Familien-Tipps zum Unglücklichsein 

 10/08/2015

Kann ich mein Kind stark machen? Kann ich mein Kind glücklich machen?
Gestern war so ein träger Tag für Teile der Familie. So ein Tag, an dem ich gerne Youtube-Kanäle verstopfen, sie aus dem Bett zerren und ihre Nasen ins Rosenbeet drücken würde, damit sie den Duft aufsaugen. Ich möchte „Stopp!“ brüllen und auf Zeitlupe schalten, wenn sie das Essen schlingen und nicht genießen. Fertige Vorträge habe ich im Kopf über Zeitfenster, die sich schließen. Ich halte sie nicht, wünsche mir aber, sie würden – statt Hunderte von Fotos und Filmchen fremder Menschen zu „liken“ – eine Sprache lernen, ehe es immer schwieriger wird, einen neuen Sport ausprobieren, mit Freunden was Verrücktes machen oder so lange an der Elbe radeln, bis sie so breit wird, dass man das andere Ufer nicht mehr sieht.
Vor einigen Wochen wollte Prinzessin (14) spät abends los, weil sie mit Freunden am Ufer eines Teiches sitzen und Sternen gucken wollte. Mein Mann hatte Bedenken. Ich hatte Mühe zu verbergen, wie sehr ich mich über das Ansinnen freute. Endlich mal was Nicht-Virtuelles. Sie radelte in die Dunkelheit und kam glücklich wieder.
Aber kann ich die Thronfolger zu ihrem Glück zwingen?
Kann ich meine Kinder glücklich machen oder überhaupt einen anderen Menschen?
Ich sprach im Urlaub mit meinem Mann darüber und wir kamen zu dem Schluss, dass man als Eltern höchstens das Unglücklichmachen vermeiden kann.
Ich kam auf folgende Punkte, die man aus meiner Sicht als Eltern unbedingt unterlassen sollte, so eine Art „Anleitung zum Unglücklichsein von Eltern und Kindern“:

  • das Baby schreien lassen und meinen, das würde es abhärten
  • den vorausgehenden Generationen oder der Hardcore-Freundin glauben, wenn sie meinen, man würde das Baby verwöhnen
  • das Tragen am Körper (mit Tuch oder im Tragesack) ablehnen und als Ökospinnerei verunglimpfen
  • Kindern Essen aufzwingen
  • Strafen, womöglich sogar körperlich, und behaupten, man habe es auch erlebt und es habe einem nicht geschadet
  • Interesselosigkeit, totales Laissez-faire, nicht bereit sein, auch mal ’nein‘ zu sagen und den Konflikt auszuhalten
  • Perfektionismus
  • Humorlosigkeit
  • das Kind nie etwas ausprobieren oder riskieren lassen
  • Fixiertsein auf gute Schulnoten
  • ständig Angst haben, es könnte sich erkälten
  • einem Kind gegenüber nie ein Unrecht eingestehen können und sich dafür entschuldigen
  • sich keine Zeit nehmen für das einzelne Kind
  • nie zusammen ein Buch lesen, sich nie von einer tollen Musik mitreißen lassen, keine Farben kaufen, nichts zum Basteln
  • es von der Natur komplett fernhalten
  • das jeweils andere Elternteil, von dem man getrennt lebt, gegenüber dem Kind verunglimpfen oder es sogar tun, wenn man zusammen lebt
  • sich für das Kind aufopfern, eigene Interessen aufgeben und erwarten, dass es eines Tages dafür dankbar sein wird

Ich denke, wenn man diese Punkte meidet, hat man zwar keine Garantie (die gibt es sowieso nicht), aber eine gute Grundlage zumindest für seelisches Gleichgewicht der Nachkommenschaft. Habe ich etwas Wichtiges vergessen? Bestimmt. Bitte schreiben!
Mir gefällt so gut eine Stelle aus Mary Anne Shaffers Roman „Deine Juliet“. Sie beschreibt, wie Dawsey, ein Bekannter, sich um die fünfjährige Tochter einer Freundin kümmert:

Gestern fand ich Kit und Dawsey zusammengekauert im Unterholz neben dem Tor, mucksmäuschenstill wie ein Diebespärchen. Allerdings stahlen sie nichts, sie beobachteten eine Amsel, die einen Wurm aus dem Boden zog. Der Wurm wehrte sich nach Kräften, und wir drei saßen schweigend da, bis die Amsel ihn schließlich durch die Speiseröhre hinunterbefördert hatte. (Seite 183)

Kamera-Allerlei 105

Und dann gefällt mir noch eine Stelle so gut. Diese aber aus dem Buch „Das Tao Te King für Eltern“ von William Martin:

Sind deine Kinder „anstehende Probleme“
oder Menschen zum Liebhaben?
Betrachte die Probleme, die du im Moment
mit deinen Kindern hast.
Kannst du einen Raum schaffen,
der frei ist von deinen eigenen Ängsten,
in dem sie sich ihren eigenen Weg suchen können,
in dem sie deine Liebe spüren,
aber nicht deine Erwartungen? (Seite 26)

Immer fröhlich so einen Raum schaffen.
Eure Uta
… ach, und mein Buch haben gewonnen:
Bianca, Jana und Anna!
Herzlichen Glückwunsch!
Bitte mailt mir eure Anschrift!

  • Tolle Liste! Ich würde den Punkt „ständig Angst haben, es könnte sich erkälten“ auf „ständig Angst haben“ verkürzen.
    Und dann fällt mir (Lehrerin) noch was ein, was ich gerade nicht zum Schlagwort verkürzen kann:
    Ich sehe immer wieder Eltern, die ihr Kind als „Projekt“ nehmen, das nur gelingen kann, wenn sie sich um wirklich alles kümmern. Das ist nicht nur nervig, sondern die Kinder erleben, dass sie es alleine sowieso nicht schaffen werden.
    Hah, jetzt weiß ich’s: „dem Kind ständig misstrauen“.
    Liebe Grüße
    Frau Frosch

  • Liebe Uta,
    mir fällt dazu ein, dass meine Herzbuben diesen Sommer nichts lieber machen, als den Sandkasten zu einer Schlammoase zu verwandeln und dabei die tollsten Spielideen entwickeln. Die Ermahnung, ich oder die Kleidung nicht schmutzig zu machen, würde ihnen jede Menge „(be)greifen“ verwehren.
    Und den Kindern die Selbstständigkeit zu nehmen, weil es schneller geht (z.B. beim Anziehen, Brot schmieren).
    Liebe Grüße,
    Frieda

  • Liebe Uta,
    eines fällt mir noch ein, für mich das Grundübel und Ursache von ganz viel Unglücklichsein: das Vergleichen.
    Vergleiche deine Kinder nicht mit anderen. Es findet sich immer eines, das schneller krabbelt, besser spricht, schöner singt, höflicher Bitte und Danke sagt, ordentlichere Zöpfe hat… (meine Tochter ist drei, deshalb hört der Erfahrungsschatz hier auf ;-))
    Und vergleiche dich nicht mit anderen Müttern/Eltern. Es gibt immer welche, die mehr „Montessori“ sind, hübschere Brotdosen füllen und Häuser mit größeren Kinderzimmern bauen.
    Vergleiche nicht. Nicht laut und nicht leise.
    alles Liebe,
    Kristin

  • Liebe Uta,
    heute kamen das Buch und die Karten hier im Krankenhaus an, vielen lieben Dank dafür! Wir haben uns riesig gefreut! Es ist mir eine Ehre, das Buch zu rezensieren!
    Liebe Grüße live aus dem Krankenhaus,
    Papagena & Benjamin

  • Huhu Uta 🙂
    Offenbar möchte mein Umfeld, dass wir unglücklich sind!
    das Baby schreien lassen und meinen, das würde es abhärten <– soll ich machen, aber würde mir das Herz brechen.
    den vorausgehenden Generationen oder der Hardcore-Freundin glauben, wenn sie meinen, man würde das Baby verwöhnen <– höre ich leider auch öfter. "Heb das Kind nicht andauern hoch, du verwöhnst es!" Wenn wir etwas Neues kaufen: "Und schon verwöhnt ihr das Kind!"
    das Tragen am Körper (mit Tuch oder im Tragesack) ablehnen und als Ökospinnerei verunglimpfen <–Ebenso etwas womit man angeblich das Kind zu sehr verwöhnt.
    Mehr kann ich ja noch nicht sagen zu unserer kleinen Maus. Aber ich kann es halt immer nur wieder erwähnen. Habe es ja bereits schon in den Kommentaren 😉 Aber das bestärkt mich jeden Tag mehr, wenn ich dein Blog lese! Ich muss echt unbedingt dein Buch kaufen… oder doch noch bis Ende September warten auf mein Geburtstag. Bin doch aber so neugierig 😉
    LG
    Bammy

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    Uta


    Ich arbeite als Eltern-Coach, Buchautorin und Journalistin, bin Ehefrau und Mama (ein Sohn, eine Tochter) und kann es nicht lassen, dem Familien-Glück auf die Spur zu kommen. Ich forsche in Büchern, spreche mit Experten und teste alle Erkenntnisse in der Praxis. Nur was mich überzeugt, weil es das Leben mit Kindern wirklich erfüllender macht, schafft es auf diese Seite.

    Deine, Uta

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