Ich war in dieser Woche bei einer Elternratsversammlung unseres Gymnasiums mit dem Schwerpunktthema „Mittelstufe“, also alle Belange der Klassen sieben bis 10.
Hätte ich nicht gewusst, was es war, hätte ich es für ein Treffen der „Selbsthilfegruppe Pubertät“ gehalten.
„Unser Sohn ist in der achten Klasse. Und neuerdings ist es, als wäre der Kontakt zu ihm abgebrochen.“ – „Wir erfahren gar nicht mehr, was in der Schule läuft, ob er eine Klassenarbeit zurückbekommen hat oder nicht.“- „Mein Sohn“, so eine andere Mutter, „will überhaupt der Coolste von allen sein. Ich kann gar nicht mehr auf ihn einwirken, er findet mich nur nervig.“ – „Wir haben eigentlich nur noch Streit.“
Kopfnicken, verdrehte Augen und solidarisches Lachen von den anderen Eltern.
Ich saß da und suchte in meinem Innersten, ob mir auch eine Klage einfiele.
Wenn man als Eltern Pubertät nicht als schwere Störung erlebt, fühlt man sich als Sonderling.
„Ich heiße Uta und habe eine gute Beziehung zu meinem Sohn.“
Wäre ich aufgestanden und hätte einen solchen Satz gesagt, wäre ich wahrscheinlich mit Kulis beworfen worden.
Man hat in diesem Alter keine gute Beziehung zu seinem Kind, schon gar nicht zu Söhnen.
Die sind ja später und länger in der Pubertät, wie die Schulleiterin erklärte.
Die Schulleiterin ist Pubertäts-Veteranin. Sie hat zwei Söhne. Aber die sind längst erwachsen. Sie erzählt davon, als sei sie eine der wenigen Überlebenden dieser Zeit.
Um das Problem in den Griff zu bekommen, setzt man auf Kontrolle.
Es wird von Lehrern in der Mittelstufe berichtet, die Eltern nicht nur die Liste der anstehenden Klassenarbeiten mailen, sondern auch immer ein Signal senden, wenn die Rückgabe einer Arbeit zu erwarten ist.
Das gefiel den versammelten Müttern und Vätern und man fragte, ob nicht alle Lehrer diesen Service bieten könnten.
Zum Glück hielt die Schulleiterin das für nicht praktikabel.
Auf dem Nachhauseweg fiel mir eine Erkenntnis ein, die mir in mehreren Erziehungsratgebern begegnet ist.

In der Pubertät bekommen die Eltern die Quittung für ihr

Verhalten in den Jahren davor. 

Ja, aber was denn für ein Verhalten?
Mir hat ein Bild sehr geholfen, das der amerikanische Management-Berater und neunfache Vater Stephen R. Covey benutzt.
Covey sagt, es gibt „Einzahlungen und Abhebungen auf dem Beziehungskonto“. Wenn wir viel einzahlen würden, bekämen wir später mit Zinsen zurück, was wir an Nähe und Zeit in unsere Kinder investiert haben.

Einzahlungen sind zum Beispiel:

  • körperliche Nähe vor allem zu Babys, etwas später: Vorlesen mit Körperkontakt, Kinder an der Hand halten, auch Jugendliche spontan in den Arm nehmen (nur nicht in der Öffentlichkeit oder vor Freunden), Kuscheln auf dem Sofa, anbieten, dass man den Rücken kratzt oder eincremt, die Beine massiert
  • regelmäßige Familienzeiten, gemeinsame Unternehmungen, gemeinsame Mahlzeiten
  • gelegentlich eine schöne Zeit mit einem Kind allein
  • Respekt, z.B. ab dem Alter von 10 Jahren anklopfen an der Zimmertür, Kind nicht vor anderen bloß stellen, nicht zwingen, etwas zu essen oder anzuziehen
  • nicht immer das Kind optimieren wollen, sondern sich fragen: Liegt der Fehler vielleicht bei mir?
Pubertät ist eine wichtige Zeit der Abgrenzung von und der Auseinandersetzung mit den Eltern, aber es muss kein kriegerischer Ausnahmezustand werden.

Immer schön fröhlich einzahlen
Uta

  • Liebe Uta, Du schreibst so schön und so respektvoll von und über Deine Kinder. Klar ist Dein Beziehungskonto „voll“. Meine 4 Kinder sind alle erwachsen. Und auch wenn ich denke, dass auch ich , wenn bestimmt nicht perfekt und bestimmt nicht immer, eine respektvolle und Nähe und Fürsorge und Distanz gebende Mutter war(bin..inzwischen Oma :)) gab es bei uns Tage der Pubertät, die es sehr sehr schwer gemacht haben, den Kaktus zu umarmen. Es war bei jedem der Kinder von Grund auf anders. Ich glaube auch nicht, dass alles nur unser input und der Kinder output ist. Es gibt, narürlich, Umwelt, die mit“erzieht“. Aber es gibt auch Anlagen, Charakter, der es einem Kind in Zeiten von Umbruch und Verunsicherung schwer macht. Und wenn sie dann unsere Unterstützung annehmen, können wir uns glücklich schätzen. Ich lese gern bei Dir und finde Deine Beiträge sehr anregend. Im Übrigen habe ich auch immer diese Elternabende mit den „du weißt schon…-feixenden“ Eltern gehasst. Wie wenig solidarisch mit ihren Kindern viele Leute doch sind. Wie wenig loyal. Vertrauen ist doch ein Zauberwort, oder?
    Liebe grüße
    Lisa

  • Liebe Uta,
    nein, heute bin ich nicht einverstanden mit Deinem aktuellen Post. Soll das eine Watsche sein für all die Eltern, die mit ihren Kindern Stress zur Zeit der Pubertät haben? Mir ist die Aussage hier zu einseitig. Jedes Kind, jeder Mensch ist ein Individuum und reagiert in den einzelnen Entwicklungsphasen anders. Nebst den Einfluss, den ich als Elternteil auf mein Kind habe sind zudem die diversen Einflüsse aus der Umgebung nicht unbedeutend. Was für Freunde hat dein Kind, wie ist die Atmosphäre in der Schule, im Sportverein, …..? Die Reihe ließe sich fortsetzen. Nicht unbeutend ist bestimmt auch die Aufstellung der familiären Situation. So kann ich als alleinerziehende Mutter z.B. feststellen, dass allein aus der Tatsache, dass mein Sohnemann der alleinige ‚Mann‘ im Haus ist, es in letzter Zeit vermehrt Konfliktsituationen gibt, weil er meint, diese Rolle jetzt ausfüllen zu müssen (zu wollen). Und , und und….!
    Da kann ich noch so viele Streicheleinheiten in Kinderjahren verabreicht haben, gemeinsame Mahlzeiten eingenommen haben, und …, es stellt keine Friedensgarantie zu Pubertätszeiten dar.
    Abgesehen davon finde ich deine Aussage im Post niederschmetternd (was sonst nicht Deine Art ist), was sollen denn jetzt die Eltern machen, die nach Deiner Auflistung in Kindertagen anscheinend was versäumt haben, nicht den ganzen Punktekatalog erfüllt haben? Das klingt so, als wäre hier der Zug für diese abgefahren!
    Na, Schwesterherz jetzt hab ich wohl weit ausgeholt, dabei lieb ich sonst Deine Beiträge und bleib natürlich weiterhin eine glühende Verehrerin Deines Blogs! Rite

  • Liebe Kommentatorinnen, liebes Schwesterherz,

    an dieser Stelle möchte ich mich einschalten und mich ganz herzlich bedanken für Eure Meinungen, eigene Erfahrungen (vier erwachsene Kinder und auch schon Enkel, Respekt liebe Lisa), Erkenntnisse und diesmal auch belebende Widersprüche. Ich finde das so bereichernd. Eure Kommentare machen mein Blog erst richtig interessant.

    Herzliche Grüße

    Eure Uta

  • Pubertät ist wenn die Eltern schwierig werden, oder?*lach Ich stehe ja mitten zwischendrin mit zwei kleinen Kindern und wenn ich zurück denke fand ich, dass die Eltern wirklich komisch wurden. Wir haben in der Pubertät doch alle mehr Rechte und Freiheiten gefordert und kaum dass wir das taten haben die Eltern durchgedreht – also mir kam das wenigstens so vor, wenn ich zurück denke.*lach
    Wie ich das als Mutter sehen werde weis ich ja noch nicht. Was mich sehr nachdenklich gemacht hat kürzlich: Eine Mutter aus dem Kindergarten hat noch größere Kinder und der bisherige Musterknabe (gerade 18) hat jetzt den Früherschein. Er meinte er müsse nach einer Party noch mal das Auto der Mutter im Schnee testen und landete an der Hauswand, nachts. Danach ging er ins Bett und am nächsten Tag in die Schule – ohne ein Wort. Dort hat ihn dann die Polizei abgeholt wegen Fahrerflucht und zu diversen Tests. Das Auto ist Vollschrott, obwohl ganz neu. Bereits zwei Tage zuvor hat er ein anderes Auto angefahren und nicht bescheid gesagt. Bisher war er ein offener, (ja auch Party-)lustiger Mensch, der gerne mit Kindern arbeiten wollte nach seinem Abi. Ich kenne ihn nicht so gut um jetzt die Gründe zu sagen, aber bisher schien er seinen Weg zu gehen. Da ich auch einen Sohn habe, kann ich nur hoffen, dass solch ein Horror bitte nie passieren möge. Mir tut die Mutter einfach unendlich leid, denn sie hat mir gesagt, dass sie es einfach nicht versteht. Liebeskummer war dabei, evtl. Alkohol, aber die Polizei hat keinen mehr festgestellt.
    Sehr interessant fand ich übrigens die 37°Grad-Reportage über „Jungs unter Strom“ – sehr zu empfehlen, auch in der online-Mediathek.

    Ich geh jetzt mal aufs Konto einzahlen.*gg

    Liebe Grüße LOLO

  • Lese ich heute…. Wo ich meinen Jüngsten ernsthaft abzustillen beginne…. und er den ganzen Tag ohne Brust auskommen musste. Aber er hat letzte Nacht so viel eingezahlt bekommen, das sollte bis zu Pubertät reichen… ; ))
    Ich bin gespannt, stehen wir doch kurz davor.
    ….äh, mit den Älteren, versteht sich!
    Liebe Grüsse!

  • Auch wenn es wehtut, wir Eltern sind einfach nicht mehr der Nabel der Welt unserer Kinder und sie haben auch mal Probleme, an denen wir nicht Schuld sind. Ich empfinde das Verhalten vieler Eltern ihren pupertierenden Kindern gegenüber als respektlos und anmaßend. Meine Kinder haben vielleicht nicht so einen tollen Schulabschluß, oder spielen kein Instrument. Ich liebe sie wie sie sind und muß ihr Leben nicht nach Maßstäben der Gewinnmaximierung hochpuschen (da könnte man jetzt nochmal über Schulsysteme nachdenken, die Eltern dazu bringen den Ablöseprozeß abzuwürgen, anstatt ihn zu unterstützen, indem sie über KLassenarbeiten und co vom Lehrer informiert werden- wie in der Grundschule-)
    LG
    Susanne

  • Liebe Uta,
    ich habe auch einen 14jährigen Sohn und eine sehr gute Beziehung zu ihm
    :-)…mir gefällt, wie du schreibst… ehrlich, frisch und amüsant!
    Ich schreibe mich gleich als neue Leserin ein, ich schaue bei Dir nun bestimmt regelmässig vorbei.
    Liebe Schneegrüsse
    Nicole

  • JA, ich arbeite auch an Einzahlungen…
    oft ist das nicht einfach, weil die Zeit fehlt, weil man gestresst ist, weil man ein Brett vorm Hirn hat???…
    Aber ich gebe mir Mühe und verzeihe mir auch kleine Fehler und höre zu wenn meine Tochter (8J.) sagt: „Mama, bitte! Wegen schlechte Noten kannst Du mir Treffen mit Freunden nicht verbieten, Mama! [Ich muß hier zu meiner Verteidigung sagen, dass ich kein VERBOT ausgesprochen hatte, sondern ihr gesagt hatte, dass sie mehr Zeit für Schulübungen einplanen sollte, statt sich nach der Schule immer mit Freunde zu verabreden!] Streich mir lieber fernsehen! Aber nicht Freunde, weil Freunde sind wichtig! Sonst suchen sie sich andere Freunde und ICH bin dann allein!“ Dann könnte ich heulen, weil ich so ein Depp bin und meine Tochter so schlau und ich entschuldige mich für mein Fehlverhalten!
    Ich hoffe, dass wir in der Pubertät trotz Mutter-Tochter-Reibereien immer noch einen Draht zueinander (und wenn er noch so düüüüüünn ist!) bewahren können!
    (In der Zwischenzeit informiere ich mich bei Dir!=D Danke!)
    LG
    sonia

  • Hallo!
    Habe gerade ein bisschen in deinem Blog geschmökert. Finde ihn super! So richtig aus dem Herzen und dabei mit beiden Beinen mitten im Leben. Meine Kids sind zwar noch nicht so alt, dass sie in die Pubertät kämen (wir durchleben noch die ersten Trotzphasen abgewechselt von Vernunfts- und Kooperationsphasen 😉 ), aber ich werde sicher weiter bei dir lesen, da diese kleinen Denkanstöße oft sehr gut sind, um den eigenen Blickwinkel wieder etwas zu verändern.
    Lg
    Anja

  • Liebe Uta,

    ich bin gerade auf Deinen tollen Blog gestoßen und habe mich gleich als Leserin eingetragen.
    Vielleicht schaffe ich es, wenn ich bei Dir regelmäßig lese, die Pubertät zu überstehen (mein Sohn ist jetzt 4) 😉

    Herzliche Grüße
    Mel

  • Liebe Uta,

    dein Blog hat mich gefesselt. Du schreibst so frisch,fröhlich und amüsant über ernsthafte Themen, dass ich immer weiter lesen musste.
    Ich kann so vieles, von dem du berichtest, so gut nachvollziehen.Sicher kein Wunder bei 5 Kindern und 5 Enkelkindern.
    Ich hab deinen Blog gleich verlinkt und freue mich schon auf neue Posts.
    Liebe Grüße
    Christiane

  • Liebste Uta, wie freue ich mich für Dich! Ganz viele neue Leser hast Du gewonnen!!
    Ich weiß, jeder einzelne Neuzugang wird von Dir
    sehr geschätzt und umjubelt! Und nun dies Geschenk des „Himmels“, im wahrsten Sinn des Wortes Himmel!
    Danke, großer ‚kleiner Himmel‘ für Deinen Post ! !!!
    (siehe: http://kleiner-Himmel-design.blogspot.de)
    Ganz liebe Grüße auch an den ‚kleinen Himmel‘,
    Rite

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    Uta


    Ich arbeite als Eltern-Coach, Buchautorin und Journalistin, bin Ehefrau und Mama (ein Sohn, eine Tochter) und kann es nicht lassen, dem Familien-Glück auf die Spur zu kommen. Ich forsche in Büchern, spreche mit Experten und teste alle Erkenntnisse in der Praxis. Nur was mich überzeugt, weil es das Leben mit Kindern wirklich erfüllender macht, schafft es auf diese Seite.

    Deine, Uta

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