Die Faber-Mazlish-Methode, Folge 5 

 17/03/2021

Kein Drama, wenn das Kind mal lügt

Das Buch „Wie Sie sprechen sollten, damit Ihr Kind Sie versteht“ hatte mich bisher zu folgenden Themen inspiriert:

1. Folge: Das Problem benennen und zusammen eine Lösung finden

2. Folge: Sich als Team begreifen

3. Folge: Dem Kind helfen, Wiedergutmachung zu leisten

4. Folge: Die Anstrengung würdigen, nicht das Talent

Heute kommt die 5. Folge mit dem Thema: Kein Drama, wenn das Kind mal lügt.

Die Wahrheit zu sagen, ist eine wichtige moralische Kategorie für uns Eltern. Zumindest reagieren wir heftig, wenn wir merken, dass unser Kind uns angelogen hat. Schnell kommt der Gedanke, unser Kind habe eine charakterliche Schwäche und machen uns ans Werk, diesen vermeintlich schlechten Charakterzug im Keim zu ersticken. Dabei ist das Experiment mit der Wahrheit ein wichtiger Teil der kindlichen Entwicklung.

Bis ein Kind etwa vier Jahre alt ist, kreist es noch sehr um sich selbst und kann ein Geschehen noch nicht aus der Perspektive eines anderen Menschen betrachten. Um jemand anderem aber eine gelungene Lüge aufzutischen, muss ich mir vorstellen können, was der andere von der Sache weiß und wie er es bewertet. Das kann ein Kleinkind noch nicht. Es geht davon aus, dass der andere alles weiß, was es auch weiß. Deshalb muss es sich auf diesem Gebiet ausprobieren, je älter es wird. Wahrscheinlich muss ich als Kind Erfahrungen mit dem Lügen gesammelt haben, um ein wahrheitsliebender Mensch zu werden.

Auf jeden Fall hat mir das kleine Kapitel übers Lügen in „Wie Sie sprechen sollten, damit Ihr Kind Sie versteht“ von Joanna Faber und Julie King gut gefallen.

Joanna Faber

„Tatsächlich zeigt die neueste Forschung, dass das Lügen zu erlernen ein wichtiger Meilenstein in der kognitiven Entwicklung eines Kindes ist.“

Seite 227

Das Lügen-Kapitel beginnt mit dem Klassiker: Mama merkt, dass von dem Schokoladenkuchen in der Küche ein Stück fehlt, und stellt das Kind mit dem verdächtig verschmierten Mund zur Rede. „Hast du von dem Kuchen ein Stück geklaut?“ – Kind: „Nein!“ – Mama: „Du lügst!“

Es ist ungünstig, den Vorwurf der Lüge noch oben drauf zu packen. Das Kind ist schon beschämt genug, weil es bei etwas Verbotenem ertappt wurde. Dass es die Tat abstreitet, zeigt ja, wie zerknirscht es sich fühlt.

Wenn die Schoko-Indizien eindeutig sind, ist es besser,

  1. nicht verhörmäßig zu fragen, sondern die Tat einfach zu beschreiben: „Du hast von dem Schokokuchen genommen.“
  2. den eigenen Ärger zum Ausdruck zu bringen: „Ich ärgere mich, weil ich den Kuchen extra als Nachtisch für das Treffen mit unseren Freunden besorgt habe und jetzt ist er so zermatscht, dass ich ihn nicht mehr anbieten kann.“
  3. bei der Wiedergutmachung zu helfen: „Könntest du Kekse schön auf einen Teller legen? Dann habe ich einen Ersatz.“
  4. für das nächste Mal eine Lösung zu entwickeln: „Ich werde Kuchen besser in den Schrank stellen. Dann steht er nicht so verlockend rum. Und gib mir Bescheid, wenn du Lust auf etwas Süßes hast. Dann schaue ich in meinen Geheimvorräten.“

Falls es keine Kuchenspuren am Kind gibt, sollte ich natürlich fragen, ob es davon genommen hat, ehe ich ihm etwas unterstelle. War es tatsächlich an dem Kuchen, gebe ich meinem Ärger über die Kuchenverwüstung Ausdruck, bedanke mich vor allem aber auch dafür, dass es die Wahrheit gesagt hat.

Danke, dass du mir die Wahrheit gesagt hast.

Der Letzte ist ein wichtiger Punkt: Ich laufe als Mama oder Papa nicht als Lügen-Detektor durch die Gegend, ständig zweifelnd, ob mein Kind mir wohl die Wahrheit sagt, sondern erkenne es dafür an, wenn es mir etwas gestanden oder anvertraut hat. Das stärkt die Bindung und das Vertrauen ungemein.

Wenn das Kind ein Jugendlicher wird, geht es zunehmend eigene Wege. Auch Wege, mit denen wir Eltern nicht immer einverstanden sind. Erinnert ihr euch an meinen Beitrag über das „Buch, von dem du dir wünschtest, deine Eltern hätten es gelesen“ von Philippa Perry?

Perry beschreibt den ersten Elternabend in der weiterführenden Schule. Damals sagte die Schulleiterin: „Selbst wenn Sie denken, dass Ihr Kind Ihnen alles erzählt, wird es Sie anlügen, wenn es in die Pubertät kommt. Und Ihre Aufgabe ist es, daraus keine Staatsaffäre zu machen.“

Keine Staatsaffäre daraus zu machen, das ist Julie King mit ihrem halbwüchsigen Sohn gelungen. Als ich das Beispiel las, bekam ich feuchte Augen. Der Familie war der Internetzugang gesperrt worden, weil Asher in einem Chatroom ein nicht zulässiges Schimpfwort benutzt hatte. Der Jugendliche stritt alles ab und die Eltern ließen es darauf beruhen. Ein halbes Jahr später gestand er, dass er gelogen und doch das Schimpfwort verwendet hatte. Der Vater war kurz davor, ihn zu bestrafen und ihm für eine Woche sämtliche Medien zu verbieten. Aber die Eltern besannen sich und sprachen mit Asher über das Gefühl, das einen beschleicht, wenn man etwas tut, von dem ein Teil von einem weiß, dass es falsch ist: „Aber du hast schließlich die Wahrheit gesagt, auch wenn es nicht einfach war.“

Julie King kamen irgendwann Zweifel, ob sie ihren Sohn zu leicht hatten davon kommen lassen. Aber Monate später stahl Ashers kleine Schwester Süßigkeiten aus seinem Zimmer. Er fand sie unter ihrem Regal und Julie hörte ihn sagen: „Wenn du nicht auf den Teil von dir hörst, der weiß, dass du die Wahrheit sagen solltest, dann fühlst du dich am Ende wirklich sehr schlecht.“ Dann umarmte er seine kleine Schwester und nahm seine Süßigkeiten wieder an sich. (Seite 233)

Ist das nicht schön?

Hier nochmal die wichtigsten Punkte zum Thema „Lügen“:

  • Nicht darauf herumreiten, ob ein Kind nun gelogen hat oder nicht.
  • Lieber es bei anderer Gelegenheit dafür anerkennen, dass es die Wahrheit gesagt und uns ins Vertrauen gezogen hat.
  • Schon den eigenen Ärger zum Ausdruck bringen, aber …
  • auch Möglichkeiten der Wiedergutmachung anbieten und sich gemeinsam Lösungen überlegen.
  • Sich klar machen, dass Experimente mit der Wahrheit zum Aufwachsen dazu gehören

Immer fröhlich das Vertrauen stärken und nicht zu sehr auf dem Thema „Lügen“ herumreiten,

eure Uta

Foto von Andrea Piacquadio von Pexels

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    Uta


    Ich arbeite als Eltern-Coach, Buchautorin und Journalistin, bin Ehefrau und Mama (ein Sohn, eine Tochter) und kann es nicht lassen, dem Familien-Glück auf die Spur zu kommen. Ich forsche in Büchern, spreche mit Experten und teste alle Erkenntnisse in der Praxis. Nur was mich überzeugt, weil es das Leben mit Kindern wirklich erfüllender macht, schafft es auf diese Seite.

    Deine, Uta

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