Wenn ein Kind nicht verlieren kann.

Als Kronprinz knapp ein Jahr alt war, verbrachten wir einen Urlaub mit Freunden in Portugal. Es fanden gemeinsame Spieleabende statt, bei denen der ältere Sohn der Freunde, damals etwa fünf Jahre alt, regelmäßig ausrastete, weil er nicht verlieren konnte.
„Das wird uns später einmal nicht passieren“, schwor ich mir innerlich. Der Kronprinz wird ein Sportsmann sein in jeder Lebenslage. Sollte er mal der Unterlegene sein, wird er  dem Sieger die speckige Hand schütteln und sonnigen Gemüts helfen, die Spielfiguren aufzuräumen.
Die Jahre vergingen. „Memory“ wurde interessant und Angelspiele, „Mensch-ärgere-dich-nicht“ und „Lotti Karotti“. Bei Gedächtnisspielen hatten wir Erwachsenen keine Chance, aber wenn einer von uns bei anderen Spielen gewann, konnte es passieren, dass der Kronprinz Amok lief. Das Gesicht hochrot, schleuderte er die Würfel quer durchs Wohnzimmer. Oder wenn er sah, dass er weit abgeschlagen war, war er unkonzentriert und musste jedes Mal erinnert werden, seine Spielfigur zu setzen. Wenn sein etwas jüngerer Cousin mitspielte, ging es besonders hoch her. Spielten wir „Monopoly“, gönnte keiner dem anderen die „Schlossallee“. Spielten wir „Memory“ fanden sich plötzlich unerlaubte Markierungen auf der Rückseite der Kärtchen.
Für Eltern ist das „Nicht-verlieren-können“ des eigenen Kindes ebenso unangenehm wie das „Nicht-teilen-können“. Haben wir uns einen Egomanen großgezogen? Was denken die anderen Eltern, wenn sie ihr Kind von der Party abholen und das Geburtstagskind hat sich mit allen Los-Gewinnen im Baumhaus verschanzt? Wie soll dieser Wüterich die Niederlagen bewältigen, die im Leben unweigerlich auf ihn zukommen werden?
Und wenn wir unter uns sind und einen Spielabend veranstalten, können wir kaum ertragen, dass das Kind mal eine Frustration aushalten muss, wollen es gleich trösten und beschwichtigen. „Das nächste Mal gewinnst du bestimmt wieder.“ – „Es ist doch nur ein Spiel.“ – „Kommen wir spielen noch einmal und du darfst anfangen.“ Immer wieder stelle ich fest, dass wir es heute kaum aushalten, dass unser Kind mal ein negatives Gefühl erlebt. (Und mich sehe ich durchaus an der Spitze dieser unheilvollen Bewegung, zumindest in meinen Anfängen als Mutter.)
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Wenn ein Kind schlecht verlieren kann, heißt das aber auch, dass es unbedingt gewinnen will. Sich selber einen Platz auf dem Podest zuzutrauen, ist ja nichts Schlimmes. Wie viele Erwachsene haben resigniert und sehen sich nie auf irgendeinem Gebiet in der ersten Reihe? Bei Kindern ist dieses Streben nach Exzellenz noch ganz unbeschadet. Wie schön! Vielleicht kann man mit dem Gedanken im Hinterkopf den Frust des Kindes besser aushalten.
Wenn wir anfangen, mit unseren Kindern Wettbewerbsspiele zu spielen, dürfen wir einen Schritt nicht überspringen: Sie müssen das Gewinnen und das Verlieren erst allmählich lernen. So wie kleine Kinder die Erfahrung brauchen, etwas zu besitzen, ehe sie auch teilen können, brauchen sie die Erfahrung zu gewinnen, um irgendwann auch verlieren zu können.  Wenn Eltern schon bei den ersten Spielen erwarten, dass ihr Kind anderen den Sieg gönnt, ist das einfach zu viel erwartet.
Jetzt könnte man alle Spiele mit Wettbewerbs-Charakter einfach weglassen. Aber das sind meist die spannendsten Spiele. Man muss nur einer Gruppe Kinder sagen: „Wer als erster die Kastanie dahinten erreicht hat, bekommt ein Eis!“ Und schon steht man in einer Staubwolke. Das Sich-Messen ist einfach in uns angelegt.
Erkennt ihr eine Linie in dem, was ich hier schreibe? Vielleicht helfen einzelne Punkte.

  • Ruhig bleiben und den Frust zusammen aushalten.
  • Sagen, dass man die Niedergeschlagenheit verstehen kann.
  • Aber nicht zu sehr trösten und beschwichtigen. Niederlagen sind wichtige Erfahrungen.
  • Und dass das Kind gewinnen will und sich ganz vorne sieht, ist ja auch schön!
  • Kinder leben im Hier und Jetzt. Die Schmach, die sie jetzt erleben, ist die Größte, die sie sich gerade vorstellen können. Deshalb hilft es gar nichts, dem Kind zu sagen, es sei ja nur ein Spiel und bald werde es wieder mal gewinnen.
  • Wenn aus Wut die Spielfiguren fliegen, sagen: „Ich verstehe, dass du wütend bist. Aber du hast nicht das Recht, uns das Spiel kaputt zu machen.“ Der Wüterich sollte aussetzen, bis er/sie wieder konstruktiv mitspielen kann.
  • Kleine Kinder auch mal siegen lassen, wenn sie schon zu oft verloren haben.
  • Größere Kinder aber nicht. Sie fühlen sich nicht ernst genommen.
  • Im Team verlieren ist einfacher (Lina spielt mit Papa, Oskar mit Mama.).
  • Mit Kindern im Kindergartenalter Spiele spielen, die höchstens 10 Minuten dauern, oder das Spielmaterial reduzieren („Memory“ z.B. nur mit 20 Karten).
  • Es kann helfen vor (!) dem Spiel Kinderregeln zu vereinbaren: z.B. die Jüngsten in der Runde dürfen zweimal würfeln.*

Immer fröhlich akzeptieren, dass Niederlagen schmerzen und zusammen den Frust aushalten. Mit der Zeit wird es besser werden.
Eure Uta
* Einige Tipps in Anlehnung an den Beitrag von Christiane Bertelsmann auf urbia.de.
PS: Wer kann ein Spiel empfehlen, das Kindern gut tut, die schlecht verlieren können? Es wäre toll, wenn wir viele Tipps zusammen bekämen.

  • Toller Beitrag! <3
    Wir lieben ja Gesellschaftspiele, deshalb gibt es auch jeden Sonntag einen spieleabend. Klar gibt es da auch mal Frust, aber das vergeht meist. Und wen es ganz schlimm wird, wird ne runde affen-alarm gespielt. Das mögen alle und man kann die regeln so schön ändern. Eigentlich gewinnt ja der mit den wenigsten Affen, aber bei uns ist es dann der mit den meisten Affen, oder der am meisten grün gewürfelt hat usw. Bei den Spiel vergeht jeder Kummer bei uns. 🙂
    LG Nicky

  • Sorry für den dobbel post, aber mir fällt grade noch das Spiel mix-max von Ravensburg ein. Da würfelt man sich lustige Figuren zusammen. Klar gibt es da auch Gewinner und Verlierer, aber das merkt man kaum, da man zu beschäftigt mit lachen ist. Und meist vergessen wir sogar zu gucken wer gewonnen hat, da man von vorne spielen will um neue lustige Figuren zu erstellen.
    LG Nicky

  • Uiuiui. Ertappt. Ich konnte und kann überhaupt nicht verlieren bei Gesellschaftsspielen. Ausrasten als Kind war an der Tagesordnung, einmal musste tatsächlich ein Geburtstagsfest abgebrochen werden… Bis heute vermeide ich alles, was mit Gesellschaftsspielen zu tun hat. Zwar raste ich (natürlich) nicht mehr aus, aber ich beginne dann so doof rumzublödeln, wenn ich im Hintertreffen bin. Wer mich kennt, spürt dann natürlich sofort, das das „getarnte Wut“ ist, es wird gestichelt und ich muss mich wirklich beherrschen, nicht davonzustürmen. Weil ich tatsächlich nicht drüber stehe.
    Der Frischling hat zum dritten Geburtstag von seiner Patentante „Obstgarten“ geschenkt gekriegt. Ich finde das Spiel ziemlich bescheuert. Aber die Idee ist hübsch: Alle Spieler ernten miteinander Früchte und gewinnen oder verlieren gemeinsam gegen die „böse“ Krähe, die es auf die Früchte abgesehen hat. Das ist ein schöner Lernschritt fürs Gewinnen und Verlieren. Es kommt zwar vor in diesem Spiel, jedoch ist man in beiden Fällen nie alleine. Es gibt sicherlich noch mehr solche Spiele. Aber ich (Siehe oben) kenne mich da nicht aus. 😉

  • Ja, „Obstgarten“ wird immer sehr empfohlen, aber so richtig konnte ich mich dafür auch nicht erwärmen. Prinzessin hat es aber gerne mit Oma gespielt. Danke Oma! Und viele Grüße an die „liebe“ Frau Krähe! Uta

  • Ich habe ein Gruppenspiel empfohlen bekommen..“.wer war es ?“ ….da gewinnen wohl alle gemeinsam 🙂
    Es steht bereits hier, ist aber noch nicht getestet.

  • Liebe Uta,
    ohmanohman, wie sehr das unser Thema ist. Die Lütte kann einfach überhaupt nicht verlieren. Und wenn ich mal gewinne, heißt es, ich hätte geschummelt. Wir machen ständig, wirklich ständig Wettrennen. Da kam es schon häufig vor, dass sie einen Heul-Schrei-Anfall bekam, weil ich sie mal nicht habe gewinnen lassen. Was passiert, wenn sie mit einer Freundin um die Wette rennt/fährt etc, und nicht gewinnt, kannst du dir sicher vorstellen.
    Als Spiel finden wir auch Obstgarten toll, nach dem gleichen Prinzip spielt man auch „Flieg mit, kleine Eule“. Das finden wir richtig toll. Da muss man auch schon mal gut überlegen, damit man als Team nicht verliert 😉
    Liebe Grüße,
    Dorthe

  • Eher schon für etwas ältere Kinder: „Geister Geister Schatzsuchmeister“ und „Schnappt Hubi“. Beides wird auch zusammen gespielt gegen die Geister.

  • Oje. Guter Tipp mit dem Spielen im Team, den nehme ich mit, aber ein Spieletipp, den ich gern im Gegenzug dalassen würde, fällt mir leider nicht ein.
    Liebe Grüße
    Maike

  • Oh ja verlieren ist so ein Ding. Ich empfehle von berufswegen gern: „Gruselino“ von Ravensburger, da kann man etwas helfen und die Kids merken es nicht gleich. „Memory“ mit 4 Karten aufdecken. „Pustekuchen“ von Haba. „Malmal“ von Adlung, ein Rückenmalspiel. „Make ’n‘ Break“ und für noch größere „Wüteriche“ „Transeuropa“, Take it easy.
    Liebe Grüße!!!

  • Liebe Uta,
    für die ganz Kleinen ist „Tempo kleine Schnecke“ von Ravensburger toll.
    Eleonore
    PS: Ich habe dein Buch gekauft, super!
    Einiges kannte ich ja schon aus dem Blog, aber ich werde es weiterempfehlen und verschenken. Meine Buchhändlerin hat extra beim Verlag angerufen für ein signiertes Exemplar, aber die waren wohl schon alle weg…..Freut mich ja für dich!!

    • Liebe Eleonore,
      danke für deinen Tipp und die tolle Rückmeldung zum Buch! Wenn du noch ein signiertes Exemplar möchtest, könnte ich mich darum kümmern.
      Liebe Grüße
      Uta

  • Wir haben riesen Glück, dass unsere Tochter (9J.) auch ein „Spieler“ ist. Meine Theorie: es ist ein mitgelieferter Wesenszug, der bei uns vielleicht sogar vererbt wurde. Verlieren ist kein Thema bei uns. Wir lieben alle 3 Brettspiele. Von ganz klein an haben wir mit ihr gespielt und sie wurde nie geschont.
    „Huby“ und „Wer war´s“ fanden wir auch toll, zwischen 5-8J.
    Ein ganz neues Spiel, was man gemeinsam spielt ist „The Game“. Ist ab ca. 8 Jahren. Wir finden es zu nervenaufreibend und haben daher die Regeln gemeinsam etwas verändert (Endziffernsprünge auch mit mehr als 10 erlaubt), nun gefällt es uns richtig gut.
    Empfehlen (auch ab 8J.) kann ich noch „La Bocca“, man spielt immer zu Zweit in wechselnder Besetzung. Fördert die räumliche Vorstellungskraft.
    Ansonsten bei uns beliebte Spiele (aber mit Sieger und Verlierer): Quixx, Siedler und Machi Koro.
    Liebe Grüße
    Verena
    P.S. Lese gerade auch dein wunderbares Buch, es macht einfach Spass!

  • Liebe Uta,
    wie so oft ist Ihnen ein erkenntnis- und hilfreicher Artikel gelungen, der noch dazu , wie auch so oft, höchst kurzweilig zu lesen ist!
    Mein Sohn, der immer noch nicht bis schwer verlieren kann, hat als Kleiner einfach die „Schwarzer Peter“- Karte versteckt und gar nicht mit ausgeteilt und versteckt. Allerdings kann er auch schwer aushalten, wenn ich zu verlieren scheine und er möchte mir dann Tipps geben, Sonderregelungen oder gar mir „gute“ Karten/Punkte etc. zuschustern….
    Schade, dass für derlei Spiele im Alltag oft die Zeit (oder spontanen Mitspieler) fehlen.

  • Mein Mann spielt noch heute nicht gern, weil es ihn zu sehr aufregt, wenn er verliert. Ich fand es immer doof meine Kinder gewinnen zu lassen, ich hatte wie du sagst, das Gefühl sie nicht ernst zu nehmen. Und ich mag es gar nicht „unehrlich“ zu meinen Kindern zu sein. Inzwischen habe ich aber doch gemerkt, dass es bis zu einem gewissen Alter gut ist, sich auch mal zurück zu halten – noch heute beim Schach mit der 10jährigen. Wenn die Frustration beim Kind zu gross wird, mag es einfach nicht mehr spielen. Es fällt mir aber echt schwer, muss ich zu geben… 😉

  • huhu,
    als die Kinder letztens von einer Freundin gehütet wurden, sprach sie mich hinterher an, wie ich das gemacht hätte, dass die Kinder verlieren können ohne Tränen, Wut und Verzwieflung…. keine Ahnung, Glück gehabt? *lach*
    Wir haben aber schon recht früh angefangen Spiele zu spielen, einfach weil wir Erwachsenen auch gerne Spiele spielen und diese Freude unseren Kindern vermitteln wollen.
    Gestartet haben wir bei beiden mit einfachen Gruppenspielen, wie Obstgarten, Mitmachspiel von Ravensburger…grade letzteres macht einfach Spaß durch die Aufgaben, das finden die Kleinen echt super!
    Nun ist die Große 7 und der Kleine 4…
    Der Kleine liebt Zicke Zacke Hühnerkacke und Da ist der Wurm drin, die Große mag Heckmeck am Bratwurmeck junior, Die kleinen Zauberlehrlinge (ist halt spannend weil man nie wieß wo im Boden die Magnete sind ^^) und Schnappt Hubi…
    Und jedesmal bevor wir in dne Urlaub fahren, holen wir mindestens ein neues Spiel für alle… Diesmal war es Geistertreppe und das passt super zum Thema finde ich… denn durch das Tauschen der Geister, weiß man manchmal eben gar nicht, welche Figur einem gehört… da kann es passieren, dass ich voller Elan mein Gespenst ins Ziel setze und dann feststellen muss, dass ich aber die Figur meines Mannes ins Ziel befördert habe- das sorgt hier für viele Lacher und Verlieren ist nebensächlich geworden!
    Liebe Grüße

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    Uta


    Ich arbeite als Eltern-Coach, Buchautorin und Journalistin, bin Ehefrau und Mama (ein Sohn, eine Tochter) und kann es nicht lassen, dem Familien-Glück auf die Spur zu kommen. Ich forsche in Büchern, spreche mit Experten und teste alle Erkenntnisse in der Praxis. Nur was mich überzeugt, weil es das Leben mit Kindern wirklich erfüllender macht, schafft es auf diese Seite.

    Deine, Uta

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