Der Smartphone-Kampf 

 14/03/2021

Wie mich die Doku „The Social Dilemma“ aufgerüttelt hat.

In der vergangenen Nacht konnte ich lange nicht einschlafen. Wir hatten eine Dokumentation gesehen, die mich gefesselt hat wie lange kein Film mehr und die jede Müdigkeit aus meinem Hirn vertrieben hat.

Unsere Kinder hatten uns die Doku schon vor Monaten empfohlen. 

Aber sie hören ja nicht die Eltern. Dann war dies, dann war jenes. Sie gucken lieber mal einen netten Tierfilm oder die Kuschel-Serien, die erwartbare Gefühle auslösen. Und meistens war der Tag zu anstrengend und der Abend zu fortgeschritten, um sich noch einem komplizierten Thema zu stellen. 

Nachdem unsere Kinder die Doku gesehen hatten, haben Kronprinz (23) und Prinzessin (20) ihren Instagram-Account gelöscht, antworten nur noch zu bestimmten Zeiten auf WhatsApp-Nachrichten und verdrehen die Augen, wenn wir bei gemeinsamen Essen das Smartphone holen, um etwas zu googeln. 

In diesem seltenen Fall hat der Kater den Kampf um Aufmerksamkeit gewonnen.

Gestern Abend haben mein Mann und ich uns endlich aufgerafft und „Das Dilemma mit den sozialen Medien“ angeschaut, eine Doku, die am 9. September vergangenen Jahres auf Netflix erschienen ist. Darin geht es darum, wie Facebook, Twitter, Instagram, Google, Pinterest und weitere Social-Media-Anbieter das Bedürfnis des Menschen nach Verbindung zu anderen Menschen, nach Bestätigung, Anerkennung und Rechthaben für ihre Geschäftsmodelle nutzen. Wie die Polarisierung moderner Gesellschaften durch „Social Media“ vorangetrieben wird. Wie in den USA die Kluft zwischen Wählern der Demokraten und der Republikaner immer größer wurde. Wie die blutigen Konflikte in Hongkong und in Myanmar in den Netzwerken gepuscht wurden. Wie ein paar Technologie-Konzerne die Aufmerksamkeit von Milliarden Menschen weltweit steuern. Wie sich Fake-News sechsmal schneller verbreiten als solide Informationen. Und wie es für Kinder und Jugendliche ist, Beifall-Emojis und pumpende Bildschirm-Herzchen zu brauchen wie die Luft zum Atmen.

Auf einem nächtlichen Spaziergang während ihrer Abi-Zeit hatte mir Prinzessin gesagt, dass sie froh sei, nicht in dieser Zeit ein Kind zu sein und nicht schon mit elf, zwölf Jahren oder noch jünger dem Sog eines Smartphones ausgesetzt zu sein. Damals hatte ich mich über ihre Aussage gewundert. Jetzt verstehe ich sie, wie ernst es ihr damit war.

In der Dokumentation kommen einige ehemalige Mitarbeiter aus den Führungsetagen von Facebook und anderen Social-Media-Riesen zu Wort. Immer wieder wird Tristan Harris befragt, der bis Ende 2015 der Sozialbeauftragte von Google war und der das Unternehmen verlassen hat, nachdem seine Warnungen kein Gehör mehr fanden. Danach gründete er mit Kollegen und Freunden das „Center for human Technology“, das sich dafür einsetzt, die Risiken des Digitalen besser zu kennen und Informationstechnologie menschenfreundlicher einzusetzen. 

Das Thema „Digital detox“ kam nicht erst durch den Film in mein Leben. Beim Arbeiten versetze ich mein Smartphone in der Regel in den Flugmodus. Und meistens bringe ich es aus meinem Gesichtsfeld, wenn die eingehenden Nachrichten mich zu sehr in ihren Bann ziehen. Und bezogen auf Kinder und Jugendliche plädiere ich dafür, in der Grundschulzeit noch kein Internet-fähiges Handy anzuschaffen. Aber dass Teenager Social Media nutzen, um sich auszutauschen, hielt und halte ich für völlig normal. Besonders in Corona-Zeiten.

Dank der Dokumentation "Das Dilemma mit den Sozialen Medien" aber ist mir klar geworden, dass wir Kinder und Jugendliche von der Technologie-Seite besser schützen müssen, anstatt Eltern in ihrem Kampf allein zu lassen, tagtäglich Smartphone-Zeiten zu begrenzen.

Nun frage ich mich: Was empfiehlt das „Center for human Technology“ für Kinder und Jugendliche? Welche Möglichkeiten  - außer den Altbekannten - gibt es, sie in diesem Kampf um ihre Aufmerksamkeit besser zu schützen? Was kann ich mit meiner Arbeit dafür tun? 

Habt ihr den Film „Das Dilemma mit den sozialen Medien“ schon gesehen? Und wenn ja, wie ging es euch damit? Ich freue mich über eure Kommentare dazu. 

Immer fröhlich die eigene Aufmerksamkeit schützen,

Eure Uta 

PS 1: Die Serie über die Faber-Mazlish-Methode werde ich weiter führen. Ich merke aber, dass es für mich nicht funktioniert, euch eine neue Folge für jeden Samstag zu versprechen. Ihr habt mir mal geschrieben, dass ihr ein solches Termin-Versprechen nicht braucht. Und ich setze mich damit unnötig unter Druck. Dann schreibe ich etwas Uninspiriertes und das will ich euch nicht zumuten. Deshalb werde ich die Serie über die Faber-Mazlish-Methode fortsetzen, aber unregelmäßig.

PS 2: Das Titelbild ist von August de Richelieu von Pexels. Vielen Dank!

  • Moin, liebe Uta:),
    vielen Dank für diese Ausführungen. Ich werde mir diese Dokumentation auch anschauen und mein eigenes Verhalten zu diesem Themenkomplex reflektieren.
    Ich wünsche Dir einen guten Start in die neue Woche!

    Sehr liebe Grüße
    Rüdiger

    ns. Ich werde wahrscheinlich ab Mitte Mai für 6 Wochen in HH arbeiten; dann können wir uns wieder 1x persönlich treffen.

    • Lieber Rüdiger, danke für deine Reaktion auf meinen Beitrag! Ja, der Film hat uns wirklich wachgerüttelt und wir haben auch das Buch von Jaron Lanier „Zehn Gründe, warum du deine Social Media Accounts sofort löschen musst“ bestellt. Ich schaue dann mal, welche Konsequenzen ich daraus ziehen werde. Herzlichst, Uta

  • Liebe Uta,

    ich habe den Film gesehen (vor Monaten) und ich war auch ziemlich geschockt. Vieles war mir ja bekannt, aber es aus dem Mund derer, die die Apps entwickeln, zu hören, dass es wirklich um „Seelenfängerei“ geht, das fand ich schlimm. Ich sehe aktuell, wie gut das Kalkül der Tech-Konzerne aufgeht: Unser 15jähriger Sohn fühlt sich ohne Handy amputiert. Er hat – und nicht nur, weil ihm durch das Distanzlernen jegliche Strukturen von außen fehlen – im letzten Jahr dermaßen in der Schule nachgelassen, dass er in vier Fächern um ein bis zwei Noten abgerutscht ist – genau, seit wir ihm erlaubt haben (kurz vor dem 1. Lockdown), ein eigenes Instagram-Account zu haben und endlich auch WhatsApp nutzen zu dürfen. Wir dachten, mit 14 Jahren sei er „erfahren“ genug, wir haben seeehr oft mit ihm über Cybermobbing und all das gesprochen – aber die Faszinatin des „Bing“ beim Eintreffen einer neuen Nachricht, die Gier nach Likes – das hatten wir übersehen. Und jetzt ist es schwierig, ihn zu entwöhnen. Gestern haben wir die Reißleine gezogen, da er sich an keine Vereinbarung (ab 22.30 h wird das Smartphone abgegeben, von 20:00 bis 22:00 wird gelernt bzw. Aufgaben gemacht usw.) mehr halten will, und haben die Sim-Karte aus dem Handy entfernt. Er tobt.
    Auch unsere 12-Jährige (sie darf noch keinerlei soziale Netzwerke nutzen), hat durch die permanente Verfügbarkeit des Handys und des Laptops (beides braucht sie für die Schule), inzwischen Schwierigkeiten, sich abzugrenzen. Durch die Pandemie ist es alles ziemlich verschärft, da wir nicht so genau darauf achten können (Homeoffice und 3 Kinder zu Hause), auch das Einschränken der W-Lan-Zeit ist problematisch, da die Kinder ja ins Schulportal müssen und einiges an Aufgaben online erledigt werden muss. Das ist wirklich ein Dilemma.

    Mich hat der Film darin bestärkt, den Kindern so spät wie möglich Zugriff auf soziale Netzwerke zu ermöglichen und ich selbst werde weiterhin weder WhatsApp, noch Facebook nutzen und bei Instagram weiter meine Zeiten im Blick haben. Twitter hab ich gelöscht, obwohl ich die Infos der Menschen, denen ich dort folgte, auch beruflich sehr interessant finde und sie auch sonst nirgends so einfach zu bekommen sind.
    Ich weiß noch, wie du berichtet hast, dass eure Prinzessin mit 11 oder 12 selbst gemerkt hat, dass sie irgendein Programm am Handy zu viel genutzt und es selbst gelöscht hat. Dass ihr als Eltern keine Einschränkungen vorgegeben habt. Das würde heute und bei meinen Kindern NIE funktionieren… diese Selbstregulation bekommen ja selbst Erwachsene nicht hin. Und der Film zeigt ja auch, dass genau dies gewollt ist.
    Nur: Was ist der Ausweg? Den würde ich gerne kennen… ich kann dem Großen ja auch nicht dauerhaft seine Kontakte kappen, schon gar nicht, wo er seine Kumpels in „real life“ nicht treffen kann.

    Liebste Grüße SteffiFee

    • Liebe SteffiFee, wie schön, von dir zu lesen! Danke für den genauen Bericht deiner Erfahrungen, die zeigen, dass es keine einfachen Antworten darauf gibt. Wenn ich etwas Hilfreiches finde, werde ich es hier posten. Eure Kinder können auf jeden Fall froh sein, Eltern zu haben, die sich mit ihnen und komplizierten Themen auseinandersetzen. Müde Grüße (eine unserer Katzen ist sehr krank), Uta

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    Uta


    Ich arbeite als Eltern-Coach, Buchautorin und Journalistin, bin Ehefrau und Mama (ein Sohn, eine Tochter) und kann es nicht lassen, dem Familien-Glück auf die Spur zu kommen. Ich forsche in Büchern, spreche mit Experten und teste alle Erkenntnisse in der Praxis. Nur was mich überzeugt, weil es das Leben mit Kindern wirklich erfüllender macht, schafft es auf diese Seite.

    Deine, Uta

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