Sich zeigen 

 12/04/2014

In dieser Woche hatte ich ein Treffen einer Arbeitsgruppe von Eltern, die sich an unserer Schule gebildet hat. Worum es da inhaltlich geht, spielt jetzt keine Rolle. Bei diesem Treffen habe ich mich mit Äußerungen zurück gehalten. Die anderen waren so in Schwung, da wollte ich sie nicht ausbremsen. Rechthaberei und Besserwisserei kann ich sowieso nicht leiden. Und da ich weiß, dass ich eine Neigung dazu habe, halte ich in solchen Situationen lieber den Mund.

Schon in der Schule sagte mein Deutschlehrer: „Uta, wenn deine Meldung wieder mit einem ‚aber‘ beginnt, nehme ich dich nicht mehr dran.“

Mir ging bei dem Treffen der Elterngruppe vieles durch den Kopf, sicher auch die Angst, alleine da zu stehen mit meiner Meinung.

Ich bin früher gegangen, habe das Auto gewendet im kalten Licht einer Tankstelle und bin ein wenig niedergeschlagen nach Hause gefahren.

Bin ich zu abwägend, zu verschlossen, zu kontrolliert, zu feige?

Rechthaberei ist blöd, wirklich. Aber dieses „Sich-nicht-zeigen“, „Sich-als-Person-nicht-einbringen“, „Mit-seiner-Meinung-hinterm-Berg-halten“ kann einen sogar krank machen.

Meine Trainerin beim Coaching sagte mal sinngemäß:

Auf manchem Grabstein könnte man draufschreiben: „Paket geht ungeöffnet an Absender (Gott) zurück.“

So ein ungeöffnetes Paket will ich nicht sein.

Ich zeige, wer ich bin, „kippe die Waagschalen um und fülle sie mit Wind“ (Hilde Domin) und mache fröhlich den Mund auf. Ja, dann sagt man vielleicht mal was Falsches, dann steht man vielleicht mal alleine da. So what!

Kürzlich entdeckte ich in der Zeitung eine Todesanzeige, über die der Satz stand:

„Es liegt keine Tragik im Ende eines erfüllten Lebens.“

Ist das nicht ein wunderbarer Satz?  Mir imponiert die Dankbarkeit für ein gelebtes Leben und die Akzeptanz des Todes, die darin steckt. Dabei ist 74 ein Alter, bei dem viele Angehörige schreiben würden: „viel zu früh“ oder „wurde jäh aus unserer Mitte gerissen“.

Dies ist die Anzeige. Ich habe sie anonymisiert und mir erlaubt, sie etwas fröhlicher zu gestalten.

 

Das mit der Eltern-Arbeitsgruppe ist nur ein höchst profanes Beispiel aus meinem Alltag. Aber mein kleiner Blues danach hat mich an diese Todesanzeige erinnert und daran, dass es nicht gut ist, mit seinen Überzeugungen, Ideen und Talenten hinterm Berg zu halten.

Für mich ist ein Tag ein erfüllter Tag, wenn ich mir selbst treu geblieben bin.

Was ist für euch ein erfüllter Tag?

Womit haltet ihr hinterm Berg?

Immer fröhlich alles auspacken, was in euch steckt.

Eure Uta

Titelbild von Andrea Piacquadio von Pexels. Vielen Dank!

  • Liebe Uta,

    Vorsicht, die drübergeklebten Sticker sind durchsichtig (wg. „Anonymität“)!

    Dein Thema ist auch ein „lebenslängliches“ von mir, bewusst wurde mir mein oft „vorlautes“ und besserwisserisches Diskussionsverhalten in einer Fortbildungsgruppe, als die Leiterin mich damit konfrontierte. Ich bin ihr dankbar dafür, denn dadurch wurde mir bewusst, wie groß mein Bedürfnis war, mich auf eine eher kindliche Art hervorzutun: „Schaut her, überseht mich nicht, lobt mich…“. Mir geht es jetzt viel besser damit, dass ich grundsätzlich erst mal zuhöre und abwarte, bis andere ihre Meinung gesagt und sich ggf. eine Zeitlang auseinandergesetzt haben. Wenn meine eigene Position dann noch nicht vertreten wurde, bringe ich sie ein und bin dann schon um einiges ruhiger als am Anfang, wo manche Beiträge mich vielleicht sehr zum temperamentvollen Widerspruch reizten. Dieses Abwarten fällt mir immer noch nicht leicht, aber ich weiß, dass es mir hinterher besser geht. Inzwischen kann ich es auch besser akzeptieren, wenn meine Meinung keinen Anklang findet (das hat mich früher sehr aufgeregt). Sich selber treu zu bleiben, auch wenn man keinen Erfolg damit hat – das ist die Kunst (in der ich auch noch viel Übung brauche). Ganz zu schweigen ist natürlich auch kein gutes Gefühl, aber dennoch besser als zuviel oder im falschen Ton geredet zu haben, für mich jedenfalls.
    Herzliche Grüße und ein Kompliment für deine immer wesentlichen Themen und Texte!
    Brigitte

  • Leider halte ich nur mit sehr wenig hinterm Berg, weil mir das Herz auf der Zunge liegt und ich meine Gedanken oft zu schnell ausspreche. Leider, weil es vielleicht gut tut, zu zeigen wer man ist und was man denkt, welche Fragen einem beschäftigem und worüber man sich gerade ärgert, aber weil das bei den Menschen im Umfeld nicht immer gut ankommt. Im Unterricht früher platze ich oft mit dem, was mir gerade einfiel sofort in die Runde ohne mich zu melden, was sowohl bei den Lehrern als auch den Mitschülern, die sich brav gemeldet hatten, nicht gut ankam. Ein Junge, den ich mit 15 toll fand, erklärte mir, dass er es schlimm fände, wenn jemand – so wie ich – seine Emotionen nicht unter Kontrolle hätte und immer impulsiv direkt aussprechen würde was er denkt, weil das eben selten angemessen wäre. Mir wurde auch schon gesagt, ich wäre undiplomatisch, meine direkten Fragen wären distanzlos und kürzlich fühlte sich eine Kundin sehr brüskiert, weil ich ihr sagte, wo es meiner Meinung nach in ihrer Wohnung hakt – obwohl sie mich genau deshalb geholt hatte. Sie fühlte sich dadurch in ihrem Geschmack gekränkt.
    Auszusprechen was man denkt und die Fragen zu stellen, die einem auf den Nägeln brennen kann dazu führen, dass man andere Menschen verärgert und ihnen zu nahe und auf die Füsse tritt. Es gibt nicht so viele Menschen, die es mögen, wenn an ihnen sehr offen begegnet, weil sie sich in die Enge getrieben oder auf ungute Art entlarvt fühlen.
    Mir geht es da wie Brigitte – ich habe gelernt, mich zurückzuhalten und erstmal abzuwarten, weil sich dann mancher Aufreger vielleicht schon erledigt hat, oder ich festelle, dass es sowieso nichts bringen würde, ein Argument anzubringen, weil das Gegenüber dem gar nicht zugänglich wäre.
    Außerdem ist es mir mit den Jahren immer unwichtiger geworden, andere Menschen von meiner Position zu überzeugen. Meistens ist das sowieso nicht möglich, weil Menschen nun mal in unterschiedlichen Realitäten leben. Oft reicht es mir für meine Positionierung schon aus zu wissen, dass ich das anders sehe und warum. Eine Diskussion über meine Position wäre in dem Fall nur vergeudetes Adrenalin und verschwendete Zeit.
    Allerdings kommt es schon sehr stark darauf an, wie wichtig mir etwas ist – wenn ich unbedingt finde, dass etwas geändert werden muss, dann sage ich das auch. Auch, wenn ich mich damit gegen die Mehrheit stelle und/oder Gegenwind fürchten muss.

    Herzlich, Katja

    • Liebe Katja, ich mag es, wenn Menschen wohlmeinend ehrlich sind. Es kann befreiend sein. „Small talk“ wird zu „big talk“, wie neulich mit meiner Fußpflegerin und dem Satz „sie sind zu lau“. Daraus ist das beste Gespräch entstanden, das ich seit langem hatte. Danke für deinen Kommentar! Uta

  • Hallo Uta!
    Bewundernswert finde ich deine Haltung bei unterschiedlichen Meinungen. Du verstehst es, auf
    ruhige Art, deine Ansicht zu äußern. „Nicker“ sind mir ein Greul, besonders wenn sie hinten-
    herum ihren Mund auftun. Muss hierzu kommentieren M.

  • Ich kann deinem Resümee nur zustimmen. Und doch fehlt mir mit den Jahren immer mehr die Kraft, öfter am Rand zustehen, weil man seine Meinung kund tut. Ich möchte auch einmal dazugehören. Glücklicherweise finde ich in der Bloggerwelt inzwischen immer öfter Menschen, bei denen Offenheit & Anderssein möglich ist…
    LG
    Astrid

  • Liebe Uta,
    ich kommentiere heute das erste Mal bei Dir obwohl ich schon seit ein paar Wochen Deinen Blog lese. Deine Denkanstöße sind toll, wenn ich auch nicht immer Deiner Meinung bin. :-). Danke dafür.
    Seitdem meine Kinder auf der Welt sind und sich während der ersten Schwangerschaft einige unerfreuliche Dinge ereignet haben, lerne ich meine Meinung (wieder) zu sagen. Ich weiß, dass ich als Kind oft als vorlaut galt. Also gehe ich davon aus, dass mir das gehörig ausgetrieben wurde. Wie auch immer. Ich glaube, dass ich schon immer anderer Meinung war als viele andere und nach eine langer Zeit des „brav seins“ bin ich nun langsam wieder ich selbst. Was natürlich mit sich bringt, dass ich oft „anders“ bin als die anderen. Mit der Zeit lerne ich, mit wem ich über was sprechen kann und ansonsten höre ich zu, bilde mir oder habe bereits meine eigene Meinung und freue mich darüber klüger zu sein als der Rest. 🙂
    Viele liebe Grüße
    Stefanie

  • Hallo uta, ich lese deinen blog schon seit monaten mit, habe jedoch noch nichts geschrieben, da meine meinung oft von anderen vertretten wurden und ich einfach nichts weiter hinzufügen brauchte, als ein zustimmendes nicken. So geht es mir auch oft im realen leben bei elternabend etc. Ich bin nun mal von natur aus etwas zurück haltener und schau mir oft bei gesprächen erstmal an was los ist, was die anderen sagen usw. Oft kann ich auch meine meinung nicht so gut wieder geben wie andere es tun würde. Jedoch bin ich aber in der lage meine meinung wiederzugeben, wenn sie mir persönlich auch wichtig ist, nicht nur bei irgendwelchen gesprächen, sondern auch gegen über anderen personen. So sage ich z.b. auch mal eine andere mutter das man sich gern auf dem spielplatz treffen kann, damit die kinder zusammen spielen können, aber privat weiter nichts mit ihr zu tun haben möchte. Damit macht man sicherlich keine freunde, aber ich bin in meinen leben leider zu oft menschen über den weg gelaufen, die auf freundlich getan haben, aber hinter den rùcken über einen herfallen.
    Aber das ist glaube ich, ein anderes thema. 😉

    Lg nicky

  • Liebe Uta,
    ich kenne das total gut und halte dann auch in der Regel die Klappe, zumindest erstmal. Mittlerweile weiß ich, dass es dieser innere Standpunkt von „ich weiß es besser“ oder „boah, haben die schon wieder bescheuerte Ideen“ ist, der nicht funktioniert. Ganz manchmal schaffe ich es dann, die Wertung rauszunehmen, konstruktiv zu denken und dann meine Meinung auch zu sagen. Und das funktioniert dann auch gut. Häufig ist der Termin dann schon verstrichen 😉 … Aber manches kann man ja auch später noch klären …

    LG, Isa

  • Hallo Uta,
    Dein Beitrag ist sehr – sagen wir mal nachdenklich stimmend und interessant. Ich bin immer für offene Worte – egal ob Elternabend oder privater Bereich. Ich vertrage auch Kritik – in dieser Situation ganz wichtig, denn wer offen ausspricht, was ihm gefällt oder missfällt oder auch nur seine Meinung vertritt … nicht immer kommt man damit weiter ! Aber selber geht es mir besser damit ! Und ich muss und darf auch mal an mich denken 🙂 LG Kerstin P.S.: Ich sehe es wie Nicky (1. Kommentar). Viele schreiben schon vorher, was ich auch denke – aber lesen tu ich alles hier 🙂

  • Ach Uta,
    schon wieder so ein großes Thema ;-). Es geht mir oft so, dass ich auch einfach den Mund halte,
    weil ich ja so tolerant bin und weiß, dass jeder seine eigene Wahrheit hat, mich die Meinung anderer auch (vermeintlich???) gar nicht berührt, weil es ja nur deren Wahrheit ist,
    ich einfach zu faul bin, mich mit anderen anzulegen, weil mich das oft nicht weiterbringt, ich die anderen eh nicht ändere, weil sich nur jeder selber ändern kann,
    hier in Miami auch manchmal weil ich das Gefühl habe, das was ich sagen will, nur auf Deutsch präzise genug ausdrücken zu können,
    aber manchmal beschleicht mich auch das Gefühl, wie meine Vorrednerin sagt, dass es mir selber besser gehen würde, ich mich auch selber besser kennenlernen würde, wenn ich in manchen Situationen klarer Stellung -zu mir- beziehen würde. „Unbequem“ sein fällt mir schwer, „brav sein“ war so lange Programm. Ich geh mich also mal selber suchen und behalte den Satz der Todesanzeige sicher im Hinterkopf!

  • Wie gerne gelesen – Danke für diese Gedankenanregung,diese schöne, wohltuende. Wobei ich – nachdem ich Katjas gelesen habe – ebenfalls feststellen muß, dass ich mit den Jahren ruhiger, stiller geworden bin. Und ja, es mir oft wichtiger ist, zu wissen, wo ich stehe und weniger den Drang habe, anderen klar zu machen, wie meine Position aussieht. *Alles wirkliche Leben ist Begegung* – so hängt mein Reden oder Schweigen wohl mehr und mehr mit meinem Gegenüber zusammen…

    Schöne Ostern, dir und deiner Familie!

  • Vielen Dank, liebe Uta.
    Eigentlich möchte ich Dir viel öfter kommentieren und danken. Aber es fehlen die treffenden Worte und manchmal lösche ich während des Schreibens den Kommentar wieder, weil ich nicht ausdrücken kann, was Deine Worte so bewirken.
    So oft zweifelt man (zweifle ich) im Leben über sich und seinem Verhalten.
    Dann liest man da zufällig ein bisschen „Katzenklo“ und man bekommt sooo viel Hilfe von der lieben Uta. Immer mal wieder – oder so gut wie immer – triffst Du den Nagel auf den Kopf.
    Du hast die richtigen Worte und man fühlt sich so viel besser, wenn man sich erkennt und Uta die Selbstzweifel einfach wegpo(u)stet…
    Vielen Dank, mach weiter so.
    Liebe Grüße
    Bettina

    • Liebe Bettina, gerade habe ich eine Stunde lang mit meinem Fotobearbeitungsprogramm gekämpft und plötzlich lese ich zufällig deinen Kommentar und der Frust ist einfach weggepustet. Ich habe auch zu danken, liebe Bettina, herzlichst, Uta.

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    Uta


    Ich arbeite als Eltern-Coach, Buchautorin und Journalistin, bin Ehefrau und Mama (ein Sohn, eine Tochter) und kann es nicht lassen, dem Familien-Glück auf die Spur zu kommen. Ich forsche in Büchern, spreche mit Experten und teste alle Erkenntnisse in der Praxis. Nur was mich überzeugt, weil es das Leben mit Kindern wirklich erfüllender macht, schafft es auf diese Seite.

    Deine, Uta

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