Beim letzten Löffel Knoblauch-Suppe 

 05/12/2017

Vom Urlaub auf Madeira und vom Vertrauen in die Kinder

Gerade bin ich mit meinem Mann auf Madeira, der erste Urlaub ohne Kinder. Weil es ziemlich viel regnet, haben wir unfassbar viel Zeit. Kennt ihr das, dass man sich im Buch nur ein Kapitel erlaubt, weil es sonst zu schnell zu Ende ist? „Ich spare mir das Ende für morgen auf“, sagt auch mein Mann und legt seinen Krimi zur Seite. „Wollen wir einmal den Berg hinauflaufen?“ Ja, wollen wir. Wir biegen um eine Straßenecke und laufen dem kanadischen Pärchen in die Arme, mit denen wir uns in der Seilbahn so nett unterhalten haben.
Pärchen? Pärchen klingt irgendwie nach jung und Händchenhalten und gar nicht mehr Rauskommen aus dem King-Size-Bett. Aber die beiden sind knapp 60, wie sich herausstellt, und wir mögen sie schon deshalb, weil sie aus Kanada sind und wir somit sofort berichten dürfen, dass Prinzessin (16) gerade dort ist. Die beiden sind ein Schatz und fragen uns nach unserer Tochter aus. „Where in Canada?“ – „Why“ – „Boarding school?“ – „How long will she stay?“ Die beiden versichern uns, „what a nice place“ es ist, wo Prinzessin gerade lebt, „and what a great experience“. Und obwohl die beiden aus Ottawa kommen, was locker 4.000 Kilometer vom Internat unserer Tochter entfernt liegt, haben wir das Gefühl, sie hätten gerade noch mit ihr gesprochen. Ich war kurz davor, an ihren Jacken zu schnuppern, um Witterung aufzunehmen von unserem Kind.
Unseren Tour-Guide Nico habe ich auch gefragt, ob er Kinder hat. Nico hat uns im Kleinbus den Westen der Insel gezeigt. Wir sind mit ihm im Nebel auf der Hochebene herumgekurvt. Der Scheibenwischer quietschte und obwohl hinter jeder Kurve wieder eine Kuh im Dunst mitten auf der Straße hätte stehen können, hingen wir drei, Nico, mein Mann und ich, mit dem Smartphone über der Schaltung und guckten das Video, das zeigt, wie Nicos kleiner Sohn die ersten Schritte macht. Wir sind alle so verzückt, dass wir die Passionsfrucht verpasst haben, deren Ranken sich wie ein Netz über einen Busch legen. Nico setzt den Bus zurück,wir bewundern pflichtschuldig die nassen Blüten, wischen aber bald schon über unser Smartphone, weil der Ausflug auf keinen Fall zu Ende gehen darf, ehe Nico die Fotos von unserem Gastkind aus Afghanistan gesehen hat, Sadia mit unseren Kindern, Sadia mit den Katzen, Sadia beim Zwiebelschneiden, Sadia beim Tanzen im Wohnzimmer.
Es ist doch verrückt. Gerade die ersten Jahren sehnt man sich danach, mal wieder Zeit ohne Kinder zu haben. Und ist es dann so weit und man sitzt mit einer Tasse Earl Grey und gespreiztem kleinen Finger auf der Hotelterrasse und man könnte reden über die neueste Inszenierung im Thalia-Theater, verwickelt man jedes menschliche Wesen in Gespräche über Kinder. Ich zumindest bin ein solches Exemplar!

Im Urlaub – dachte ich – hätte ich genug Abstand, um voller Weisheit und Elterntrainer-Know-How auf 20 Jahre als Mama zurückzublicken und so etwas zu schreiben wie: „Die 10 wichtigsten Erkenntnisse für das Leben mit Kindern.“ Aber mir kam nur das Wort „Genießen!“ in den Sinn. Und das kann ich selbst kaum noch hören oder lesen.
Ich speicherte den Text also auf halber Strecke und wir gingen essen.
Über der madeirischen Knoblauch-Brotsuppe wurde mir plötzlich klar, warum wir so eine schöne Zeit hatten und haben mit unseren Kindern. Es hängt stark zusammen mit dem großen Vertrauen meines Mannes in unsere beiden. Er hält Kronprinz und Prinzessin einfach für das Größte, was ihm je passiert ist.
Wenn ein Lehrer grundlegende Bedenken hatte, was die weitere Entwicklung eines unserer Kinder anging, war mein Mann – nach kurzer Prüfung – sicher, dass es der Pädagoge ist, der sich auf dem Holzweg befindet.
Als Prinzessin mit ihrer Klasse vorzeitig aus Berlin zurückgeschickt wurde, war mein Mann der erste, der eine Whatsapp-Nachricht schickte: „Wir stehen voll hinter dir!“
Als wir noch das große Auto hatten und unser Sohn danach fragte, hatte er den Schlüssel schon in der Hand, kaum dass seine Frage verhallt war.
Befreundete Eltern haben Zweifel daran, ob es gut ist, dem Studenten aus der Ferne Zugriff auf unser Konto zu ermöglichen. Bei meinem Mann löst das nur Schulterzucken aus. „Ich weiß einfach, dass ich mich auf den Kronprinzen verlassen kann.“
„Und was machst du eigentlich, wenn dein Vertrauen mal enttäuscht wird?“, fragte ich beim letzten Löffel Suppe.
„Dann klären wir das und dann vertraue ich wieder neu!“
Immer fröhlich sich solch eine Haltung zulegen!
Eure Uta

Das kleine Mädchen auf dem Titelbild habe ich auf Madeira fotografiert. 

  • Ach, liebe Uta, nun war Dein Text ja eigentlich gar nicht traurig und trotzdem habe ich Tränen in den Augen. Weil mich Eure Liebe zu den Kindern (den eigenen und auch zu den anderen auf der Welt) so sehr rührt … Das ist so schön und ein Geschenk – nicht nur für Eure eigenen Kinder …
    Alles Liebe und noch eine ganz gute Zeit (mit Sonne!) auf Madeira!
    Herzlichst,
    Nicolle

  • Einfach toll.
    Ein bisschen grün um die Nase vor Neid grüßt herzlichst aus dem grauen Rhein-Main-Gebiet die SteffiFee und wünscht noch vergnügliche kinderfreie Urlaubstage

  • Liebe Uta,
    die letzten Zeilen über Vertrauen sind heute wie ein Geschenk für mich.
    Vielen lieben Dank dafür.
    Lg, Annette

  • Mein Kommentar heute mal ohne Bezug zum Text: dieses Foto! Ich habe es gesehen, meinem Mann gezeigt – und wir hatten beide den gleichen Gedanken: Was macht unsere Tochter auf Madeira!?! Eine Doppelgängerin… Wahnsinn!

  • Liebe Uta,
    auch ich habe Tränen in den Augen. Genau das möchte ich den Herzbuben mitgeben und zeigen.
    Wie schön, dass du mir mit deinen Erfahrungen schon 10 voraus bist, und uns teilhaben lässt.
    Und, bevor das Jahr zu Ende geht: Herzlichen Dank für deine Arbeit, deinen Humor und wunderbaren Blog, auch in diesem Jahr wieder,
    liebe Grüße,
    Frieda

    • Liebe Frieda, wie schön, von dir zu hören und lieben Dank für deine Begleitung und Unterstützung (Paket für Sadia❤️) im zu Ende gehenden Jahr! Alles Liebe für die Herzbuben-Familie! Uta

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    Uta


    Ich arbeite als Eltern-Coach, Buchautorin und Journalistin, bin Ehefrau und Mama (ein Sohn, eine Tochter) und kann es nicht lassen, dem Familien-Glück auf die Spur zu kommen. Ich forsche in Büchern, spreche mit Experten und teste alle Erkenntnisse in der Praxis. Nur was mich überzeugt, weil es das Leben mit Kindern wirklich erfüllender macht, schafft es auf diese Seite.

    Deine, Uta

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