Vor zwei Wochen war ich zu einer Krebs-Vorsorge-Untersuchung. Das Ergebnis war unklar und verlangte weitere Untersuchungen. Die zweite Untersuchung konnte den Verdacht nicht klären und in mir breitete sich von Tag zu Tag etwas mehr Angst aus. Das dritte Verfahren schließlich brachte Klarheit und noch ein paar Tage später einen erlösenden Anruf. Alles gut! Danke!

Ich stieß einen Schrei aus, der – wie Prinzessin (12) berichtete – Vibrationen bis hoch in ihr Zimmer auslöste.
Ich kaufte Prosecco, Süßigkeiten, Chips, Lieblingslimonaden, das ganze Programm, drehte die Musik laut und alle tanzten, der Soßenkönig, Kronprinz, Prinzessin und am wildesten Königin Mutter. Wir lernten die Polka aus dem Tanzkurs vom Kronprinz („Hacke-spitze, hacke-spitze – eins, zwei, drei“), wir tanzten „Memphis“, schneller, immer schneller, wir lachten, prosteten uns zu, tanzten wieder und sackten erschöpft, verschwitzt und glücklich auf das Sofa.

„So einen schönen Abend hatten wir lange nicht mehr“, sagte Prinzessin, als ich sie später ins Bett brachte.

Warum brauchen wir bloß immer einen Warnschuss, um unser Leben auszuschöpfen?

 

Strand-Tanz mit meinem Neffen und meinen Kindern vor Jahren am Hennestrand in Dänemark.
Foto von meiner Schwester Nummer 3.

Warum tanzen wir nicht häufiger einfach mal so?

Warum bewundern wir Sonnenuntergänge nur im Urlaub?

Warum haben wir nicht immer einen Witz auf Lager?

Warum fragen wir unsere Kinder „Hast du deine Hausaufgaben fertig?“ statt „Hat dich heute schon mal jemand durch gekitzelt?“ oder „Habe ich erwähnt, dass ich dich liebe?“

Klar, „immer schön fröhlich sein“, wie ich euch penetrant dazu auffordere, das ist nicht möglich. Das Leben braucht das Auf und Ab, um wirklich erfüllt zu sein. Trauer gehört genauso dazu wie überschäumende Freude, Angst genauso wie Leichtigkeit. So einen permanenten Ballermann-Spaß hält keiner aus. Krankheit, Verlust, Tod – das führt uns in die Tiefe, zum Wesentlichen.

Aber dieses diffuse negative Dazwischen, das könnten wir uns doch sparen, oder? Dieser Ärger über das Internet, das nicht funktioniert, über das Wetter, das uns nicht passt, über Parklücken, die sich nicht auftun, schlechte Noten in der Schule, Zahnbeläge … Oder am schlimmsten diese schmutziggraue Suppe aus diffusen Ängsten und Sorgen über Dinge, die in 90 Prozent aller Fälle sowieso nicht eintreffen.

Apropos Zahnbeläge. Montag war ich mit Prinzessin bei der Zahnärztin. Während der Zahnreinigung saß ich im Wartezimmer, als die Prophylaxe-Helferin mich mit Leichenbitter-Miene in das Behandlungszimmer bat: „Ich möchte, dass Sie sich das mal ansehen.“

Wurzelfäule, Zahn verschluckt, Parodontose im letzten Stadium?

Ich trat neben meine Tochter, die auf dem Behandlungsstuhl lag. Das schwenkbare Licht stand dicht über ihrem Gesicht und ihre Schneidezähne strahlten in einem grellen Pink. Das kam von der Farbe, die die Beläge sichtbar machen sollte. Pink, eigentlich überall.
Ich musste herzhaft lachen. So ein Textmarker-Grinsen. Ich liebte meine Tochter und sogar ihre Zahnbeläge noch mehr als sonst und strich ihr über die Stirn.

Die arme Prophylaxe-Helferin, die mich geholt hatte, damit ich meiner Tochter eine Standpauke halte! Sie sah mich an, als wäre ich nicht ganz dicht. Sie wollte ja auch bloß gründlich sein und konnte nicht ahnen, dass sich bei mir gerade eine paar Maßstäbe verschoben hatten.

Wart ihr auch mal so erleichtert? Hat euch das wachgerüttelt? Habt ihr was verändert? Wann habt ihr zuletzt eine Polka getanzt?

Immer fröhlich euer Leben ausschöpfen mit allen Höhen und Tiefen, häufiger mal die Musik aufdrehen und richtig ausgelassen sein

Eure Uta

  • Die Botschaft, dass Sohnemann die 8.Klasse wiederholen darf und die Nachricht, dass die Tochter von Freunden schwer krank ist trafen fast zeitgleich an. Das Mädchen kämpft immernoch und unser Achtklässler ist viel zufriedener in seiner neuen Klasse.
    Besten Gruß
    (auch eine) Uta übrigens HEUTE Namenstag, Ihr müsst schon wieder feiern und tanzen 😉

  • Habe einen 15-Jährigen Sohn und eine 13-jährige Tochter. Dein Blog scheint das Parallelluniversum zu meinen Gedanken. Für mich der absolute Equlizer.
    Danke! Ich liebe deinen Blog! LG

  • Es ist viele Jahre her: Der älteste Sohn (damals 6) hatte Mittelohrentzündung und musste am 4. Advent operiert werden, wegen drohender Hirnhautentzündung durch Bakterien, die auf dem Weg durch den Schädelknochen waren. OP gut verlaufen, aber ganz schlechtes Blutbild, am 23.12. Knochenmarkpunktion wegen Verdacht auf Leukämie, Heiligabend nach Hause entlassen – Befund kommt nach Weihnachten.
    Wir haben gefeiert und gehofft. Der Befund war dann negativ. Ich glaube, getanzt haben wir nicht (die Kinder wussten ja auch nichts davon) – aber die riesengroße Erleichterung und Dankbarkeit vergesse ich nie.

  • Liebe Uta,

    ich freue mich sehr, dass es bei einem Warnschuss geblieben ist.
    So erleichtert war jedes Mal, als sich herausstellte, dass der große Herzbube keine Mukoviszidose, keinen Autismus, keine frühkindliche Anorexie, keine sonstwas hat. Getanzt wird bei uns öfter, die Herzbuben sind ja noch klein und ausgelassen.
    Den Blick auf meinen großen Herzbuben habe ich geändert. Ich lasse ihn mehr. Ich schaue nicht mehr, wie viel er isst, ob er isst, warum er anders ist.
    Eigentlich feiern wir (fast) jeden Morgen im „Spaßmobil“ auf dem Weg zur Kita: mit lauter Musik, lautem Gesang – momentan Rolf Zuckowskis Weihnachts-CD.
    Innerlich feiere ich, wenn meine Herzbuben meine Hand nehmen, mich so fest sie können drücken.
    Ganz erleichtert bin ich jedes Mal nach einer Zahnarzt-Behandlung. Zahnarzt-Termine erzeugen unsäglichen Stress bei mir. 😉
    Bleib gesund und sehr munter,
    liebe Grüße,
    Frieda

  • Liebe Uta, das freut mich riesig für Dich. Diese Art von Zitterpartien braucht kein Mensch. Wie gut, dass alles gut ist.
    Solche Zitterpartien hatte ich schon öfter. Die schlimmste vor zweieinhalb Jahren, als die Pneumologin mal eben im Vorbeigehen zu mir sagte „sieht ganz nach Lungenkrebs aus“… und ich zwei Wochen auf CT-Bilder und histologische Befunde warten musste, inklusive 2 Tagen im Krankenhaus zwischen Krebspatienten im Endstadium. Was mein Körper in der zweiwöchigen Panik mit mir anstellte war unglaublich. Der Heilpraktiker sagte: „Die meisten Menschen sterben nicht an Krebs, sondern an der Diagnose.“. Nein, die Pest wars nicht, lustig aber auch nicht. Udn ja, es hat sich viel verändert in meinem leben seitdem. Ich tue mehr von dem was ich liebe und ich habe angefangen zu bloggen. Das Abgrenzen fällt leichter, die Ernährung ist gesünder und ich genieße den Augenblick deutlich mehr. Meine Sicht auf die Welt, auf andere Menschen, auf vermeindliche Katastrophen (wie schlecht geputzte Zähne) hat sich verändert. Sehr.

    Herzlich Katja… die sich mit Dir freut.

  • Hm, sagen wir mal ja, auf eine etwas unschönere Art: Der Freund in fernen Landen, ich einen Knoten in der Brust. Auf meine Nachricht per E-Mail ging er nicht ein sondern schrieb ganz munter und normal weiter. Das war der Moment, an dem ich wusste, beim Falschen gelandet zu sein.
    Glücklicher Ausgang: Nur ein normaler Knoten, der wieder wegging, Typ abgeschossen und ein Jahr den Traummann gefunden, mit dem die Beziehung seit Jahren immer glücklicher wird. 🙂
    Also ja, leider braucht’s häufig einen etwas dummen Anstoß.
    LG /inka

  • Ohhh ja, wie gut, dass der Kelch an dir vorüber ist! Ich kann mir eure Erleichterung gut vorstellen.
    Uns gelingt es zum Glück recht oft, Glücksmomente zu fassen zu kriegen und auch zu benennen. Und dann gemeinsam zu genießen. Gerade im Urlaub, aber auch zu Hause. Ich bin der festen Überzeugung, das kann man üben. Am Wochenende gemeinsam alle Mann im Bett zu lümmeln und zu sagen: „Boah, geht es uns gut!“… Der Sonne beim Untergehen zuzusehen… Etwas Selbstgebackenes zu genießen… Feuer im Kamin zu machen und zufrieden seufzend in die Flammen schauen… Und wenn doch wieder die Hektik zuschlägt und ich kein Auge für die Schönheit des Alltags, hab ich da mittlerweile zwei gut trainierte Glücksmomentefinder, die meinen Part übernehmen: „Guck mal, Mama, wie schön!“ Eine sehr sinnvolle Art der Konditionierung, wie ich finde. 🙂
    (Immer gelingt es uns natürlich auch nicht. Aber doch öfter als den meisten, glaube ich, und wie gesagt: Übungssache.)

  • Liebe Uta,
    wie schrecklich das gewesen sein muss … ich freu mich sehr, dass alles gut ist!!!
    Meine Mama hatte 1996 eine Gehirnblutung und wäre vor meinen Augen beinahe gestorben. 2011 hat dann ja meine Kleine an ihrem zweiten Lebenstag einfach aufgehört zu atmen – direkt im Bettchen neben mir, und ich hab es nur gemerkt, weil sie schon dunkelblau war. Es gab also Situationen in meinem Leben, die mich hätten wachrütteln müssen. Für die Zukunft. Und dennoch schlage ich mich täglich mit „hoffentlich-ist-im-Bus-genug-Platz-für-den-Kinderwagen“-Gedanken rum … Grausam. Aber ich arbeite dran.
    Freu mich!
    LG Dorthe

  • Ich freue mich für dich, Uta! Eine SEHR gute Nachricht!

    Allerdings muß ich beim Lesen an die Touaregs denken. Im Augenblick großer Freude schlagen sie sich mit flacher Hand auf den Kopf… à la *immer schön am Boden bleiben*. Oder eben nach der alten Maxime *Im Glück nicht übermütig werden, im Unglück nicht verzagen*.

    In diesem Sinne, weiterhin ein gesundes und fröhliches Jahr!

  • Das hast Du seeehr gut und ehrlich geschrieben, Gefühle auf den Punkt gebracht.

    Ja, ich habe die Erfahrung im Leben öfters gemacht, dass ich ERST durch unsägliche Tiefen und Täler gehen muss (sie gehören nun mal zum Leben dazu), um die Höhen und schönen Momente wirklich schätzen, ehren und genießen zu können.
    Erst durch meine Tiefen habe ich gespürt, wie wunderbar, schön, bereichernd und einzigartig alleine mein „normaler“ (Wahnsinns-) Alltag ist… und Höhen sind so toll, dass es fast wehtut 🙂 :-*
    Wie schön, dass Du gesund bist! Das freut mich aufrichtig!
    LG!

  • Ich seh euch tanzen, mit strahlenden Gesichtern und freu mich mit euch!
    Und wie oft, falle auch ich ins Lamentieren mit ein, wenns um die Verfehlungen meiner Kinder geht, da finde ich es toll, wenn einem rechtzeitig einfällt, was wirklich wichtig ist und man auch klar Stellung beziehen kann.
    Ich freu mich sehr über deinen Blog und lese mit viel Freude bei dir!
    Liebe Grüße
    Malaika

  • {"email":"Email address invalid","url":"Website address invalid","required":"Required field missing"}

    Uta


    Ich arbeite als Eltern-Coach, Buchautorin und Journalistin, bin Ehefrau und Mama (ein Sohn, eine Tochter) und kann es nicht lassen, dem Familien-Glück auf die Spur zu kommen. Ich forsche in Büchern, spreche mit Experten und teste alle Erkenntnisse in der Praxis. Nur was mich überzeugt, weil es das Leben mit Kindern wirklich erfüllender macht, schafft es auf diese Seite.

    Deine, Uta

    >