Als die Kinder klein waren, besuchten wir für mehrere Tage die Schwiegereltern in Süddeutschland. Ich erinnere mich, dass wir einen Ausflug machen wollten und der kleine Kronprinz (ca. vier Jahre alt) sich selber angezogen hatte. Bunt wie ein Papagei stiefelte er die Treppe hinunter. Die Jacke schief geknöpft, die Strümpfe ungleich. Dazwischen die geringelte Schlabberhose, die zu seinem Schlafanzug gehörte.

Schwiegermutter sagte, er solle sich was Richtiges anziehen.
Mama bestand darauf, dass der Junge so mit zum Ausflug dürfe.

Mit einigen Jahren Abstand betrachtet, ging es weniger um den Kronprinzen als um mich.
Darum, im Recht zu sein und zu opponieren gegen weit verbreitete Ansichten der Elterngeneration.

Wenn wir bei den Schwiegereltern oder bei meinen Eltern waren, habe ich Sätze gedacht wie:

„Ihr Nachkriegs-Eltern respektiert nicht die Individualität des Kindes.“

„Ihr, in eurer Generation, habt uns als Kinder nicht immer gesehen in unserer Einzigartigkeit.“

„Das wird uns mit unseren Kindern nicht passieren.“

„Bei uns werden Wurzeln erkuschelt und in aller Freiheit bunte Flügel entfaltet.“

„Wir sind nicht fixiert auf Oberflächliches wie Aussehen und Ordnung. Bei uns zählen die inneren Werte.“

„Und anders als ihr, die ihr ständig grübelt, was die Nachbarn oder die Verwandten von euch halten, pfeifen wir darauf, ob wir mit unseren Kindern einen guten Eindruck machen oder nicht.“

(Ich hatte gut reden. Was die Leute in meiner Heimatstadt oder in einem schwäbischen Dorf von mir hielten, war mir egal. In Hamburg wäre ich auch nicht so gaaaaanz frei davon gewesen.)

Die Situation mit Kronprinz und seinem modischen Freestyle kam mir in den Sinn, als ich bei Rogge und Bartram Folgendes las:

„…mancher Vater, manche Mutter haben sich … im Laufe ihrer Biografie geschworen, die Fehler, denen sie in der Kindheit und Jugend ausgesetzt waren, nicht zu wiederholen und jene Defizite, die sie einst erlebt haben, am Kind wiedergutzumachen. Wer die elterlichen Erziehungsstile pauschal ablehnt, der begibt sich jedoch in eine Sackgasse.“

Ja, aus Prinzip immer das Gegenteil zu machen, funktioniert nicht. Meine Trotz-Mama-Phasen haben mich viel Energie gekostet.

Es genauso zu machen, wie die Generation davor, funktioniert auch nicht. Das ist die andere Sackgasse.

Was eher weiter hilft, ist, die eigene Biografie differenziert zu betrachten, sich zusammen mit dem Vater der Kinder hinzusetzen und zu gucken:

  • Was hat ihm, was hat mir früher nicht gefallen? Und welche Erziehungsstile möchten wir bei unseren Kindern vermeiden?
  • Was hat ihm, was hat mir früher Halt gegeben? Und was möchten wir unseren Kindern weitergeben?
„Wer ein Kind hat, der hat es immer mit zwei Kindern zu tun:
dem Kind, das vor einem steht,
und jenem Kind, das man selbst war …“ (Rogge, Bartram).
Hier das Kind, das ich war.

Mögt ihr mir schreiben, was ihr euren Kindern von euren Eltern weitergeben möchtet?
Bei mir sind es so Dinge wie Zusammenhalt, Geborgenheit, schöne Feste, Begeisterung für Natur und Kunst …
 
Immer differenziert und fröhlich die eigene Biografie betrachten
 
Uta
  • Ein sehr schöner Text mal wieder! ich möchte meiner Tochter gerne positives Denken, Optimismus und die absolute Sicherheit vermitteln, dass ihre Eltern immer und in JEDER Situation für sie da sind. Außerdem die Gewissheit, dass sie alles erreichen kann was sie will wenn sie sich nur einfach heranwagt.
    Liebe Grüße und einen schönen Sonntag,
    Dani

  • Das Selbstbewusstsein für das ich 30 Jahre gebraucht habe, haben meine Jungs schon von anfang an mitbekommen.

    Lieber 5 Minuten zu früh da sein ist etwas , das ich von meiner Mutter habe und das die Jungs auch in sich haben.

    Manchmal ertappe ich mich selber wie meine Mutter zu klingen, und geh dann innerlich einen Schritt zurück.

    Aber man kann nicht aus seiner Haut.
    Schönen Sonntag

    carlinda

  • Mut, Selbstsicherheit, Optimismus, freie Wahl und zu wissen das IHR/unser zu Hause immer da sein wird, egal was kommen mag.

    Manchmal so zu klingen wie die eigene Mutter oder Schwiegermutter ist eigentlich – 😉 – nicht schlecht. Mancher Satz oder Feststellung ist doch nicht vergehrt. Sie wollen doch nur helfen. Manchmal erschreckend das ich doch ab und an mal so denke wie Sie. -> höre ich oft, besonders vom Mann, warum kommen solche „Muttersätze“ bei den Männern ganz anders an?
    Habe dann doch gelernt die Dinge mal aus einem anderen Blickwinkel zu beschauen, aber nur wenn ich super gut gelaunt bin.

    Lg Sabse

  • Liebe Uta,
    wie süß Du warst! Also nicht, dass Du es jetzt nicht bist … 😉
    Ich übernehme gerne von meinen Eltern, dass sie immer für mich und meine Schwester da waren und es noch immer sind. Manchmal auf die falsche Art und Weise, oft aber genau so, wie ich es mir gewünscht hatte. Eine Situation werde ich nie vergessen: ich hatte gerade meine erste Ausbildung abgebrochen und zog aus meiner frisch eingerichteten Wohnung in Cuxhaven zu meinem Freund nach Hamburg. Nachdem es vorher viel Streit darum gab, war mein Papa extra von Helgoland gekommen, um zu helfen. Ich stand also mit Koffern bepackt im Treppenhaus der besagten Wohnung, mein Papa in der Wohnungstür. Und er sagte: Eule, Du kannst immer wieder nach Hause kommen.
    Tja, und genau das möchte ich meiner Tochter von meinen Eltern mitgeben. Sie haben sicher auch oft falsch reagiert, aber sie geben alles für uns. Und dafür bin ich ihnen immer sehr dankbar.
    LG Dorthe

  • Mitgenommen von meinen Eltern habe ich ein entspanntes Verhältnis zu Schulnoten und den Satz „Du kannst das doch alles so toll,du schaffst das schon!“ ohne Druck !
    Den Humor meiner Eltern,die Liebe zu Tieren und zur Natur,der freundliche Umgang mit jedem der einem begegnet,ganz unvoreingenommen.Jetzt merke ich erstmal wie viel das ist.
    Es gibt aber auch Einiges,dass ich so nicht mache oder versuche zu vermeiden.
    Danke für die Denkanregung,liebe grüße von Silke Schmidt!

  • Mir fällt dazu leider gar nichts ein. Klingt schlimm – ist es aber nicht. Meine Eltern und ich haben in den letzten Jahren alles aufgearbeitet, was schief gelaufen ist und seit mein Sohn vor 4,5 Monaten auf die welt kam melden sie mir zurück: Du machst das super mit B., hätten wir es früher doch nur auch besser gewusst/gemacht. Hör auf dein Gefühl.

    Und das ist auch viel Wert: Selbstreflektion und die Fähigkeit, Fehler zu erkennen und zuzugeben. 🙂

    Liebe Grüße!

  • Mal wieder ein sehr schöner Text, aber in Hamburg kann man genauso frei von der Meinung anderer leben. Meine Tochter hat früh das Verkleiden für sich entdeckt und ist auch so mit mir zum Einkaufen in Eimsbüttel und Stellingen unterwegs gewesen. Meine Pippi Langstrumpf war immer gern gesehen, wenn sie lachend und singend durch die Gegend hüpfte. Meine Eltern haben mir immer vermittelt, Du kannst alles schaffen, was Du willst. Egal was ich für Blödsinn gemacht habe, es gab zwar schon Ärger, aber ich habe immer volle Unterstützung bekommen und die *kleinen* Dinge der Natur waren wichtig. Das versuche ich meinen Kindern auch zu vermitteln und das sie so wie sie sind einfach nur gut sind! Ich glaube es gelingt mir auch ganz gut…*Schulterklopf* lach.

    Liebe Grüße aus dem sonnigen Hamburg,
    Christiane

  • Man soll ja die taggen die nur maximal 200 Leser haben, aber ich möchte so gerne das auch du mir die 10 fragen beantwortest die ich in meinem letzten Post gestellt habe. Hoffe du hast Zeit und Lust.

    Würde mich wahnsinnig freuen.

    Liebe Grüße

    Anika

    • Liebe Anika, danke für deine Anfrage! Nicht böse sein, aber ich gucke immer, dass meine Posts die klassische Form haben, deshalb mache ich bei diesen Ketten-Geschichten nicht mit. Herzliche Grüße Uta

  • Hallo Uta,

    was tun, wenn nix da ist, was Frau weitergeben könnte?
    Keine Geborgenheit, kein Zusammenhalt, keine schönen Feste oder gar Liebe?
    Meine Eltern waren immer zu sehr mit sich selbst beschäftigt, ich als ihr Kind kenne/kannte sie nur als „kaputt“ (= krank).
    Es fällt mir dementsprechend schwer, meine Biografie differenziert und gar fröhlich zu betrachten.

    Aber, es gab ein Licht in diesem Dunkel… meine Oma mütterlicherseits.
    Als ich Kind war, hat sie oft genervt,
    weil sie Regeln aufstellte, weil sie Prinzipien hatte.
    Weil sie sehr stark war, in ihrem Willen und in ihrem Geiste.

    Erst Jahrzehnte nach ihrem Tod, meine Kinder waren schon längst erwachsen,
    stellte ich fest, dass ich genauso bin wie sie.
    Stark in meinem Willen und in meinem Geiste.

    Und genauso habe ich meine Töchter erzogen.
    Unbewusst.

    Ich denke sehr oft an sie, und ich bin ihr sehr dankbar für das,
    was sie uns mitgegeben hat.
    Mir, und meinen Töchtern.

    Liebe Grüße
    Ulla

    Ich bin aufgewachsen in einem familiären Chaos, ohne Halt, ohne Unterstützung.

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    Uta


    Ich arbeite als Eltern-Coach, Buchautorin und Journalistin, bin Ehefrau und Mama (ein Sohn, eine Tochter) und kann es nicht lassen, dem Familien-Glück auf die Spur zu kommen. Ich forsche in Büchern, spreche mit Experten und teste alle Erkenntnisse in der Praxis. Nur was mich überzeugt, weil es das Leben mit Kindern wirklich erfüllender macht, schafft es auf diese Seite.

    Deine, Uta

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