Die Märtyrer-Mama 

 23/07/2013

Gestern Abend sind wir aus Frankreich zurückgekehrt. Koffer stehen aufgeklappt im Wohnzimmer. Der tapferste Mann von allen ist zur Arbeit gefahren. Die Kinder schlafen noch. Nur das Schleudern der Waschmaschine ist zu hören und eine Wespe, die gegen die Scheibe trudelt.

Ich bin allein.

Wir hatten einen wunderbaren Urlaub. Und doch hat mir eins gefehlt: Alleinzeit.

Zeit, in der ich auf niemandes Bedürfnisse eingehen muss. Raum, wo niemand ist außer ich.

Ich weiß nicht, warum das bei mir so ist.

Meine Güte, meine Kinder sind fast groß. Wenn ich nur an die Mütter denke, die noch kleine Kinder haben und gleich mehrere davon, die müssen googeln, um zu wissen, was die Wörter „eigene Bedürfnisse“ noch mal bedeuten.

„Uta, stell dich nicht so an“, sagte ich mir im Urlaub und missachtete mein Alleinzeit-Bedürfniss.

Dieses Bedürfnis erkläre ich mir so, dass ich in übertriebener Weise darauf eingehe, was Lebewesen in meiner Umgebung für Bedürfnisse haben oder – schlimmer noch – was ich denke, was sie denken, für Bedürfnisse zu haben. 

Und dann verausgabe ich mich und brauche Alleinzeit.

 

Schön, mal Alleinzeit zu haben und nachsinnen zu können, was man so veranstaltet mit sich und seinen Mitmenschen.

Wie ich mich verausgabe?

Da mache ich Unterwasser-Salti mit Prinzessin (12) im Pool, weil das arme Kind im Urlaub noch niemanden kennengelernt hat. Danach habe ich soviel Wasser im Ohr, dass ich hinterm Trommelfell ein Sardinchen halten könnte.

Da gehe ich mit den Kindern auf die Rastplatztoilette und lasse ihnen den Vortritt, obwohl ich viel dringender muss als sie.

Da zermartere ich mir das Hirn, wie ich nach dem Essen in dem kleinen Lokal das Fischfilet loben könnte („La oder le dorade a été magnifique oder formidable oder einfach trés bien?“), weil der Kellner so schüchtern war und sicher ein bisschen Lob gebrauchen könnte.

Da lasse ich Prinzessin den Ballwechsel wiederholen, damit das Kind beim Tischtennisrundlauf nicht ausscheiden muss.

Da schreibe ich aus einem Gefühl der Verpflichtung 10 Ansichtskarten, obwohl ich überhaupt keine Lust dazu habe.

Da gibt es noch drei Grillwürstchen für vier Leute und ich behaupte, ich wollte sowieso keines mehr.

„Das regt mich so auf bei Mama“, sagte Kronprinz (15) im Urlaub. „Das macht sie zu Hause auch. Da lässt sie mich die letzte Himbeere essen, obwohl ich weiß, dass sie sie auch gerne gehabt hätte.“

Märtyrertum ist furchtbar. Mutter opfert sich auf für die Brut und wenn sie nicht mehr kann, wird sie zickig oder kriegt Migräne, weil der Mensch automatisch für Ausgleich sorgt, wenn auf Dauer die erhoffte Anerkennung für das erbrachte Opfer ausbleibt. (Opfer meist, die niemand von den anderen wollte. Blödes Spiel!)

Anstatt klar zu sagen, was man selbst möchte und sein Leben und den Urlaub zu gestalten, macht man sich selbst zum Opfer … und insgeheim die anderen zu Tätern. So entsteht schlechte Stimmung und sogar Streit.

Fällt euch noch etwas auf?

Immer steckt dahinter die Haltung, der andere sei benachteiligt: „das arme Kind“, „der schüchterne Kellner“, „der noch nicht ausgewachsene Körper, der Vitamine braucht“ …

Durch mein angeblich so selbstloses Verhalten mache ich den anderen erst schwach, dränge mein Kind sanft, aber sicher in die Opferrolle.

Also immer fröhlich das Kind vor dem Klo warten lassen, glorreich ins Tischtennisfinale einziehen und als Mama gierig das letzte Stück Schokolade grabschen

eure Uta

PS: Auf der Rückfahrt im Auto schob Kronprinz (15) von hinten seinen Fuß auf die Lehne des Beifahrersitzes, damit ich ihn kratzen könnte: „Komm schon, Mama, das ist mein Opfer-Fuß.“

  • Wie gut, dass du wieder da bist!
    Ich werde heute mit Greta und Julius im Garten zelten.
    Ein Opfer?
    Irgendwie schon, hatte aber so viel Alleinzeit des Nachts in den letzten Wochen…da geht das schon.
    Upps, da höre ich die Babysitterin. Alleinzeit zuende… Schade!
    Liebe Grüsse und fröhliches Wäschewaschen!

  • Liebe Uta,

    ich hab zwar gar keine Kinder, lese deine Posts aber immer mit ganz viel Vergnügen. Du schreibst so lustig und locker vom Hocker, ich könnte mich beömmeln. Danke!
    Daniela

  • Du sprichst mir aus dem Herzen! Es ging mir in unserem Urlaub ähnlich. Ich hatte das Gefühl, dringend einmal raus zu müssen und habe mich dafür auch noch schlecht gefühlt. Habe dann aber gedacht, dass das ja unser Familienurlaub ist und wir sowieso so wenig gemeinsame Zeit haben…
    Schön, dass Du schon so große Kinder hast, die Dir das so toll spiegeln.

  • Ich werfe mich grade weg über den Opfer-Fuß. 🙂

    Ja, ich glaube Mütter sind generell dafür sehr anfällig. Aber ich lerne dazu, wenn auch nochh inkonsequent. Wenn der Elternabend etwas länger dauert und mein Neunjähriger ruft mich empört an, er hätte solchen Hunger, schlage ich schon mal vor, er solle sich eben selbst ein Brot machen und bleibe auch standhaft, wenn er theatralisch fragt, ob ich wollen würde, dass er hungert und so ins Bett gehen muss. Also mein Sohn fände eine Märtyrer-Mama toll und hadert eher damit, dass ich das immer ungerner bin. 😉

    Herzlich, Katja

  • Liebe Uta, eigentlich hab ich jetzt gedacht, nein, das geht mir eigentlich nicht so.*g Ich brauche meine Auszeit und sei es nur ein Mittagsschlaf – irgendwas, denn sonst sind mir Urlaube zu eng – viel zu eng.
    Und trotzdem haben wir einen Kronprinz, der seinen Schlafanzug fallen lässt, eine Prinzessin, die munter ihr Spielezeug verteilt und alle stehen immer vom Essen auf ohne die Teller wegzuräumen (gut, bei der Tochter lieber noch nicht, sonst darf ich noch wischen*g)- ich finde es total wichtig im Urlaub zwar auch mal an sich zu denken (ich werde ungenießbar, wenn ich nicht mal eine kurze Zeit für mich habe, so gerne ich mit den Kindern rumtolle), aber noch wichtiger ist ja der Alltag.

    Ein schlechtes Gewissen schiebe ich immer brav bei Seite deswegen, denn bevor wir Klinsch bekommen ist es doch besser ich gehe mal ein Schläfchen oder was immer machen und bin dann um so besser gelaunt wieder da – so ein paar Buchseiten können auch Wunder vollbringen, während der Mann den Nachwuchs bespaßt.*lach

    Also, nicht den Alltag vergessen!*hi

    Liebe Grüße LOLO

  • Ja, sehr schön formuliert 🙂 Ich finde mich da durchaus wieder. Vor allem bei der Migräne. Bei mir ist das auch so, habe ich zuviel, ist eine Migräne im Anmarsch und manchmal bleibt sie auch ein paar Tage..wirklich blödes Spiel! Und Danke für den Anstoß, doch mal auf die Alleinzeit zu bestehen! Oder auch das letzte Stück Schokolade 🙂

    Liebe Grüße und hab eine schöne Zeit mit dir!
    Sabrina

  • *Ich weiß nicht, warum das bei mir so ist.*
    Das ist nicht nur bei dir so.

    *…Bedürfnisse haben oder – schlimmer noch – was ich denke, was sie denken, für Bedürfnisse zu haben.*
    …dto.

    *Das regt mich so auf bei Mama…* etc.
    Ich habe auch einen Prinzen (ohne Kron-), den regt das genauso
    auf. Nur dass es bei uns der Papa ist, der die letzte Himbeere
    nicht selber isst…

    Mein Ältester kommentierte meine Familienbeglückungsaktivitäten im letzten gemeinsamen Urlaub vor zwei Jahren genervt so: „Mama, du kommst mir allmählich vor wie so eine fanatische Missionstante, die alle Leute in den Himmel zwingen will – in ihren Himmel nämlich!“ Das saß. Nachdem ich fertig war mit innerlich Wunden lecken, machte ich all die schönen Sachen, die niemand anderes zu brauchen schien, alleine. Und war plötzlich wunderbar entspannt…

  • 🙂
    Jo! Genauso ist es und nicht anders! Und ich hab noch xx Jahre vor mir. Deshalb geh ich jetzt in mein MärtyrerBettchen und freue mich auf meinen MärtyrerTraum! Ich bin nämlich wie immer die Letzte die ins Bett geht. Und das mach ich noch so lange bis ich selbst zum Opfer werde!
    Gute Nacht!

  • Ja das kenne ich auch sehr gut. Zuerst kommt die Familie und dann lang nichts. Und erst dann komm ich. Bei mir wars noch schlimmer. Ich hab zwei Kinder bekommen (die sind auch in diesem tollen Alter) und ein Leben NACH den Kindern gab es nicht für mich. Diese Erkenntnis traf mich vor ca. 3 Jahren wie ein Schock. Und seither lasse ich mehr und mehr los. Was ich verändert hab ist die Einstellung dazu. Es gibt soviele Menschen die permanent „nett“ sind und im Hintergrund verurteilen sie sich dafür und schimpfen über die anderen die sie ausnutzen. Das mache ich nicht mehr. Ich bin nett (wenn ich nett bin!) und ich würdige das mir selber gegenüber. Und falls ich das nicht miteinander vereinigen kann, sag ich „Nein“ und steh dazu. Das ist Klarheit für alle Beteiligten. Im Grund machen wir uns zu Opfern, wenn wir so handeln wie du es beschreibst. Im Altersheim sitzen soviele Menschen die sich ihr Leben lang geopfert haben und sich wundern warum ihre Kinder sie nicht mehr besuchen. Dazu möchte ich später mal nicht gehören. Ich bin Mensch und ich habe eigene Bedürfnisse und das ist gut so. Sonst wären wir Maschinen. : ) Danke für diesen schönen Beitrag, ich lese sehr gerne bei dir mit.

  • Liebe Uta,

    schon an den anderen Kommentaren kannst du sehen: Es geht nicht nur dir so.

    Ich bin auch ein Mensch mit einem hohen Bedürfnis an Raum für mich. Mittlerweile nehme ich mir ihn. So gut es geht. Natürlich sollen andere nicht darunter leiden, aber ich „muss“ dann für mich auch mal egoistisch sein. Das ist mit zwei kleinen Herzbuben nicht so leicht.
    Der Papa will Oma und Opa über das Wochenende besuchen? Prima, ich bleibe Zuhause. Erstaunlich, wie viel Energie ich dann habe. A
    An gewöhnlichen Wochenenden erledige ich zunächst alle Haushaltsarbeiten (in angemessenem Rahmen ;)) und dann? Hängematte und Buch. Bitte, wenigstens 20 Minuten. Das klappt.
    Die Kinder bringe ich abends momentan gerne so ins Bett: Beide in den Fahrradanhänger für ein Kind packen. Das ist schön eng und kuschelig. Durch den Park gehen, bis die beiden erst schnatternd, dann Bäume und Sonnenstrahlen beobachtend, mit Teddy im Arm einschlafen. Auch das ist Raum für mich.
    Manchmal „kann“ ich mich auch nicht verabreden, wenn ich einen Tag frei habe. Den will ich nur für mich. Für mich. Nicht für mich und eine gute Freundin. Nur für „ich lasse mich treiben“, bis die Jungs aus der Kita kommen.

    Die letzte Himbeere würde ich NIE essen. Das Grill-Szenario hatten wir auch gerade: Restegrillen. Für alle war genug da. Also, außer für mich. Ich habe mich an Brot und Salat satt gegessen. Ich glaube, ich würde mich immer zurücknehmen, damit meine Herzbuben nicht zu kurz kommen.

    Uta, ich freue mich so sehr, dass du wieder da bist! Wobei ich sagen muss, dass ich endlich mal Zeit hatte, deine alten Blogs zu lesen. Auch toll. Ganz großartig quasi.

    Ganz liebe Grüße,
    Frieda

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    Uta


    Ich arbeite als Eltern-Coach, Buchautorin und Journalistin, bin Ehefrau und Mama (ein Sohn, eine Tochter) und kann es nicht lassen, dem Familien-Glück auf die Spur zu kommen. Ich forsche in Büchern, spreche mit Experten und teste alle Erkenntnisse in der Praxis. Nur was mich überzeugt, weil es das Leben mit Kindern wirklich erfüllender macht, schafft es auf diese Seite.

    Deine, Uta

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