Das Medien-Greenhorn 

 12/02/2013

Ich bin zurück von dem Seminar „Lions Quest – Erwachsen werden“ und kann euch berichten.

In dem Kurs lernen Lehrer ein Programm zum sozialen Lernen in der Sekundarstufe 1 kennen und erfahren, wie sie es in der Schule einsetzen können. Eines der neun Kapitel des Programms trägt den Titel „Mein Zuhause“. Es enthält Material, mit dem die Lehrer das Thema „Meine Familie“ bearbeiten können.

Am Samstag sammelten wir am Flipchart, worüber in Familien am häufigsten gestritten wird.

  • Mithelfen im Haushalt
  • Hausaufgaben
  • Zimmer aufräumen
  • gesunde Ernährung
  • Mediennutzung
  • Kleidung
  • Taschengeld
Dann haben wir abgestimmt, welches Thema in den Familien der Konfliktauslöser schlechthin ist.

Absolute Mehrheit erreichte das Thema  „Mediennutzung“.

Die nächste Aufgabe lautete: „Formuliert die Sorgen von Müttern und Vätern in Bezug auf dieses Thema!“
„Wie viel Zeit habt ihr?“, hätte ich am liebsten in den Raum gebrüllt. Wollen wir die Nacht und den Sonntag noch dran hängen? Wie viele Flipchart-Bögen soll ich euch vollkritzeln mit meinen Gedanken zur Mediennutzung meiner Kinder?
Eine riesige Erschöpfung übermannte mich. Ich sank auf meinen Stuhl zurück, mein Namensschild hing schlaff vom Pullover.

Ich dachte daran, was sich in meiner Familie an diesem Samstagmorgen wohl abspielen würde.  Kronprinz (15), kaum erwacht, würde die neuesten Facebook-Nachrichten checken und mein Mann würde wahrscheinlich Prinzessin (12) bearbeiten, ihn auf den realen Wochenmarkt zu begleiten, statt virtuell Äpfel zu ernten.

Vor mehr als zehn Jahren sah das noch so aus:

 

Kronprinz und Soßenkönig beim Fernsehen.
Ich wüsste zu gern, was die beiden damals so gefesselt hat.

 

Im Seminar wurde ein Lehrer aus Niedersachsen dazu bestimmt, im Rollenspiel den zwölfjährigen Kim zu spielen. Die Rolle von Kims Mutter übernahm ein junger Sportlehrer, Typ „Surfbrett auf Mini-Cooper“. Ich gehörte zu der Gruppe, die der Mutter Argumente liefern sollte.
Der Sportlehrer räusperte sich für den Probelauf.
„Kim, würde ich sagen, Kim, ich mache mir Sorgen, dass du deine sozialen Kontakte vernachlässigst“. Er setzte sich aufrecht auf den Stuhl mit dem Schild „Mutter“. „Ich schlage vor, du machst zuerst deine Hausaufgaben. Dann gehen wir deine Hausaufgaben zusammen durch, und wenn ich zufrieden mit deiner Arbeit bin, darfst du eine halbe Stunde an den Computer.“
„Hat er nur ein Surfbrett oder auch Kinder?“, raunte ich der Kollegin neben mir zu.
„Ich glaube, er hat eine kleine Tochter, die gerade krabbeln kann.“

Wir hatten es mit einem Greenhorn der Mediendebatte zu tun.

Ich konnte mich nicht zurück halten, dem jungen Lehrer aufzuzählen, was der Rollenspiel-Kim ihm gleich entgegen schleudern würde:

…ich brauche den Computer für mein Referat
…ich muss über Facebook fragen, was wir aufhaben
…ich muss noch in den Vertretungsplan gucken
…ich muss in meinem Computerspiel den nächsten Angriff starten, sonst fliege ich aus dem Clan
…ich werde zum Außenseiter, wenn ich bei diesem Spiel nicht mitmache
…ich muss für Kunst noch den Impressionismus googeln

Der junge Lehrer rieb sich ratlos den Bart. „Wie soll ich da eine Grenze ziehen?“

Zwei Erkenntnisse habe ich aus dieser Übung mitgebracht:

  • Selbst wenn 28 Pädagogen und eine Erziehungsbücher verschlingende Mutter im Raum sind, findet man bei diesem Thema nicht den Stein der Weisen.
  • Die einzige Lösung ist, sich von Zeit zu Zeit in der Familie zusammen zu setzen und die Situation in Ruhe miteinander zu besprechen.
Dafür sind laut Lions-Quest-Programm* folgende Schritte hilfreich:

1. Eltern machen ihren Standpunkt klar, sagen, welche Sorge sie umtreibt;

2. Kind sagt, was ihm in dieser Sache wichtig ist

3. beide Parteien schlagen Lösungen vor

4. „Streichkonzert“: die Lösung, die für die Parteien nicht in Frage kommen, werden gestrichen

5. Kompromiss finden

Solche Familiensitzungen finden bei uns alle paar Wochen einmal statt, wenn dem Soßenkönig oder mir eine Fehlentwicklung auffällt. Das kann man machen mit Kindern ab circa acht Jahren aufwärts.

Ich nehme mir lieber die Zeit, die Familie von Zeit zu Zeit zu solch einer Sitzung zusammen zu trommeln, als dass ich dem alltäglichen Dauermeckern verfalle.

Haltet ihr Familienkonferenzen ab? Das würde mich sehr interessieren.

Immer schön fröhlich konferieren

Uta

*Von mir leicht abgewandelt. 

  • Also, die Kinder sind verschieden und es gibt viele Gründe am Computer/Fernseher zu sitzen. Wenn aber die Alternativen spannender sind, dann wird sowas von schnell ausgemacht, jedenfalls von meinen. Aber regelmäßig gemeinsam besprechen, warum auch technikfreie Zeiten wichtig sind, finde ich auch wichtig, wobei das bei einigen einfach nicht fruchtet. Da heißt es dann auf Stromausfall, Urlaub im Ausland o.ä. zu hoffen.
    LG
    Susanne

  • Hallo Uta,
    nun war ich aber gespannt, was es im Seminar für eine Lösung für dieses Problem gegeben hätte. Aber wahrscheinlich ist die einzig wahre Lösung wirklich, dass man in der Familie im Kontakt bleibt und darüber redet.
    Bei uns gestalten sich Familienkonferenzen immer schwierig. Ich habe sie inzwischen als eine von vielen romantischen Vorstellungen von Familienleben abgehakt. Wenn der Rest der Familie davon nichts hören will und mitten in der „Konferenz“ lieber die Frage beantwortet haben will, wann endlich der neue Star-Wars-Film ins Kino kommt, ist das am Ende noch frustrierender. Ich beobachte die Dinge auch immer eine Weile. Und wenn ich feststelle, es schadet, frage ich in der Regel nicht mehr die Kinder, sondern schiebe einen Riegel vor (aber sie sind auch erst max. 10 Jahre alt – ich fürchte das funktioniert nicht mehr lange). Es gibt ein paar Tage Gemurre und dann ist es gut. Bei mehreren Kindern in der Familie ist es ohnehin besser, die Dinge individuell zu klären. Da ist es die hohe Kunst, den richtigen Moment abzupassen, damit es nicht nach hinten losgeht.
    Zum Thema Medien beruhigt mich immer Jesper Juuls Zitat: „Was Eltern stresst, stresst auch die Kinder!“ Seit dem mache ich ganz entspannt das Abendessen, ohne dass sich ein wütendes Kleinkind auf dem Boden wälzt oder dauernd jemand angerannt kommt und sich an meinem Bein festkrallt: „Hilfe Mama, L. will mich verprügeln!“ oder „Maaaammmmaaaaa! B. hat mein Lego-Auto kaputt gemacht!“ oder (am schlimmsten): „Mama, mir ist so langweilig! Was kann ich machen – außer dir zu helfen?“ (und das ungefähr alle 30 sec. auf’s Neue). Also Fernseher an, Kids sind ruhig, ich bin entspannt und hinterher beim Essen ist die Atmosphäre einfach nur gut! Ich frage mich, warum ich mir etwa 9 Jahre den allabendlichen Stress angetan habe …
    Liebe Grüße!
    Jenny

  • Uff, ja, wir versuchen es.*seufz Momentan allerdiings stagniert es hier auf ganzer Länge – Aufräumen ist das Thema (falls dir dazu irgendwelche Tipps einfallen, wie man einen in quasi starre verfallenden Sohn zum Aufräumen bekommt – her damit!*g). Er ist noch ein bisschen jung mit seinen 6,5 Jahren, zugegeben – aber wir versuchen es in schmaler Variante – halt immer wieder zusammensitzen, reden, versuchen etwas auszumachen, was dann eingehalten werden soll. Momentan liegt die Betonung auf soll- nicht von mir aus, aber der Herr hält sich nicht dran. Im Gespräch ist er sehr vernünftig. Seine Argumente beim Aufräumen waren „aufräumen ist langweilig“ und „ich brauche einen neuen Mülleimer“, er will nicht in einem schmutzigen Zimmer wohnen, aber die Mama wird das schon regeln (was sie nicht tut, aber nach einiger Zeit Nervenkrieg packt sie meist mit an, wobei der Sohn trotzdem übelst angetrieben werden muss, was mir extremst widerstrebt ihn so zwingen zu müssen) – der Mülleimer ist genehmigt (der alte ist im Müll, weil kaputt) – das mit dem Aufräumen lässt sich so schwer „verlustigen“. Ich muss immer an die Supernanny und solche Folgen denken, wo sie gezeigt haben, dass Aufräumen Spaß machen kann – ich hab das alles auch versucht. Nein, es macht keinen Spaß.
    Nun gut – wie gesagt – das Konzept ist gut – aber was, wenn sich die Kinder nicht dran halten. Klar, neuverhandeln oder neue Konsequenzen vielleicht? Ich fände es toll, wenn du dazu noch ein bisschen schreibst, wie es laufen könnte. Der Ablauf der Familienversammlung geht bei uns eigentlich nicht schlecht, nur eben das danach…

    Liebe Grüße LOLO

  • Dein Blog war mir sympathisch, als ich begann ihn zu lesen. Jetzt ist er SEHR sympathisch 😉 ich freu mich immer wenn ein neuer Post von dir auftaucht und ich bin jedesmal gespannt worum es diesmal geht.Dieses Thema kennen wir zuhause nur zu gut 😉
    Ganz lieben Gruß
    Jana

  • Oh, Uta, ich lese Dich so gerne!
    Unsere Familienkonferenzen finden immer beim Abendessen statt. Wir suchen Kompromise und Lösungen, die für alle gerecht sind (glaube ich :)) Der Umgang mit den Medien macht mir auch natürlich Sorgen, frag mal meinen Sohn (9 Jahre), wie sein perfekter Tag aussehen soll: glotzen, Pizza essen, Computer spielen, Pizza…nix mit Bude im Wald bauen! Ich habe mich ein bisschen damit abgefunden, daß das schon eine neue Generation ist, die lieber virtuell ihre Gemüse pflanzt, als in der Erde. Bis jetzt regele ich das einfach mit einem Wecker, wenn der klingelt, ist die Spielzeit einfach vorbei, ohne Diskussionen.
    Was mich interessieren würde: Kinder und Geld. Kinder, die zuviel Geld zu verfügung haben und unsere „normalos“ mit 3,00€ Taschengeld pro Woche.
    Manchmal bin ich ratlos, wie ich dem Leo noch die normalen Weltansichen vermitteln soll.
    Liebe Grüße und DANKE!
    Kasia

  • Liebe Uta,
    wieder mal ein toller Beitrag! Und erst das Foto. So eins gibt’s von meinem Mann und meiner Tochter auch – allerdings war sie da noch DEUTLICH jünger. Hüstel.
    Jetzt wird meine große kleine Maus zwar erst zwei, aber ich habe schon jetzt Angst… 😉
    Liebe Grüße,
    Dorthe

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    Uta


    Ich arbeite als Eltern-Coach, Buchautorin und Journalistin, bin Ehefrau und Mama (ein Sohn, eine Tochter) und kann es nicht lassen, dem Familien-Glück auf die Spur zu kommen. Ich forsche in Büchern, spreche mit Experten und teste alle Erkenntnisse in der Praxis. Nur was mich überzeugt, weil es das Leben mit Kindern wirklich erfüllender macht, schafft es auf diese Seite.

    Deine, Uta

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