Wege durch Trotzphasen und über Flughafenteppiche 

 26/10/2016

In der vergangenen Woche war ich auf Reisen und hatte im Gepäck das neu erschienene Buch „Das gewünschteste Wunschkind aller Zeiten treibt mich in den Wahnsinn. Der entspannte Weg durch Trotzphasen“ von den Bloggerinnen Danielle Graf und Katja Seide.
Ihr kennt das ja von mir, dass ich schon aus einem Buch zitiere, auch wenn ich es noch nicht ganz durch habe, weil ich unbedingt mitteilen muss, wenn ich auf hilfreiche Erkenntnisse stoße.
Hilfreich war das Wunschkind-Wahnsinn-Buch heute für Prinzessin (15). Und zwar folgende Stelle:

… wenn wir viel fernsehen, wird der präfrontale Kortex, also der „vernünftige“ Teil unseres Gehirns, träge. Er kann bei übermäßig konsumierter schneller Bedürfnisbefriedigung nicht gegen das faule Basissystem des Gehirns ankämpfen. Bildlich gesprochen, schläft er vor dem Fernseher ein (nach Joachim Bauer: Selbststeuerung). … Infolgedessen fällt es uns unheimlich schwer, unseren eigenen Schweinehund zu überwinden, von der Couch aufzustehen und uns bettfertig zu machen. (Seite 110)

Das mit dem bettfertig, ist nicht Prinzessins Problem, vielmehr, dass sie bis zum Ende der Herbstferien Kafkas „Die Verwandlung“ gelesen haben muss. Dieser Auftrag gerät jeden Tag in Konflikt mit den Videos, die sie so gerne auf dem Rechner anschaut.
Ich sah, dass sie sich schwer tat, sich dazu aufzuraffen, meinte schon hinter ihrer Stirn einen sehr trägen präfrontalen Kortex auszumachen und bot ihr gestern nach dem Mittagessen mein neu erworbenes Wissen an. Zudem erzählte ich ihr von der Pomodoro-Technik. Danach soll man sich die geistige Arbeit in Abschnitte von 20 Minuten ohne jedwede Unterbrechung einteilen, um in den Flow und zügig voran zu kommen.
Am Nachmittag setzte sich Prinzessin mit Kafka auf das Wohnzimmersofa, weit weg von Laptop und Smartphone. Sie las eine halbe Stunde, schlief eine halbe Stunde, und las wieder eine halbe Stunde. Jetzt ist sie ein großes Stück weiter mit der „Verwandlung“.
Meine Tipps waren ein Angebot. Wenn ihr die Chance erhöhen wollt, dass eure Kinder so etwas aufgreifen, dürft ihr keinen Druck aufbauen oder sie kontrollieren. Denn Druck und Kontrolle sind Boten des Misstrauens. Und wer folgt schon jemandem, der ihm misstraut?

*

In der zitierten Stelle aus dem Buch „Wunschkind-Wahnsinn“-Buch ging es um ein vierjähriges Mädchen, das sehr frech wurde, weil es den Fernseher ausmachen sollte. Eltern sind dann schnell bei dem Gedanken, ihr Kind sei böse, wenn es ausfallend wird. Die Autorinnen aber erklären, dass der Präfrontale Kortex durch das Fernsehen gerade langsam bis gar nicht arbeitet und dass deshalb die Impulskontrolle des Kindes quasi ausgeschaltet ist.

„Mit dem Wissen, warum Raja nach dem Fernsehen nach ihr haut und ihr Gemeinheiten an den Kopf wirft, kann Anke nun in ähnlichen Situationen gelassener reagieren, da ihre eigene Wut wegfällt. Sie kann die Enttäuschung der Tochter nachfühlen und emphatisch darauf reagieren, aber gleichzeitig die gesetzte Grenze beibehalten.“ (Seite 111)

Katja Seide und Danielle Graf bieten in ihrem Buch jede Menge wertvolles Wissen, um Kinder besser zu verstehen. Das eröffnet die große Chance, aus der Abwärtsspirale von „NichtHören – Ärger – Schimpfen – NochwenigerHören – NochmehrSchimpfen“ herauszukommen. Es ist so hilfreich, über Gehirnentwicklung zu lesen und besser zu verstehen, dass Kinder nicht böse sind, wenn sie nicht auf uns hören, sondern ihnen die Reife fehlt, ihre Impulse zu steuern oder sich in andere Menschen hineinzuversetzen. In meinen nächsten Beiträgen werde ich sicher häufiger etwas aus dem „Wunschkind-Wahnsinn“-Buch aufgreifen.

*

In der ersten Herbstferienwoche waren wir in Süddeutschland bei meinen Schwiegereltern. Drei Generationen saßen um den Tisch und haben Bohnen gepult. Ich hätte nicht gedacht, dass uns das eine solche Freude machen könnte.

 

*

Nun noch ein Wort zum Kronprinzen (19). Er kommt gut zurecht in Kanada. Eine Zeitarbeitsfirma hat ihn in ihrer Kartei aufgenommen. Und wenn er nicht mit Helm und Sicherheitsweste ausgestattet auf einer Baustelle arbeitet, saugt er nachts Teppiche im Flughafen.
Wir finden unseren Sohn sehr tapfer. Er meinte allerdings, dass das Vagabunden-Leben doch nicht das Wahre für ihn sei und er nach seinem Heimatbesuch an Weihnachten nicht wieder zurück nach Kanada reisen werde.
Damit sind wir sehr einverstanden. Er braucht weder uns noch sich selbst irgendetwas zu beweisen. (Ehrlich gesagt, freuen wir uns riesig, ihn dann wieder in unserer Nähe zu haben.)
Immer fröhlich das Leben als ein großes Spiel betrachten und es genießen.
Eure Uta

  • Liebe Uta,
    wie wunderbar, dass der Kronprinz euch als Eltern hat: Er durfte das „Work & Travel“-Projekt angehen und es nun auch wieder abbrechen, als er feststellte, dass es nichts für ihn ist. Er muss es nicht „durchziehen“ und „durchhalten“ und „weiterprobieren“ und „nicht gleich aufgeben“, sondern er hat seine Erfahrung gemacht und hat nun den Kopf und das Herz frei für weitere Pläne.
    Und natürlich ist es schöner, wenn kein ganzer Ozean zwischen euch ist.
    Liebe Grüße,
    Inra

    • Danke, liebe Inra, für deinen schönen Kommentar! Vor ein paar Jahren war ich als Mutter noch nicht so unterwegs, aber die Veränderung hat sich so gelohnt. Liebe Grüße, Uta

  • Liebe Uta,
    der Buchtitel könnte aus meinem Mund stammen 🙂 So oft denke ich abends: Warum bist du jetzt so? Du hast sie dir so sehr gewünscht … Ich freue mich sehr auf mehr Zitate 🙂
    Und ich finde es auch sehr toll, dass Kronprinz sich etwas so Großes getraut hat, es eine Weile durchzieht (er haut ja nicht jetzt gleich in den Sack!) und erkennt, dass es für ihn nicht passt. Er hat diese Erfahrung gemacht, das ist so toll. Und Hut ab … nachts im Flughafen saugen? Das klingt ja echt nicht nach dem Traum von Kanada 😉
    Viele liebe Grüße,
    Dorthe

    • Liebe Dorthe, das mit dem „in den Wahnsinn treiben“ geht sicherlich Vielen so. Das Buch enthält gute Ansätze und Beispiele, um den Wahnsinn in seine Schranken zu weisen. Gerne komme ich nochmal darauf zurück.
      Danke für die Anerkennung für den Kronprinzen! Ich hätte mich das in dem Alter auch nicht getraut.
      Herzliche Grüße
      Uta

  • {"email":"Email address invalid","url":"Website address invalid","required":"Required field missing"}

    Uta


    Ich arbeite als Eltern-Coach, Buchautorin und Journalistin, bin Ehefrau und Mama (ein Sohn, eine Tochter) und kann es nicht lassen, dem Familien-Glück auf die Spur zu kommen. Ich forsche in Büchern, spreche mit Experten und teste alle Erkenntnisse in der Praxis. Nur was mich überzeugt, weil es das Leben mit Kindern wirklich erfüllender macht, schafft es auf diese Seite.

    Deine, Uta

    >