Erwachsene, die nicht hören 

 01/05/2017

Online-Coaching, Anna und Christopher, Teil 4

Liebe Anna, lieber Christopher

ich habe mir gerade unser bisheriges Gespräch angeschaut und gesammelt, was Nils „vorgeworfen“ wird:
langes Diskutieren, Doch-Nein-Doch-Nein … beim Anziehen, Zähneputzen, Zu-Bett-Bringen, zudem in der Vorschule: sprechen und Quatsch machen in der Schweigezeit beim Frühstück sowie eine Notwehrsituation mit Stock-Einsatz.
Daraus folgern die Erwachsenen (zumindest teilweise):
1. Nils ist ein Junge, der nicht hört.
2. Es braucht eine härtere Gangart, damit er hört.
Nach euren Schilderungen würde ich eher schlussfolgern: Nils ist der normalste Sechseinhalbjährige der Welt!
Dass euch die Machtkämpfe zu Hause anstrengen und nerven, kann ich verstehen (dazu kommen wir auch noch).
Dass ihr befürchtet, es könnte in der Schule noch schlimmer kommen mit den Sanktionen als in der Vorschule, kann ich auch gut verstehen. Jetzt entsteht so eine Art Torschlusspanik, in der Nils das „Hören“ doch noch beigebracht werden soll. Das Ganze aus Liebe, um ihn davor zu schützen, in der Schule womöglich noch stärker sanktioniert zu werden.
Mein Eindruck ist eher: Es sind die Erwachsenen in der Vorschule, die nicht auf Nils hören.
Er wird ausgegrenzt und vor die Tür gesetzt, weil er gequasselt und Quatsch gemacht hat?
Man setzt ihn dem Spott der Gruppe aus, weil er sich gewehrt hat?
Natürlich kann ich als Erzieherin Ruhe verlangen und auch einüben. Und wenn es nicht klappt, sollte ich mir Gedanken machen, woran es liegen könnte. (Vielleicht zu viel gehäkelt vorher?) Und dann kann ich das Kind, das stört, vielleicht an meine Seite setzen und ihm helfen, zur Ruhe zu kommen. Aber aussperren?
Und in der Situation mit dem Stock sollte man Nils erst einmal hören: Wie ist das passiert? War es Absicht?
Ist das nicht geschehen, hätte Nils allen Grund der Welt zu sagen: „Die Erwachsenen, die können einfach nicht hören.“
Und Mama und Papa, die folgen so ein bisschen auch meiner Lehrerin in der Vorschule und glauben jetzt auch schon, ich könnte nicht hören. Sollen sie doch sehen, was sie davon haben. Dann höre ich eben tatsächlich nicht mehr.
Deshalb meine Fragen heute:
1) Wie wirken meine Schlussfolgerungen auf euch? Ist das eine andere mögliche Sichtweise der Dinge?
2) Vertraut ihr Nils?
Viele Grüße und gute Nacht!
Uta
PS:
Es gibt eine Überkreuz-Entwicklung der Grob- und Feinmotorik bei Jungen und Mädchen. (nach Vera Birkenbihl: Jungen und Mädchen: wie sie lernen. Regensburg 2009)
Jungen sind bis zur Pubertät eher grobmotorisch ausgerichtet (großer Bewegungsdrang, Qual, still zu sitzen), während Mädchen weniger Probleme mit der Feinmotorik haben, mit Nicht-über den-Rand-Malen, mit Papier falten, schön schreiben …).
Es liegt also nicht an Nils persönlich, wenn ihm das Häkeln und Basteln eine Qual ist und er an manchen Tagen nicht frühstücken kann wie ein Mönch.
Liebe Leserinnen und Leser,
gerade bin ich abends nach dem Tag mit Sadia, den vielen Runden „Lotti-Karotti“, Schaukel-Anschubsen und Heimweh-Wegsingen so müde, dass ich nach dem Sandmännchen sofort ins Bett schlüpfen möchte. („Willkommen im Club!“ werden viele von euch denken. Jetzt weiß sie wieder, wie sich das anfühlt mit kleinen Kindern.) Ja, das weiß ich jetzt wieder.
Ich schaue mal, dass ich in den nächsten Tagen, den Abschluss des Online-Coachings so zusammenfasse, dass ihr einen Gewinn davon habt. Zudem möchte ich von der ersten aufregenden Woche mit Sadia berichten.
Ich hoffe auf eure Geduld und danke für euer Vertrauen!
Immer fröhlich schlafen!
Eure Uta

Titelbild von Ksenia Chernaya von Pexels. Vielen Dank!

  • Liebe Uta,
    ich finde es sehr interessant das Coaching so nachvollziehen zu können und freue mich auf weitere Teile. Der Nicht-hören-können Vorwurf schwebt hier auch… ich werde mich zurück halten und erstmal beobachten, ob wirklich nicht gehört wird. Oft klappt das hören nämlich sehr gut. Danke für den Anstoß!
    Liebe Grüße
    Sternie

  • Danke für die Wiedergabe des Coachings. Ich habe hier einen lebensfrohen 6,5-jährigen und kann die Sorgen der Eltern gut nachvollziehen.
    Außerdem lese ich gerade ihr Buch und bin rundum begeistert. Ich kann daraus auch sehr viel für meine zwei Teenager mitnehmen und fühle mich bei Vielem be- und gestärkt. Ich bin nach dem Lesen immer sehr motiviert und gut gelaunt. ☺
    Ich wünsche Sadia alles Gute und Ihnen eine gute Zeit zusammen. Und natürlich habe ich vollstes Verständnis, das Sadia Priorität hat.
    Viele Grüße
    Anja

  • Ihr Lieben,
    Ein Glück, dass das Schuljahr bald zu Ende ist. Wir haben das gleiche Problem mit unserem Sohn, nur, dass er 5 1/4 ist und nach hiesigem Schulsystem (Belgien) nächstes Jahr in die Schule kommt. Die Kindergärtnerin will ein musterschülerhaftes Verhalten/Leistung erzwingen, wozu er überhaupt nicht bereit ist. Die Schule kann da noch so sehr Waldorf-Typ sein, so richtig sichtbar ist das für uns nicht immer. Kennt Ihr denn schon seine Lehrerin/den Lehrer vom nächsten Jahr? Bei uns hat das geholfen. Sie weiß bescheid, sie kennt den Ehrgeiz der jetzigen Kindergärtnerin, unser Sohn konnte sie kennenlernen und wir sind jetzt einigermaßen beruhigt. Sie sagt, dass es keine erste Klasse ohne insbesondere Jungs gebe, für die der Beginn ins Schulleben besonders schwierig sei. Das sei völlig normal und werde von ihr auch nicht negativ bewertet werden. Man könne sich ja zusammensetzen und überlegen, wie man Henry da am Besten durchhelfen könne. Jetzt können wir Henry mehr darauf einstimmen, dass er gerade ein Übel hinnehmen muss, das bald vorbei ist, und Kindergartensituationen entdramatisieren. Inzwischen schafft er es sogar, kleine Witzchen darüber zu machen.
    Wir hatten auch mit unseren Töchtern (Zwillinge im Dauerkampf) schon erhebliche Probleme im Kindergarten. Diese Probleme haben sich schlicht ausgewachsen. Eine unserer Töchter eckt manchmal noch in der Schule an, aber das regelt sich dann wieder.
    Und dann denke ich oft: es sind ja die Erwachsenen, für die ein anstrengendes Kinderverhalten ein Ärgernis ist. Für die Kinder ist es ja oft gar nicht so schlecht. Sie wehren sich aktiver als andere, sie lernen früher, wie weit sie gehen können und sollten, als die ganz Braven (ich selber war eine ganz Brave, und ich musste das wehren und abwehren erst mühsam lernen). Ich habe einen Neffen, nun 25 Jahre alt, der als Kind ganz übel war. Er ist jetzt der tollste junge Mann, den man sich denken kann. Ich hoffe, Henry wird auch so.
    Liebe Uta,
    Vielen Dank, dass wir anderen Eltern vom online-Coaching auch profitieren dürfen. Deine Fragen an Anna und Christoph sind auch für mich eine große Hilfe.
    Charlotte

  • Oh ja, ich kann mich auch noch gut an die Zeit mit den Kindern erinnern, als sie klein waren. Und denke heute oft: wie hast du das geschafft?!
    Viel Kraft und Energie wünsche ich dir! Toll, dass Sadia zu Euch gefunden hat.
    Und auf weitere Coaching-Berichte freue ich mich schon.
    Liebe Grüße,
    Eleonore

  • Moin,
    auch von mir ein Danke für den Coachingbericht, generell für den Blog. Ich finde, das sind oft hilfreiche Gedanken oder Fokuswechsel.
    Zu diesem Coaching konkret möchte ich sagen, was für eine schreckliche Vorschule, soviel geballte schwarze Pädagogik, wie schade für die kleinen Kinder.
    Und wie doof, dass das immer noch solche Macht hat und so verbreitet ist (die Folgeschule scheint ja auch nicht besser zu sein), dass es Eltern verständlicherweise so verunsichert in ihrem Weg.
    Schöne Grüße
    Eli
    (Ein PS zum dem Hinweis beim Kommentieren: Es gibt alternativ zum Akismet-Plugin auch Plugins, die von vorneherein die deutschen Datenschutzgesetze einhalten und keine IP-Adressen+Nutzerdaten speichern, z.B. Antispam Bee)

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    Uta


    Ich arbeite als Eltern-Coach, Buchautorin und Journalistin, bin Ehefrau und Mama (ein Sohn, eine Tochter) und kann es nicht lassen, dem Familien-Glück auf die Spur zu kommen. Ich forsche in Büchern, spreche mit Experten und teste alle Erkenntnisse in der Praxis. Nur was mich überzeugt, weil es das Leben mit Kindern wirklich erfüllender macht, schafft es auf diese Seite.

    Deine, Uta

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