uns…. nicht nur die Kinder wachsen – auch wir als Eltern. Die meisten Gedanken bei denen Bauch und Kopf ja sagen, finde ich für uns klar im bedürfnisorientierten Ansatz.

  • Vielen herzlichen Dank für diesen tollen Blog – ich habe schon viel mitgenommen.
    Mit dem Beharren auf die „Biologie“ im aktuellen Artikel kann ich jedoch gar nichts anfangen.
    Die Biologie kann grausam sein. In der Tierwelt kommt es vor, dass Elterntiere schwächere Nachkommen aus dem Nest schubsen, um die Überlebenschancen der anderen Aufzuziehenden zu verbessern. Das gibt ihnen die Biologie vor.
    Ich habe ein bisschen das Gefühl, dass sich der „biologische“ Ansatz Dinge dort mit Hilfe ebendieser zurecht rückt, wo es halt passt. Anderes wird ausgespart.
    Auch meine Kinder lassen mich in Ruhe telefonieren – und dann mal wieder nicht. Da kann ich mir noch so sicher sein, dass ich es jetzt vorziehe in Ruhe zu telefonieren – meine Kinder fühlen sich in solchen Momenten nicht immer rundum glücklich, zufrieden und entspannt. Ich kann nicht jedes Verhalten von ihnen mit meinen Vorstellungen steuern – auch wenn ich mir noch so sicher bin.
    Wir lieben uns und wir streiten uns. Ich finde für mein Familienleben die besten Ansätze in der bedürfnisorientierten Er- und Beziehung und halte mich an den Leitfaden meiner Mutter: Mit Liebe kann man nix verkehrt machen.
    Ich genieße nicht jeden Augenblick mit meinen Kindern, manchmal ist es einfach sehr anstrengend! Ich liebe sie über alles und mein Leben ohne sie wäre nicht mehr vorstellbar. Für mich ist das völlig in Ordnung so. Im Familienverband müssen alle gesehen werden, Eltern und Kinder. Alle haben ihre Bedürfnisse – diese sind halt manchmal nicht kompatibel und dann „wurstelt“ man sich halt durch….

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    Uta


    Ich arbeite als Eltern-Coach, Buchautorin und Journalistin, bin Ehefrau und Mama (ein Sohn, eine Tochter) und kann es nicht lassen, dem Familien-Glück auf die Spur zu kommen. Ich forsche in Büchern, spreche mit Experten und teste alle Erkenntnisse in der Praxis. Nur was mich überzeugt, weil es das Leben mit Kindern wirklich erfüllender macht, schafft es auf diese Seite.

    Deine, Uta

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