Eine gesunde Portion Männlichkeit fürs Kind 

 06/07/2019

Prinzessin am Steuer und warum Papas so wichtig sind für den Nachwuchs.

Prinzessin hat seit zwei Wochen den Führerschein. Sie bringt mich zum S-Bahnhof, wenn ich nach München reise. Ich stehe dann am Straßenrand, nehme den Koffer auf und sehe sie davon fahren. Allein. Mit dem Auto. Am Steuer. Ich kann nichts machen. Keine Tipps mehr geben. Kein „Wenigstens-dabei-sein-wenn-etwas-passiert“. Lieber auch nicht winken, sonst sieht sie in den Rückspiegel, winkt auch, ist abgelenkt … Mir bleiben Stoßgebete und auch Stolz, dass sie das jetzt kann und macht. Gestern war Seepferdchen, heute Autofahren. Was kommt als nächstes?
Wieder in Hamburg habe ich die Devise ausgegeben: „Allein im Auto zurück von der S-Bahn. Das ist okay. Aber sonst möchte ich für den Anfang dabei sein, wenn du fährst.“ Sie guckte mich an. Kein Kommentar. Und als das Thema aufkam, ob sie mit dem Auto zum Übernachten zu ihrer Freundin fahren darf, habe ich ‚Nein‘ gesagt und mich gefeiert für meine Prinzipien-Treue. Hallo?! Luisa wohnt an der Elbe. Da parkt man direkt am Fluss. Was wenn Prinzessin die Pedale verwechselt und ins Wasser schießt!?
„Was, Uta“, würde ich beim Online-Coaching fragen, „lässt dich denken, sie könnte die Pedale verwechseln? Welches Bild hast du von deiner Tochter? Vertraust du ihr?“
Hach, immer diese unangenehmen Fragen!
Als ich meinem Mann erzählte, dass ich hart geblieben sei, hat er zwar wenig dazu gesagt, aber ich spürte, dass er anders entschieden hätte. „Es ist wichtig, dass sie Fahrpraxis bekommt“, sagte er nur. Auch sonst ist er lockerer, was das nächtliche Ausgehen der Kinder, was ihre Reisen und Auslandsaufenthalte angeht. Er würde auch mit ihnen Fallschirmspringen wie ein Freund von uns, der seiner Tochter ein solches Abenteuer zum 18. Geburtstag geschenkt hat. Da war dieses Funkeln in seinen Augen, als Lars davon erzählte. Und ich sagte nur schnell: „Es ist spät. Lass uns gehen.“
Sind es vor allem die Väter, die ihre Kinder ermutigen, sich zu erproben? Ist das ein altes Gender-Klischee oder ist etwas daran?
Dazu habe ich im Magazin der Süddeutschen Zeitung ein interessantes Interview mit der Verhaltensforscherin Anna Machin von der Universität Oxford gelesen. Machin hat zehn Jahre lang über Väter geforscht und untersucht, wie sie Bindung zu ihren Kindern aufbauen und welche Bedeutung sie für sie haben. Darüber hat sie das Buch „The life of dad. The making of the modern father“ geschrieben.
Welche wichtigen Punkte habe ich mitgenommen aus dem Interview:

  • Die Chance, dass ein Kind sich gesund entwickelt, ist höher, wenn der Vater an seinem Aufwachsen beteiligt ist.
  • „Die Evolution vermeidet Redundanz. Also sind die Rollen des Vaters und der Mutter von Anfang an unterschiedlich angelegt.“ (Zitat aus dem Interview)
  • Wenn die Mama mit dem Kleinkind interagiert, ist in ihrem Gehirn vor allem das limbische System aktiviert, also das Gefühlszentrum. Messungen haben gezeigt, dass beim Vater dagegen der Neokortex verstärkte Aktivität zeigt, wenn er sich mit dem Baby beschäftigt. Der Neokortex ist für die Kognition zuständig, für das Kommunizieren, das Planen, Anschieben und Herausfordern. Professorin Machin sagt: „Er hat den Drang, das Kind anzuschubsen, seinen Grenzen entgegen. Es geht darum, dass das Kind die Welt entdeckt, wie es mit Risiken umgeht, auch mit einem Versagen.“
  • Aus dem Grund ist es wichtig, dass ein Kind Männlichkeit erlebt.
  • Interessanterweise hat man festgestellt, dass bei schwulen Vätern die Hirnaktivität in beiden Arealen, also sowohl im kognitiven als auch im emotionalen Bereich ansteigt, wenn sie sich um ihr Kind kümmern. Sie können also gleichzeitig Mama und Papa sein. Die Frage, ob das auch für lesbische Mütter gilt, hat die Professorin aus Oxford bejaht. Offenbar geht es dann eher um das Prinzip „Männlichkeit“. So kann in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften das fehlende Geschlecht und seine Stärken wohl zumindest ein Stück weit kompensiert werden. In gewissem Maße – so Machin – gelte das auch für Alleinerziehende. Wenn diese auch allein wunderbare Kinder großzögen, habe das oft auch damit zu tun, dass sie für einen guten Kontakt zum Vater oder zu anderen Männern (Opa, Onkel, Freund …) sorgen würden.
  • Darüber hinaus hat Anna Machin herausgefunden, dass Männer die Bindung zu ihrem Kind über Interaktion aufbauen. Während die Mama durch das Wechselspiel der Hormone bei der Geburt und beim Stillen einen großen Bindungs-Vorsprung hätte, brauche Papa etwa 18 Monate, bis ein ähnlich belastbares Band zwischen ihm und dem Kind entstehe. Dieses Band wächst beim Vorlesen, zusammen etwas bauen, spielen und vor allem beim Toben, Raufen, Rangeln, Kitzeln …
  • Deshalb sind Mütter vielleicht genervt, wenn Papa abends nach dem Nachhausekommen die Brut noch einmal so richtig aufmischt. Wenn ihr aber versteht, dass er das braucht, um die Bindung zu stärken und das Kind dabei anschubst, seine Grenzen zu erweitern, könnt ihr das vielleicht besser akzeptieren.

  • Wir Mamas (mich eingeschlossen) erliegen leicht dem Irrglauben, dass der Vater genauso mit dem Kind umgehen sollte wie wir. Wir halten uns leicht für die „Sozialministerin“ in der Familie, die sich im Ressort „Kinder“ einfach besser auskennt. Die Professorin aus Oxford aber sagt: „Es schadet eher, wenn sie (die Mamas) den Mann tatsächlich dazu bringen, alles so zu machen wie sie selbst.“

 

Wirklich schlimm sind Türwächter-Mütter, die das (die Übernahme des Erziehungsstils der Mutter, Anmerkung der Bloggerin) zur Bedingung machen, damit der Vater das Kind sehen darf. Sie sind zum Glück in der Minderheit, das geschieht vor allem in zerrütteten Beziehungen.

  • Zum Abschluss noch eine politische Botschaft der Oxford-Professorin. Sie prangert an, dass Frauen immer noch weniger verdienen als Männer. „Es ist nicht nur diskriminierend, dass Frauen weniger verdienen und seltener Karriere machen. Es hemmt auch den Wandel im Familienleben und schwächt die Vaterrolle. Solange Männer mehr verdienen als Frauen, haben Paare oft keine Wahl.“ (als dass er Versorger ist und weniger Zeit für das Kind hat als sie, Anmerkung der Bloggerin)

Kurz und knapp: – die Bedeutung des Papas für mein Kind anerkennen und wertschätzen; – akzeptieren, dass mein Partner anders mit dem Kind umgeht, als ich es tun würde; – das Anderssein des Partners feiern; – sich freuen, dass das Prinzip „Männlichkeit“ Mama und Kind vor Überbehütung schützt; – erkennen, dass wir beides brauchen: das weibliche und das männliche Element
Nach dem Anstubser meines Mannes habe ich Prinzessin das Auto gegeben, damit sie allein in die Stadt in ihr Sportstudio fahren konnte. Das Parken fand sie schwierig. Der Fluss war kein Problem.
Immer fröhlich seine und die Grenzen der Kinder ein wenig ausweiten,
eure Uta

Bild im Text von Cottonbro von Pexels. Vielen Dank!

  • Schöner Text. Mir gefällt vor allem die Idee dass die große Runde Action am Abend sinnvoll ist für Vater und Kind. „Wenn ihr versteht, dass er das braucht, um die Bindung zu stärken und das Kind dabei anschubst, seine Grenzen zu erweitern, könnt ihr das vielleicht besser akzeptieren.“ Dieser Gedanke entlastet Mütter enorm und sorgt gleichzeitig für weniger Stress zwischen den Eltern.
    Bitte berichte uns dann auch vom Fallschirmspringen, liebe Uta. Dann, wenn die Zeit reif dafür ist.
    Liebe Grüße,
    Christina

  • Liebe Uta,
    oh ja … in diese Falle bin ich direkt von Anfang an getappt. Alles musste der Papa so machen wie ich … was dann dazu geführt hat, dass die Lütte jedes Mal, wenn Papa dann mal was machen durfte, gesagt hat: „du machst das falsch Papa, Mama macht das immer so …“ Sollten wir jemals noch ein Baby bekommen, würde ich es definitiv anders machen wollen :–)
    Liebe Grüße,
    Dorthe

    • Liebe Dorthe, danke, dass du deine Erfahrung teilst. Mir geht es auch so, dass ich manches im Rückblick anders machen würde. Das ist eben lebenslanges Lernen und für vieles ist es noch nicht zu spät. Herzliche Grüße, Uta

  • Bei uns ist es allerdings so, dass der Vater übervorsichtig ist und das Kind eher hemmt als es herauszufordern. Das wirkt sich doch sicher schädlich auf das Kind aus. Zumal ich es (noch) nicht lassen kann, ständig zu ermahnen, er soll ihn doch mal machen lassen. Unser Sohn ist 2 Jahre alt.

    • Liebe Svenja, danke für das „noch“ in dem Satz „Zumal ich es (noch) nicht lassen kann, ständig zu ermahnen, er soll ihn doch mal machen lassen.“ Denn wenn du ihn damit in Ruhe lässt, entsteht kein Widerstand und keine Rechthaberei, die den Zustand eher noch zementiert. Habt ihr mal darüber gesprochen, woher seine Ängste kommen? Danke, dass du geschrieben hast. Herzliche Grüße, Uta

  • Liebe Uta,
    vielen Dank für deine Ausführungen??! Ich habe mich in meinem Tun und Handeln mit unseren Töchtern sofort wieder erkannt und freue mich über die wissenschaftliche Bestätigung!
    Übrigens sind diese Rollen von Mutter und Vater auch heute noch bei meiner Exfrau und mir erlebbar, wenn wir mit unseren Erwachsenen Töchtern, 27 und 31 Jahre alt, Zeit verbringen!
    Liebe Grüße

    • Lieber Rüdiger, ich freue mich sehr über deine Worte. Danke! Interessant, dass sich die Rollen bis heute erhalten haben. Liebe Grüße, Uta

  • Liebe Uta,
    das klingt in der Tat interessant. Zählt bei einem Teenager-Vater wohl zum Raufen, Ringen, Toben auch die regelmäßige Auseinandersetzung mit dem Pubertier um das erfolgte oder nicht erfolgte Erledigen von (Schul-)Arbeiten/Vokabellernen/Einhalten von Handynutzungszeiten mit dem Androhen von Konsequenzen (Streichen von Freizeitaktivitäten/Sperren des W-Lans, …), während die Mutter kopfschüttelnd und hochgradig genervt daneben steht und überlegt, ob es das Kind nicht doch vor den Launen des Vaters schützen sollte?!
    Das fragt sich ernsthaft die SteffiFee

    • Liebe SteffiFee, danke für deinen Input! Ich glaube, das geht vielen so. Ich möchte gerne ernsthaft antworten. Vielleicht schaffe ich das in den nächsten Tagen auf dem Blog. Liebe Grüße, Uta

  • Hallo Uta,
    bei uns ist es so, dass ich alleinerziehend mit meinem Sohn (13,5) bin und das seit seinem 2,5. Lebensjahr. Seinen Vater sieht er regelmäßig und hat ein sehr inniges Verhältnis zu ihm. Mittlerweile hat er zwei kleine Halbbrüder und ich stehe vor dem Problem, dass der Vater ja unseren Alltag nicht so wirklich mitbekommt, sondern nur seinen eigenen Alltag mit zwei kleineren Jungs erlebt. Von daher reagiert er, sagen wir mal so, „nicht immer altersentsprechend“ auf die Themen, die ich gerade mit meinem Sohn habe. Mein Prinz muss daher öfter 2x mal um sein „Recht“ kämpfen, einmal bei mir, einmal bei seinem Vater, der manchmal nicht so recht hinterherkommt. Mir tut er manchmal leid und ich hoffe dennoch, dass er genügend „Männlichkeit“ für seine Entwicklung mitbekommt. Das wollte ich nur mal berichten und Dir sagen, dass ich jeden neuen Beitrag mit Spannung erwarte (ich lese seit Jahren still und heimlich mit) und mir schon sehr viel Bestätigung/Unterstützung/Rat aus Deinem Blog geholt habe.
    Viele Grüße
    Susanne

    • Liebe Susanne, ich freue mich sehr, dass du dich meldest! Danke für das tolle Feedback! Und danke, dass du deine Situation beschreibst.
      Denkst du nicht, dass es manchmal auch von Vorteil sein kann, dass Papa nicht mitbekommt, was in seinem anderen Zuhause läuft, und er so einen unvoreingenommenen Blick auf ihn hat? Das ist eine Frage des Standpunkts. Ist ja auch toll, dass er einen Papa hat, der sich wirklich mit ihm auseinandersetzt, auch wenn es zweimal kämpfen bedeutet. Herzliche Grüße und viele Freude mit deinem kampferprobten Prinzen, Uta

  • Liebe Uta,
    es ist so schön zu sehen, dass du auch die Väter thematisierst. Ein älterer Post von Dir hat mich dazu inspiriert, meine Männer mit ihrer Männlichkeit mehr zu akzeptieren. Ich habe mich hingesetzt und aufgeschrieben, was ich an Männern grundsätzlich bewundere und was Männlichkeit für mich ausmacht. Dann habe ich geschaut, in welchen Bereichen ich die Männlichkeit toll finde und wo sie mich stört. Und die tollen Seiten habe ich dann eine Zeit lang lobend erwähnt. Und die störenden Aspekte positiv umbenannt (zum Beispiel Durchsetzungskraft, die im Alltag seeeeeeehr schwer erträglich für mich umgesetzt wurde). So habe ich mich herangetastet, die Männlichkeit meiner Männer positiv sehen zu können. Seitdem kann ich z. B. viel relaxter mit Kämpfen/Waffen umgehen. Weil ich es anders sehen kann. Dieses Experiment war für mich sehr faszinierend.
    Ich kann meinen Mann auch besser (bin noch am üben) im Umgang mit den Kindern so sein lassen. Ich traue den Kindern auch zu, damit umgehen zu lernen. Und das wiederum macht mir meinen Mann zugänglicher, wenn ich ihn mal ausbremsen muss.
    Mich würde auch interessieren, wenn du etwas zur Stärkung der Paar-/Elternbeziehung schreiben würdest. Ich finde das kommt in allen Erziehungsratgebern zu kurz.
    Viele Grüße,
    Marie

    • Wow, Marie, was für eine Rückmeldung! Ich freue mich sehr. Du schreibst: „Und das wiederum macht mir meinen Mann zugänglicher, wenn ich ihn mal ausbremsen muss.“ Das – finde ich – ist ein ganz wichtiger Punkt. Wenn ich als Mama starr auf dem Standpunkt stehe: „Oh, von Kindererziehung hat mein Mann gar keine Ahnung! Was macht er bloß wieder, dieser Versager!“ verhärten sich die Fronten, Rechthaberei entsteht und es ist niemandem, wirklich niemandem gedient. Am wenigsten den Kindern. Wenn ich ihm aber seinen Stil lasse (welche Arroganz auch, es nicht zu tun!), kommen wir viel besser in den Austausch darüber, was wir gemeinsam tun können, was wirklich hilft … und in so einer respektvollen Atmosphäre kann Frau auch mal sagen, bei welchem Verhalten von ihm sie Bauchschmerzen hat und umgekehrt. Danke, dass du deine Weiterentwicklung mit uns teilst. Herzlichst, Uta

  • Ihr Lieben, rechts in die Sidebar habe ich drei ältere Blog-Beiträge gestellt, die sich auch mit den Themen Partnerschaft und Männlichkeit befassen. Grüße an alle, Uta

  • Ich kenne das auch .. Papa macht mit Tochter im Urlaub Canyoning, Zipline und jetzt wollen sie Gleitschirm fliegen… meine Tochter wird 11 Jahre alt und ist begeistert – ich dagegen halte die Luft an und lasse beide ihren Spaß haben – bin immer wieder froh wenn sie wieder heil zurück sind ? ist wohl wirklich von der Natur so angelegt

  • Liebe Uta! Ich fände einen Beitrag toll von dir zum Thema Kinder und Handynutzung – wie kann man hier agieren/ reglementieren, ohne dass es ständig ein Streitthema ist ?

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    Uta


    Ich arbeite als Eltern-Coach, Buchautorin und Journalistin, bin Ehefrau und Mama (ein Sohn, eine Tochter) und kann es nicht lassen, dem Familien-Glück auf die Spur zu kommen. Ich forsche in Büchern, spreche mit Experten und teste alle Erkenntnisse in der Praxis. Nur was mich überzeugt, weil es das Leben mit Kindern wirklich erfüllender macht, schafft es auf diese Seite.

    Deine, Uta

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