Stau auf dem Highway zum Internat 

 04/07/2018

Wie wir Prinzessin in Kanada abgeholt haben.

Entschuldigt, dass ihr länger nichts von mir gehört habt. Wir waren in Kanada. Wir haben Prinzessin (17) nach einem Jahr im Internat abgeholt und sind noch durch das Land gereist.
Aber von Anfang an: Mein Mann und ich sind vor fast drei Wochen nach Toronto geflogen und mit dem „Canadian“, einem Zug, der Ost- und Westküste des riesigen Landes verbindet, vier Tage und Nächte durch Seenlandschaften, Steppe, Weideland und schließlich die Rocky Mountains bis Vancouver gefahren. Jeden Tag sind wir unserer Tochter ein Stück näher gekommen. Das war schön.
Als wir in Toronto endlich einsteigen konnten, hatte der Zug eine ganze Nacht Verspätung. Ja, das kommt vor bei solchen Dimensionen im zweitgrößten Flächenstaat der Erde. Gut, dass wir noch Zeit in Vancouver eingeplant hatten. Denn wir waren mit all den anderen Eltern im Internat zum Abschlussdinner des Schuljahres eingeladenen und wollten pünktlich ankommen, was bei einer Anreise von fast 8.000 Kilometern eine Herausforderung sein kann. So stolperten wir am Vorabend der Schulabschlussfeier spät in unser Hotel in Vancouver, schliefen ein paar Stunden und brachen früh am nächsten Morgen auf, um rechtzeitig die Fähre nach Vancouver Island zu erreichen. In Victoria, der Insel-Hauptstadt, checkten wir im nächsten Quartier ein. Jetzt hatten wir noch ein wenig Zeit bis zum Wiedersehen mit Prinzessin, saßen in Kleid und Jackett auf der Bettkante, weil wir auch zu nichts anderes Lust hatten, als sie endlich in ihrer Schule zu treffen.
In meiner Vorstellung bestand Vancouver Island in erster Linie aus Wald, dem man ein paar Ortschaften und wenige befestigte Straßen abgetrotzt hat, um Leuten, die Bären beim Lachse-Fangen beobachten wollen, ein wenig Zivilisation zu bieten. Dass es aber auch auf dieser Insel einen Feierabendverkehr gibt, in dem man im Stau stehen kann, hatten wir nicht erwartet. Das Navi unseres Mietwagens errechnete deprimierende Ankunftszeiten. Wir krochen auf einem Highway entlang, dem natürlich gerade an Prinzessins Abschlusstag in aller kanadischer Gelassenheit eine neue Spur geteert werden musste. Unser Zeitpuffer von einer Stunde schrumpfte mehr und mehr in sich zusammen. Konnte es wahr sein, dass wir nach einer Reise mit Flugzeug, Zug, Taxi, Fähre und Mietwagen und nachdem wir alle Hürden genommen hatten, um als Eltern auf dieser Jahresabschlussfeier präsent zu sein, auf den letzten Metern aufgehalten würden?
Wir krochen durch endlose Baustellen, hielten an, um Baggern komplizierte Manöver auf der Fahrbahn zu ermöglichen, ich zupfte an meiner Strumpfhose, mein Mann versuchte, dem Navi eine Alternativ-Route abzuringen (Forstweg, Trapper-Pfad, Umsteigemöglichkeit in Kajak oder Wasserflugzeug?), als der Wagen endlich Fahrt aufnehmen konnte und wir in der Minute vor Beginn der Feier durch das Tor des Internats fuhren. Gleich dahinter hatte uns Prinzessin ungeduldig erwartet. Wir herzten uns nur schnell durch das offene Autofenster, ein paar Meter hielt ich noch ihre Hand, während wir auf einen Parkplatz rollten. Und schon begann die Zeremonie.

Auf dem Internatsgelände

Vielleicht schreibe ich an anderer Stelle mal ausführlicher darüber, wie die Kanadier die Leistung von Schülern feiern. Sie ehren nicht nur den Besten in Mathe, sondern auch den Jungen, der sein Basketball-Team so unermüdlich motiviert hat und das Mädchen, das im Schuljahr ehrenamtlich die meisten Nachhilfestunden gegeben hat. Es gibt eine Auszeichnung für die beste Wohngemeinschaft auf dem Campus, den besten Haus-Captain und für das größte Hip-Hop-Talent. Nach fast zwei Stunden und unzähligen Urkunden und Pokalen rutschten wir zwar auf unseren Klappstühlen von einer Pobacke auf die andere, uns war aber sehr feierlich zumute. Kein Vergleich zu dem wenig erhebenden Moment, als mein Mann und ich vor Jahrzehnten unsere Examenszeugnisse bei der Sekretärin an der Uni abholen durften: keine Feier, keine Blumen, nur Jeans, T-Shirt und ein Blatt Papier in einer Klarsichthülle. Das war in den 90zigern in Deutschland.
Wie schön, dass Prinzessin es in Kanada anders erleben durfte, und wie schön, dass es sich auch hierzulande langsam ändert.
Nun habe ich wieder ein Kind zu Hause. Das genieße ich sehr. Auch wenn es sich komisch anfühlt, dass das Projekt „ein Schuljahr in Kanada“, mit dessen Vorbereitungen wir vor zweieinhalb Jahren begonnen hatten, auch schon wieder vorbei ist.
„Ich kann das alles noch nicht so richtig realisieren, dass ich da war und jetzt wieder hier bin“, sagt Prinzessin, immer noch schlaftrunken vom Jetlag. Mir geht es genauso, aber es aufzuschreiben, hilft mir immer. Das habe ich jetzt getan. Danke, dass ihr es lest.
Immer fröhlich etwas Neues wagen, es beenden und wieder Neues wagen,
eure Uta

  • Oh wow, das muss schwierig gewesen sein, nicht auszuflippen…. so schön, dass ihr die Feier nicht verpasst habt! Und schön, dass wieder was neues für euch beginnt. 🙂
    Viele Grüße!
    Nelli

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    Uta


    Ich arbeite als Eltern-Coach, Buchautorin und Journalistin, bin Ehefrau und Mama (ein Sohn, eine Tochter) und kann es nicht lassen, dem Familien-Glück auf die Spur zu kommen. Ich forsche in Büchern, spreche mit Experten und teste alle Erkenntnisse in der Praxis. Nur was mich überzeugt, weil es das Leben mit Kindern wirklich erfüllender macht, schafft es auf diese Seite.

    Deine, Uta

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