Mama im Siegerland gründete selbst eine Schule 

 03/09/2023

Die Kinder am Ort sollten wieder mit Freude lernen - Bilinguales Konzept mit Montessori-Elementen

Als die Grundschule ihrer Kinder wegen zu geringer Anmeldezahlen aufgegeben werden sollte, beschloss Yvonne Melsheimer, in dem verlassenen Gebäude ihre Traum-Schule zu gründen. Drei Jahre dauerte es von einer Vision morgens unter der Dusche bis zur Begrüßung der ersten 18 Schüler. Vor kurzem wurde der neunte Jahrgang eingeschult und inzwischen besuchen knapp hundert Kinder die „bschool“ in Hilchenbach-Allenbach.

Ich habe Yvonne für meinen Blog interviewt und gefragt: Wie geht das - Schule selber machen?

1. Wie bist du auf die Idee gekommen, eine Schule zu gründen?

Drei Dinge sind zusammen gekommen: Erstens war ich die Vorsitzende im Förderverein der Vorgängerschule und dort sehr engagiert. Zweitens habe ich mir schon immer Gedanken darüber gemacht, wie Schule in Deutschland funktioniert. Warum gibt es so viel Frust, Resignation, Unlust, Ideenlosigkeit und Überforderung in Schulen hierzulande? Warum passiert es immer noch, dass Kinder vorgeführt werden an der Tafel, dass sie mit anderen Schülern verglichen werden, dass sie sich als zu klein, zu dumm oder störend erleben? Wie kann es sein, dass heute noch ein Bild, das ein Kind gemalt hat, von einer Lehrerin zerrissen wird, wie es einer Freundin meiner Tochter passiert ist? Und warum quält man Lehrer mit immer höheren Anforderungen und Richtlinien und stellt ihnen so wenig Ressourcen zur Verfügung? Drittens kam bei uns im Ort eine politische Diskussion auf, unsere Grundschule wegen zu geringer Anmeldezahlen zu schließen. Eines morgens unter der Dusche hatte ich so etwas wie eine Vision: „Eine neue Schule gründen - das ist mein Projekt!“

Schulgründerin Yvonne Melsheimer

2. Was waren die ersten Schritte?

Die Direktorin und andere Vertreter der alten Schule haben zu einer Podiumsdiskussion eingeladen, die ich moderiert habe. Für die Idee, eine neue, private Schule in dem bestehenden Gebäude zu gründen, sind wir massiv angegriffen worden. Auch später, als ich für das Projekt im zuständigen Schul- und Kulturausschuss in Hilchenbach geworben habe, traf ich auf erbitterten Widerstand. Es gab die Befürchtung, wir würden den beiden anderen Grundschulen im Ortsteil den Rang ablaufen oder es sollte eine Grundschule für Reiche entstehen. Zudem war den Kommunalpolitikern zu dem Zeitpunkt nicht der Unterschied klar zwischen einer Privatschule und einer sogenannten „Freien Ersatzschule“, die wir gründen wollten. Bei der „Freien Ersatzschule“ ist man gebunden an die Lehrpläne des Bundeslandes - in unserem Fall Nord-Rhein-Westfalen - und muss die Elternbeiträge an den Einkommen der Eltern ausrichten. 

3. Was braucht man, um den Gegenwind auszuhalten und schließlich doch mit einer neuen Schule an den Start zu gehen?

Du brauchst eine große Vision, eine, die über das eigene Ego hinausreicht und dich Angriffe und Verleumdungen aushalten lässt. Du brauchst auf jeden Fall eine brennende Leidenschaft, denn es wird mit Sicherheit schwierig werden. Und wenn es eine Schule sein soll, die über Jahre und Jahrzehnte besteht, reicht es nicht, es für die eigenen Kinder machen zu wollen. Mein Sohn und meine Tochter waren zum Gründungszeitpunkt auch schon nicht mehr in der Grundschule.

Außerdem brauchst du verlässliche Mitstreiter. Es sollten Menschen sein, die wie die Ritter der Tafelrunde um König Artus nicht nur mit einer Idee sympathisieren, sondern ihr ‚Schwert auf den Tisch legen‘. Diese Menschen habe ich gefunden. Es sind mein Mann Stephan, der mit mir Kongresse und Seminare über Unterrichtskonzepte besucht hat, sowie Katy Nowara, mit der ich mir die Geschäftsführung der „bschool“-gGmbH (gemeinnützige GmbH) teile und die eine Meisterin der Zahlen ist. Auch Katys Mann steht fest an unserer Seite.

4. Hast du eine pädagogische Ausbildung?

Nein. Ich bin Diplom-Kauffrau und habe im Bereich Banken und Immobilien gearbeitet. Parallel dazu habe ich eine Coaching-Ausbildung absolviert und Fortbildungen für Erzieherinnen und Eltern geleitet. Um genau herauszufinden, was für eine Schule wir gründen wollen, haben mein Mann, Katy und ich deutschlandweit Primar-Schulen besucht und tagelang hospitiert. Mein Mann hat dann das Konzept geschrieben und im NRW-Kultusministerium eingereicht. Es wurde schnell genehmigt. Deutlich länger hat es gedauert, bis wir den Mietvertrag für das Gebäude unterschreiben konnten. Für eine Schulgründung braucht man sehr viel mehr als pädagogisches Wissen. Man benötigt juristische Kompetenzen und muss sich mit den Schulgesetzen auskennen. Außerdem sollte man Menschen führen können und möglichst viel von Finanzen und Marketing verstehen. 

5. Was unterscheidet „eure“ Schule von anderen Grundschulen?

Unsere Schule heißt „bschool“ und das „b“ steht für bilingual und begeisternd. Das bedeutet, dass der gesamte Unterricht bei uns in zwei Sprachen läuft, nämlich Deutsch und Englisch. Ich war selbst als Schülerin längere Zeit in den USA und hatte das Aha-Erlebnis, wie schnell man eine Sprache lernt, wenn man in ihr „badet“. Das ist ein Fenster, das bei Kindern weit offen steht und das wir nutzen. Deshalb hat jede Lerngruppe - bei uns gibt es Lerngruppen nicht Klassen - zwei Bezugslehrerinnen, eine Deutsch- und eine Englisch-Sprachige. Dabei gilt das Prinzip: Eine Person, eine Sprache. Die eine Lehrerin spricht also im Unterricht immer Deutsch, die andere grundsätzlich Englisch.

Neben der Zweisprachigkeit bildet die Montessori-Pädagogik eine weitere Säule unseres Konzepts. Wir verwenden entsprechende Materialien wie das "Goldene Perlenmaterial", das "Multiplikationsbrett" oder die "Geometrische Kommode" für Mathe sowie Sandpapierbuchstaben und den Bauernhof, anhand dessen Maria Montessori die Wortarten erklärt hat. Dazu kommen Materialien zur cosmischen Erziehung wie z.B. der Jahreszeitenkreis oder Stern- und Planetennachbildungen. Das Wichtigste aber ist, dass wir dem Grundsatz von Maria Montessori folgen, die Kinder anzuleiten, sich das zu Lernende selbst zu erarbeiten. Und das mit allen Sinnen. 

Eine weitere Besonderheit ist, dass wir keine jahrgangsgleichen Klassen, sondern altersübergreifende Lerngruppen haben. Unsere 100 Schüler sind in vier Gruppen zu 25 Kindern aufgeteilt, in denen vom Erst- bis zum Viertklässler alle zusammen lernen. Jede Gruppe ist wie eine große Familie. Und in jedem Sommer gehen die Großen weg und neue Kleine rücken nach. 

Das 'b' in "bschool" steht außerdem für begeisternd. Wir sind davon überzeugt, dass gegenseitige Wertschätzung und Vertrauen entscheidend ist für die Freude am Miteinander und damit für den Lernerfolg. 

6. So schön das auch alles klingt. Eure Schule muss man sich als Eltern auch leisten können, denn anders als in der öffentlichen Schule, müssen die Eltern einen Monats-Beitrag leisten. Wie hoch ist er?

Als „Freie Ersatzschule“ sind wir per Gesetz verpflichtet, unsere Beiträge abhängig vom Einkommen der Eltern zu staffeln. Auf diese Weise liegen sie zwischen 100 und 400 Euro monatlich. Sollte eine Familie im Laufe der Jahre zum Beispiel durch Job-Verlust in finanzielle Schwierigkeiten geraten, finden wir gemeinsam eine Lösung. Das Kind macht die Schule auf jeden Fall zu Ende, selbst wenn man unterwegs Katastrophen erlebt. Falls eine Familie das Geld gar nicht aufbringen kann, springt die Christian-Goswin-Stiftung eines Hilchenbacher Unternehmers ein. Etwa ein Zehntel unserer Schüler haben ein solches Stipendium, darunter Kinder von Geflüchteten aus Syrien oder der Ukraine. 

7. Euer Status als „Freie Ersatzschule“ bedeutet auch, dass ihr - anders als die öffentlichen Schulen - Lehrern kündigen könnt. Richtig? 

Das stimmt. Wir erwarten, dass die Menschen, die bei uns anfangen,  das Konzept leben und sich als Lehrer und Mensch weiter entwickeln können und wollen. Wir haben auch schon Lehrern gekündigt, wo das nicht der Fall war. Andere haben uns verlassen, weil es einfach nicht passte. Wieder andere sind mit ganzem Herzen bei uns. Und zwei haben sogar das Beamtentum an den Nagel gehängt, um zu uns kommen zu können. 

Zur Zeit suchen wir einen Schulleiter. Das darf gerne ein Mann sein, weil unser Team - wie überall im Primar-Bereich - überwiegend aus Frauen besteht. Gerade übernimmt die dienstälteste Lehrerin die Schulleitungs-Aufgaben. Und Katy, meine Geschäftsführer-Kollegin und ich, kümmern uns um die administrativen Dinge, damit sich die Lehrerinnen auf das Pädagogische konzentrieren können. 

8. Nachdem du durch die Schulgründung so tief in unser Bildungssystem eingedrungen bist, was wünscht du dir von Schulpolitikern am meisten?

Wir wissen heute längst, wie Kinder am besten lernen. Das ist auch in den Broschüren der Kultusministerien nachzulesen. Ich wünsche mir, dass es nicht bei diesen schönen Worten bleibt, sondern endlich umgesetzt wird. Dafür müsste man dringend das Lehramtsstudium reformieren. Das Studium für Lehrer ist extrem verschult. Kein Wunder, dass die angehenden Pädagogen diese teilweise veralteten Methoden dann bei den Kindern anwenden. Dabei wissen alle, dass Lernen anders geht. 

9. Gibt es Momente in eurer „bschool“, in denen du sagst: „Das Konzept ist aufgegangen. Die Schule ist ein Erfolg.“?

Ja, als ich am Abend vor der Eröffnung im Foyer stand, war das ein sehr glückliches Gefühl. Und wenn ich heute in der Schule bin und höre, wie Zweitklässler plötzlich Englisch sprechen, freut mich das riesig. Häufig muss ich auch an den Satz von Margret Rasfeld, der bekannten Lern-Reformerin und früheren Schulleiterin, denken: „Stell dir vor, es ist Schule und alle gehen gerne hin.“ Bei uns in der Schule stehen die Türen der Lerngruppen-Räume offen und ich höre, wie fröhlich sie bei der Sache sind. Dann habe ich den Eindruck, es ist „bschool“ und alle gehen gerne hin.

Liebe Yvonne, vielen Dank für das Gespräch!

Immer fröhlich das Schulleben schöner machen, wann und wo immer sich Möglichkeiten ergeben,

Eura Uta 

Eltern-Seminar mit Yvonne

In der „bschool“ besuchen alle Eltern zu Beginn der Schulzeit ihrer Kinder ein Seminar bei Schulgründerin Yvonne Melsheimer, um die Kommunikation in der Familie und Schule zu verbessern und die Kinder gut durch die Schulzeit zu begleiten. Ein noch intensiveres Training für alle interessierten Eltern auch außerhalb ihrer Schule bietet Yvonne zusammen mit Paar- und Team-Coach Julia Grosalski in diesem Herbst im Tagungshaus Keppel in Hilchenbach an. Den genauen Termin sowie einen Link zu allen weiteren Informationen findet ihr demnächst hier. 

Fotos: Yvonnes Porträt ist von Yvonne, das Titelbild und die anderen Fotos sind von Pexels. Vielen Dank!

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    Uta


    Ich arbeite als Eltern-Coach, Buchautorin und Journalistin, bin Ehefrau und Mama (ein Sohn, eine Tochter) und kann es nicht lassen, dem Familien-Glück auf die Spur zu kommen. Ich forsche in Büchern, spreche mit Experten und teste alle Erkenntnisse in der Praxis. Nur was mich überzeugt, weil es das Leben mit Kindern wirklich erfüllender macht, schafft es auf diese Seite.

    Deine, Uta

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