Herr H. und die jungen Herrschaften 

 17/03/2015

Wie Nachhilfe Familien entlasten kann.

Herr H. ist in unserer Gegend ein beliebter Nachhilfelehrer. Früher war er Lehrer für Mathe und Physik am örtlichen Gymnasium. „Aber was soll ich zu Hause rumsitzen und Däumchen drehen“, sagt Herr H., „da helfe ich doch lieber den jungen Herrschaften.“
Herr H. mag die „jungen Herrschaften“. Wenn Prinzessin (14) in die Küche tritt, um mit Herrn H. am großen Tisch zu lernen, geht ein Strahlen über sein Gesicht. Er zieht Ringbücher und Hefte aus seinem Werbe-Rucksack von der Fluggesellschaft, findet auf dessen Grund noch einen Bleistiftstummel, taucht mit hochrotem Gesicht wieder empor und fragt: „Na, Fräulein, was liegt an?“
Beide haben einen Stapel Schmierzettel vor sich liegen, die sich schnell füllen mit Gleichungen aller Art. Meistens wird parallel gerechnet und dank des kurzen Jubels zwischendurch teilt sich allen Hausbewohnern mit, wenn bei den beiden eine Übereinstimmung der Ergebnisse eintritt.
Selbst wenn Herr H. neu in eine Familie kommt, ist der Kaffee schon gebrüht, ein Stück Kuchen steht bereit. Es gibt wohl keinen intimeren Kenner privater Backkünste in unserem Stadtteil als Herrn H., weil fast jede Mutter, die ihn der nächsten für ihr Kind empfiehlt, am Ende noch erwähnt: „Du solltest ihm eine Tasse Kaffee anbieten und Donauwellen isst er immer gerne.“
Bringt man den Rechnenden zwischendurch die Stärkung und erkundigt sich nach den Fortschritten beim Ziehen der Tangente, zeigt sich Herr H. empört über den geringsten elterlichen Zweifel: „Bei so einem klugen Mädchen ist das überhaupt kein Problem.“ Und er zieht die buschigen Augenbrauen hoch, als wollte er sagen: „Wie können Sie überhaupt fragen?“
Herr H. ist der Glücksfall eines Nachhilfelehrers, weil er nicht nur erklären kann, sondern weil er ein großer Ermutiger ist. Vielleicht ist das sogar die wichtigste Aufgabe eines Nachhilfelehrers, dass er nicht nur das Fachliche vermittelt, sondern das Selbstvertrauen stärkt. Deshalb gibt es bei uns jede Woche, immer dienstags, eine Stunde der mathematischen Ermutigung.
Ich weiß, dass viele Menschen den explodierenden Nachhilfe-Markt in Deutschland kritisch sehen. Viele meinen, der große Bedarf an Nachhilfe zeige das Versagen der Schule und nehmen sich keinen Nachhilfe-Lehrer, weil sie die Schule nicht aus der Pflicht lassen wollen, alle Kinder gleichermaßen zu fördern.
Da mögen sie Recht haben. In diesem Fall habe ich aber lieber ein glückliches Kind, als im Recht zu sein über das sogenannte „Schulsystem“. Und wenn Schulen – was sie zunehmend tun – Förderunterricht anbieten, ist das natürlich auch ein prima Sache.

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Warum Nachhilfe Familien sehr entlasten kann:

  • Ein Nachhilfelehrer kommt von außen und ist nicht verflochten in die familiären Beziehungen. Mit so jemanden lernt es sich unbeschwerter und konzentrierter als mit Mama oder Papa.
  • Die vereinbarte Zeit und Dauer gibt dem Lernen Struktur. Gegenüber jemandem, der von außen kommt, drückt man sich nicht so schnell. Dann wird geübt, bleibt eine Stunde konzentriert, und dann ist auch Feierabend.
  • Weil er außerhalb der Schule steht, hat der Nachhilfelehrer einen unbefangenen Blick auf den Schüler.
  • Da seine Arbeit direkt vom Erfolg abhängig ist, haben Nachhilfelehrer meistens ein großes Eigeninteresse daran, den Schüler voran zu bringen.
  • Wenn man für die Unterstützung eine ältere Schülerin oder einen Studenten findet, kommt der Coolness-Faktor hinzu und das eigene Kind lässt sich von so jemanden besser motivieren als von den üblichen Verdächtigen.
  • Nachhilfe muss nicht teuer sein. Vielleicht ergeben sich auch Tausch-Geschäfte: „Wenn Sie Lisa in Mathe helfen, könnte Sie bei ihnen am Wochenende babysitten.“

Beim Abschied stehe ich mit Herrn H. noch in der Tür. „Bei Fräulein Tochter habe ich wegen der Mathearbeit gar keine Bedenken“, sagt er und zwinkert Prinzessin zu. „Die hat ja was in der Birne.“
Immer fröhlich einen ermutigenden Nachhilfelehrer suchen.
Eure Uta

  • Liebe Uta,
    das ist wieder so toll beschrieben! Man meint beim Lesen, man säße mit Euch am Küchentisch… so lebendig schilderst Du diese Situation!
    Wir haben leider einige „Nachhilfe-Reinfälle“ hinter uns.
    Am besten hat sich mittlerweile bewährt, eine Schulfreundin einzuladen, die ganz nebenbei etwas bei den Hausaufgaben helfen kann, weil sie selbst Mathebeste in der Klasse ist. Das funktioniert ganz gut, allerdings braucht das Tochterkind auch nur hin und wieder bei speziellen Themen etwas Hilfe.
    Hast Du eigentlich schon einmal daran gedacht, die von Dir erlebten und festgehaltenen Episoden zu einem Buch zusammenzufassen?
    Es liest sich jedes Mal so grandios,
    und den subtilen Humor liebe ich ganz besonders!
    Allerliebste Grüße,
    Papagena

    • Danke, liebe Papagena, da freue ich mich ganz doll! … und – als hätte es eine meiner treuesten Leserinnen geahnt – es wird ein Buch geben, noch in diesem Jahr. Jubel!
      Herzliche Grüße in den Süden!
      Uta

  • Tauschgeschäft klingt gut. Aber wie findet man die geeigneten Nachhilfeschülereltern? Beim Edeka einen Zettel aufhängen „Erfahrene Mathelehrerin erklärt gerne Kursstufen-Mathematik während Sie mir meinen Pax mit Innenbeleuchtung aufbauen. Kenntnisse im Malern, Tapezieren und Laminat verlegen erwünscht“
    Lachende Grüße
    Coreli

  • Ich habe schon früher geschrieben, deine Erziehungstips sollten mehr
    Kindern zugute kommen. Da ich einer anderen Generation angehöre,
    können meine Kinder nicht mehr davon profitieren. schade! M.

  • Wunderbar beschrieben. Dieser Nachhilfe-Lehrer ist ja wunderbar.
    Die Erfahrung, dass der Prophet im eigenen Land nichts zählt, hab ich übrigens auch schon gemacht (in Latein 😉 )
    Lieben Gruß
    Birgit

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    Uta


    Ich arbeite als Eltern-Coach, Buchautorin und Journalistin, bin Ehefrau und Mama (ein Sohn, eine Tochter) und kann es nicht lassen, dem Familien-Glück auf die Spur zu kommen. Ich forsche in Büchern, spreche mit Experten und teste alle Erkenntnisse in der Praxis. Nur was mich überzeugt, weil es das Leben mit Kindern wirklich erfüllender macht, schafft es auf diese Seite.

    Deine, Uta

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