Meine jüngste Buch-Anschaffung stammt von einer Österreicherin, die ein Lern- und Beratungsinstitut für Familien gegründet hat. In dem Buch hat sie Gespräche mit Eltern aufgezeichnet. Es sind Mütter – zum Teil auch Väter – , die erzählen, wie es ihren Kindern in der Schule ergeht und was sie unternommen haben, um sie zu unterstützen.

So weit, so gut.

Bis ich zu dem Kapitel kam, in dem eine Frau schildert, dass ihre sechsjährige Tochter Rebecca häufig nicht zur Vorschule gehen möchte.

„Ich habe zu ihr gesagt, dass es in Ordnung ist, dass sie nicht in die Schule gehen will. Ich will auch mehr darüber wissen, warum das so ist. Das heißt nicht, dass sie gleich zu Hause bleiben darf, es heißt lediglich, dass ich mich für das Nein meines Kindes interessiere.“

Das klingt gut, „sich für das Nein meines Kindes interessieren“. Aber je mehr ich las, desto häufiger kritzelte mein Bleistift Comik-Blasen an den Rand des Textes:

„Äh?“ – „Oh, mein Gott.“ – „Kreisch“. –  „Ich kriege die Krätze.“

Von Satz zu Satz wurde deutlicher, dass diese Mutter das „System Schule“ ablehnt und dass das Mädchen die Schul-Ablehnung der Mutter übernimmt.

„Jeden Tag, wenn sie in der Früh aufwacht und sagt: ‚Ach, ich will nicht in diese Babyschule gehen. Die lassen mich nicht Rebecca sein. Ich will dort nicht hin….‘ wenn sie das sagt, dann denke ich mir: ‚Bleib lieber zu Hause und schlaf noch ein bisschen.’“

Die Mutter berichtet schließlich, dass das Mädchen schon seit drei Wochen immer häufiger nicht zur Schule will.

Wundert uns das?

Und auf einen Satz wie „Die lassen mich nicht Rebecca sein“ kommt keine Sechsjährige von alleine. Da findet eine Über-Psychologisierung statt, die das Kind überfordert und ihm massiv schadet.

Da platzt mir echt der Kragen.

Dieses Kind darf nicht Rebecca sein, weil es so sehr wie Mama sein muss, weil es in erster Linie mit seiner Mutter kooperiert und spürt, dass deren Weltbild schwer erschüttert würde, wenn Klein-Rebecca die Hände in die Hüfte stemmen und rufen würde: „Komm, Mama, reiß dich zusammen, ich schaffe das schon!“

Ihr wisst, wie wichtig es mir ist, dass ein Kind der Mensch werden darf, der in ihm angelegt ist.

Ihr wisst auch, dass ich nicht alles toll finde, was in unseren Schulen läuft.

Aber wenn ein Kind damit aufwächst, dass seine Eltern von Schule sprechen, als wäre das ein Einsatzort für Amnesty International, sind die Schwierigkeiten vorprogrammiert.

Und wenn – laut Aufzeichnung – die Beraterin nur die Äußerungen der Mutter spiegelt und am Ende des Gesprächs lediglich sagt: „Das wünscht du dir sehr, dass Rebecca Mensch sein darf in der Schule, die sie gerade besucht, oder?“ finde ich, dass manchen Leuten wirklich die Maßstäbe verloren gehen.

Als Beraterin hätte ich schwer an mich halten müssen, um bei der Frau nicht Methoden anzuwenden, die Amnesty doch noch auf den Plan gerufen hätte.

Denn was die Mutter an der Vorschule störte, waren so Dinge wie, dass die Erzieherin dem Mädchen beim Gang auf die Toilette zu viel Unterstützung aufgedrängt hätte. Und deshalb werde das Kind nicht in seiner Individualität wahr genommen. Ja, geht’s noch?

Gerade die Mütter, die sich so sehr Stärke und Selbstbewusstsein für ihr Kind wünschen, schwächen es mit diesem übersteigertem Schutzbedürfnis.

Kuscheltiere gewaschen, damit ich mich nicht so aufrege.

Ich wünsche Rebecca,

  • dass ihre Eltern sie in Ruhe lassen mit all ihren Bedenken und Sorgen
  • dass sie ihr zutrauen, auch mit Situationen oder Lehrern zurecht zu kommen, die nicht optimal sind
  • dass ihre Eltern ein Gespür dafür entwickeln, wann sie wirklich Partei für ihr Kind ergreifen müssen
  • dass das Leben für Rebecca kinderleicht sein darf

Immer fröhlich den Kindern ein Halt sein und kein überempfindlicher Seismograph ihrer Befindlichkeiten

Eure Uta

  • Interessanter Beitrag !
    ich war am Wochenende in einem Film der genau dieses Thema beleuchtet und muss leider sagen,dass ich schon mit Bauchweh rausgegangen bin,weil ich dachte,ich mache alles falsch,ich fand aber auch viele Denkansätze sehr logisch.Es wäre ein Leichtes ,die Dinge so zu sehen ,dass die Kinder das schon schaffen,denn das nimmt uns viel von der Angst,zu manipulieren,damit Kinder funktionieren.Ich denke,sowohl das eine als auch das andere hat seine Berechtigung und seine Tücken.Der Grad ist schmal.Der Film heißt „Alphabet „und der Trailer ist unter http://www.alphabet-film.com anzuschauen. Ich muss immer Staub saugen,wenn ich mal wieder zu viel weg denken muss.Liebe Grüße von Silke !

    • Liebe Silke, was bei dir das Staubsaugen, ist bei mir das Wäscheaufhängen. Gut, dass du mich an den Film ‚Alphabet‘ erinnerst. Ich habe ein Besprechungs-Exemplar zugesendet bekommen und erhalte nun von dir den Stups, ihn mir endlich anzusehen. Danke! Den Trailer fand ich ganz vielversprechend. Herzliche Grüße Uta

  • Du hast ja mal wieder so recht. Ich sitze manchmal auch in den Elternabenden und glaube nicht, was ich da höre. Mein Gott, unsere Kinder müssten demnach alle völlige psychologische Wracks sein. Deine Einstellung gefällt mir so gut, einfach dem Kinde (und uns) vertrauen und nicht in alles und jedes ein Problem hineinlesen!
    Liebe Grüße, Dani

  • Liebe Uta,
    dann „oute“ ich mich hier jetzt mal als genau so eine Mutter. Immer hab ich Angst, dass jemand gemein zu ihr ist … sie die schwache ist …
    Und was zeigt sie mir? Sie ist die super Große, die schon am 2. Kindergartentag ohne Mama sein möchte. Heute schon fast ohne Tschüß-sagen. Ich bin die, der das echt schwerfällt, die aber nun lernen muss, der Lütten zu vertrauen …
    Ich hab noch ein paar andere Themen, die auch gaaaanz ungefähr in diese Richtung gehen – und mit Uta besprochen werden möchten … 😉
    Für heute erstmal liebe Grüße,
    Dorthe

    • Liebe Dorthe, das ist ja toll mit dem großen Kindergartenmädchen! Ich freue mich sehr. Aber du hättest mich mal kennen sollen, als meine Kinder in dem Alter waren. Da hätten wir beide eine Selbsthilfe-Gruppe aufmachen können und ich hätte dich locker übertroffen in meinem Schutzbedürfnis. Bis demnächst, ich freue mich! LG Uta

  • Liebe Uta,
    ich hatte gestern eine Unterhaltung mit der Erzieherin unsere Tochter, die mit ihrer Kindergartengruppe jeden Monat einen tollen Ausflug in den Wald macht. Auf die Ausflüge bezogen, hab ich zur Erzieherin gesagt: „Den Kiddies gefällt doch mit Sicherheit die Zeit im Wald. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das ein Kind nicht mag.“ Darauf Sie: „Ganz im Vertrauen. Das gefällt jedem Kind. Schade nur, dass es Kinder gibt, die das nicht miterleben dürfen, weil die Eltern das nicht wollen. Es gibt Kinder, die kommen einen Tag vor dem Waldtag zu mir und sagen, dass sie morgen leider nicht mitfahren könnten, weil sie dann Bauchweh oder sowas hätten.“
    Da fällt einem doch nix mehr ein, das macht mich so wütend.
    Dir wünsch ich ein schönes Wochenende.
    Angela

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    Uta


    Ich arbeite als Eltern-Coach, Buchautorin und Journalistin, bin Ehefrau und Mama (ein Sohn, eine Tochter) und kann es nicht lassen, dem Familien-Glück auf die Spur zu kommen. Ich forsche in Büchern, spreche mit Experten und teste alle Erkenntnisse in der Praxis. Nur was mich überzeugt, weil es das Leben mit Kindern wirklich erfüllender macht, schafft es auf diese Seite.

    Deine, Uta

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