Schule im Dorf 

 16/10/2015

Wie wenig hilfreich es ist, wenn Eltern sich in Schulsorgen hineinsteigern.

Zwei Neuigkeiten hat mein Mann mir heute früh beim Tee erzählt:

  1. Eine Kollegin von ihm, eine besonders lebenslustige und sympathische Frau, ist an Krebs erkrankt. Das wusste ich schon. Ich wusste aber nicht, dass sie vor wenigen Tagen operiert worden ist und dass es dabei so große Komplikationen gab, dass sie in ein künstliches Koma versetzt werden musste.
  2. Ein Tenniskollege von meinem Mann erzählte nach dem Training, dass seine Tochter im Sommer auf das Gymnasium gekommen sei. Jetzt würden die Anforderungen ja so richtig anziehen, meinte er. Und das Mädchen habe neulich das Buch, das es zum Lernen für eine Klassenarbeit gebraucht hätte, in der Schule liegen lassen. Da hätte er ihr gesagt, dass sie mit dieser Arbeitsweise auf dem Gymnasium nicht zurecht kommen würde. Mein Mann wagte nachzufragen, wie denn das Zeugnis der Tochter in der Grundschule gewesen wäre. „Bis auf eine 2+ alles Einser“, antwortete der Vater. Aber jetzt auf der weiterführenden Schule werde es bestimmt nicht so kinderleicht bleiben.

Ja, es wird den Kindern immer wieder gedroht im Schulleben. Von Lehrern, aber vor allem von Eltern.
Die Thronfolger sind jetzt in der 9. und 12. Klasse. Als sie eingeschult wurden, hieß es, der Ernst des Lebens beginne. Dann gab es den Stress mit der Gymnasial-Empfehlung. Jürgen Kaube schrieb vor einiger Zeit in der FAZ, dass „Eltern, denen man eingeredet hat, die Schule entscheide über den Lebenserfolg samt der Schichtplazierung“, verständlicherweise schier durchdrehen würden, wenn das Kind keine Gymnasialempfehlung erhalte.
Gut … oder besser nicht gut. Aber das mit den Gymnasialempfehlungen hatten wir auch geschafft. Nun hieß es, die Kinder müssten zeigen, dass sie den Anforderungen der Oberschule gewachsen sind. Halb so dramatisch, stellte ich fest. Aber es gab Mütter, die warnten: „Warte, bis sie in die 6. Klasse kommen. Du weißt ja nicht, ob sie es in die 7. Klasse schaffen oder die Schule verlassen müssen.“ Kaum war diese Hürde genommen, wurden die nächsten Drohszenarien aufgebaut: die Realschul-Prüfung in der 10. Klasse, die angeblich strengere Bewertung in der Oberstufe, schließlich der Abiturstress. Ich bin mir sicher, es wird danach so weitergehen: wir werden gewarnt werden, wie schwer es ist, einen Ausbildungs- oder Studienplatz zu finden. Dann werden wir hören, wie stark in den ersten Semestern „gesiebt“ werde, Durchfallquoten machen die Runden – das Lernen und Leben, ein einziges atem- und freudloses Wettrennen.
Wollen wir das wirklich so?
Wollen wir schon unsere Vorschulkinder unter Druck setzen, weil sie noch keine Buchstaben können?
Wollen wir Zehnjährige mit Leichenbittermiene zur Seite nehmen und tadeln, wenn sie mal ihr Arbeitsmaterial in der Schule vergessen haben?
Finden wir es normal, dass schon Zwölfjährige eine Burnout-Sprechstunde aufsuchen, dass immer mehr Teenager wegen Depressionen behandelt werden müssen?
Das Nebeneinander der beiden Themen, die mein Mann ansprach, die lebensbedrohliche Erkrankung der Kollegin und die Ängste des Tennis-Kameraden führte uns vor Augen, wie irrsinnig diese übersteigerten Schulsorgen sind, die Eltern heute umtreiben.
Neulich las ich von einem Schweizer, der auf sein Leben zurückblickte. Ein Leben mit Höhen (viele abenteuerliche Reisen, große berufliche Erfolge) und großen Tiefen (einen Sohn durch einen Unfall verloren). Wenn er etwas anders machen könnte, meinte er am Schluss des Artikels, dann würde er fast alles wieder genauso machen – nur mit weniger Angst.
Immer fröhlich die Kirche Schule im Dorf lassen.
Eure Uta

Beitragsbild von Anastasia Shuraeva bei Pexels. Vielen Dank!

  • So wahr liebe Uta. Rückblickend denke ich oft, die Schulzeit hätte auch weniger stressig sein können, die Noten sind gar nicht so wichtig wie einem immer gesagt wurde. Ich hoffe, unseren Kindern eine entspannte Schulzeit ermöglichen zu können.
    Alles Liebe euch
    Sternie

  • Liebe Uta,
    genau das passiert mit mir gerade. Am letzten Freitag hatten wir die Einladung zur Vorstellung der 4,5jährigen an der Schule im Briefkasten. Mit Hinweisen dazu, was alles geprüft würde. Geprüft, um den Schulstart in 1,5(!) Jahren zu erleichtern (wenn nötig). Das ganze letzte Wochenende habe ich gedacht: Son Mist, mein Kind kann das nicht! Dann: Wie soll sie auch? Das sind Dinge, die sie doch erst in der Schule lernen soll!
    Am Montag habe ich das im Kiga besprochen. Ich möchte auf keinen Fall in diesen Strudel geraten und mein KiGa-Kind schon jetzt so drillen. Und bei dem Termin in der Schule werde ich sagen, wie dieses Schreiben mich verrückt gemacht hat.
    Und noch kurz zu dem Nebeneinander deiner Themen. Natürlich ist eine Krankheit viel größer als „Schulsorgen“, aber ich denke, dass man auch diese kleinen Sorgen haben darf.(auch wenn sie übertrieben sind). Ich selber habe in der Familie mittlerweile schon mehrmals erleben müssen, wie überhaupt nicht selbstverständlich Gesundheit und Leben sind … aber trotzdem darf ich mir über (eigentliche) Kleinigkeiten Gedanken machen, wenn sie wichtig für mich sind.
    Ich weiß, dass du das so nicht gemeint hast … wo dein Schwerpunkt liegt … ich wollt das nur noch loswerden 😉
    Danke für den Schul-Stupser und liebe Grüße,
    Dorthe

    • Liebe Dorthe,
      stimmt, auch Sorgen, die vergleichsweise kleine Sorgen sind, haben ihre Berechtigung.
      Unser kleiner Herzbube hat die 4,5-Jährigen-Einladung auch bekommen, allerdings ohne Hinweise darauf, was er können sollte.
      Der große Herzbube musste damals nur ein kleines Puzzle machen, sich selbst malen und eine Bildgeschichte erzählen.
      Die Vorstellung in der Schule ist wirklich keine große Sache und nichts, was euch dazu veranlassen sollte, irgendetwas zu üben, damit es zu dem Termin klappt. Vor allem aber sollte es dir den Kopf nicht voll machen, die Spannen in dem Alter sind doch so groß und plötzlich, von einem Tag auf den anderen, machen Kinder Dinge, die vorher überhaupt nicht absehbar waren.
      Ich finde es super, dass du in der Schule ansprechen möchtest, was das bei dir ausgelöst hat. Ich kenne das durchaus von Freundinnen, bei denen es ähnlichen Stress verursacht hat.
      Alles Gute,
      Frieda

  • Liebe Uta,
    wir sind Schulneulinge. Der große Herzbube hat die ersten Wochen hinter sich und ich bin froh, dass er angekommen ist.
    Wir hatten bereits das erste Lernentwicklungsgespräch, er musste dabei selbst einstufen, wie gut es in verschiedenen Bereichen klappt. Dabei ging es aber ausschließlich um Sozialkompetenz und nicht um Leistung.
    Durch die Behinderung des Herzbuben und seine damit verbundene Entwicklungsverzögerung (er fängt gerade an zu zählen, Buchstaben und Zahlen erkennt er gar nicht), fühle ich mich von diesen Schulsorgen befreit. Ich bekomme zwar täglich ein kurzes Feedback der Schulbegleitung, aber auch da geht es weniger darum, was er genau gemacht hat, sondern vielmehr um das „Wie“. Wie es ihm an dem Tag erging, wie er an Dinge heran ging oder sich beruhigte, wenn es zu viel wurde. Ich kenne nicht mal die Arbeitsblätter, weil sie in der Schule bleiben.
    Mir ist im Moment wichtig, dass er zurecht kommt, die Schule auf ihn eingestellt ist und er Fortschritte erzielt. Er ist bei weitem nicht auf dem Niveau seiner Klassenkameraden, auch sein kleiner Bruder (4) ist weiter als er. Aber er macht, was er kann und so gut wie er es kann.
    Ich hoffe, dass ich einen Teil der schulischen Gelassenheit auf den kleinen Herzbuben übertragen kann und bin froh, dass ich durch den großen Herzbuben gezwungen bin, eine ganz andere Brille aufzusetzen.
    Liebe Grüße,
    Frieda

  • Ach, Angst ist so ein großer dummer Käse. Ich habe niemals mit Absicht Angst. Wenn sie mich aus irgendwelchen Gründen heimsucht, dann kuschle ich ein bisschen mit ihr (sie braucht ja auch Liebe), bring sie ins Bett, steck die Decken fest und sag ihr, sie solle sich schön ausschlafen, aber ich erwarte, dass sie am nächsten Tag wieder brav zur Arbeit geht und hier nicht jammernd im Haus rumhängt. Ich habe keine Zeit, um so ein albernes Geschöpf gründlich und womöglich täglich zu umsorgen. Ich verstehe nicht mal das dahinterstehende Prinzip. Man kann vernünftig nachdenken und einigen Problemen vorbeugen, das tu ich dann auch (und wenn, sagen wir mal, Europa das ebenso handhaben würde, dann wären jetzt Infrastruktur und Verteilungsmodalitäten für die ankommenden Flüchtlinge da und müssten nicht aus dem Boden gestampft werden, denn das war etwas, das sich lange, sehr lange angekündigt hat und vollkommen absehbar war). Die allermeisten Probleme kommen aber ganz nach eigenem Ermessen, wie es ihnen gerade einfällt, oder sie kommen eben nicht, und es reicht, sich um sie zu kümmern, wenn sie da sind.
    Angst ist jedenfalls nie ein guter Ratgeber. In meinem Seelenhaushalt gilt sie als eine Art hysterischer kleiner Kläffer, der halt auch da ist und da sein darf, aber auf den natürlich keiner hört, weil der Kläffer nun mal keine Ahnung hat. Es gibt nichts Wichtigeres als Liebe, Zusammenhalt und genug zu essen, alles andere ergibt sich.
    Ein schönes Buch zum Thema ist Dorothy Canfield Fishers „Das allerbeste Apfelmus“. Kinderbuch, Belletristik. Muss ja nicht immer ein Ratgeber sein. 😉
    Gute Besserung für die Kollegin Deines Mannes, ich hoffe, sie erholt sich wieder und hat noch etliche wunderschöne Jahre vor sich.
    Liebe Grüße
    Maike

  • Hmm, das mit der Schule ist so eine Sache. Bei uns steht auch die Entscheidung an, auf welche weiterführende Schule der Große gehen soll. Letzte Woche war dazu der Elternabend in der Schule. Da wurde gesagt: Kinder mit 1en und 2en im Zeugnis Gymnasium, die mit 2en und 3en Realschule, alle anderen Hauptschule.
    Dann müsste mein Sohn auf die Realschule, so wie seine letzten Arbeiten ausgefallen sind, vielleicht auch Hauptschule?? In Hessen haben aber die Eltern das letzte Wort. Wollen wir Realschule?! Wenn ja, welche? Und wie durchlässig ist die nach oben? Kann der Junge nicht eigentlich mehr, wenn er sich ein bisschen (nur ein bisschen!!) mehr ansrengt?
    Ich traf eine Bekannte, deren Sohn auch in die 4. geht, die ältere Tochter macht im Frühjahr Abi. Die meinte: Mach die locker. Solange du glaubst, dass dein Kind zu den besseren 51% in der Klasse zählt, schick ihn aufs Gymnasium, auch wenn er nicht die Empfehlung hat.
    Was denn jetzt?
    Eine Freundin unterrichtet an einem der G9-Gymnasien in unserer Stadt – das völlig überwählt ist. Sie sagt: Schick ihn nicht aufs Gymnasium, wenn er eine Realschulempfehlung hat. Die überwählten G9-Gymnasien werden ihn nicht nehmen und G8 hält er nicht durch.
    Okay, sehe ich ein.
    Eine Mutter erzählte von einem Kind, das mit Realschulempfehlung aufs Gymnasium ging, dort nicht mithalten konnte und auf die Realschule wechseln wollte. Die waren aber alle voll belegt und lehnten das Kind ab, weil es vom Gymnasium kam. Es musste auf die Hauptschule.
    Och nö!
    Natürlich versuche ich, nicht alles für bare Münze zu nehmen und eher auf mein Bauchgefühl zu achten. Aber natürlich will ich auch das Beste für mein Kind. Und informiere mich deshalb. Und werde dadurch nicht schlauer. Und was, wenn ich die beste Lösung habe, mir aber das Schulamt einen Strich durch die Rechnung macht, weil die G9-Gymnasien, guten Realschulen und Gesamtschulen allesamt überwählt sind? Wenn unsere Wunschschule uns ablehnt? Dann schicken die vom Schulamt nämlich die Kinder auf irgendeine Schule (Schulform je nach Leistungsempfehlung der Grundschule).
    Bitte nicht!
    Zu allem Überfluss wird die Lehrerin meines Sohnes zu Ende November in den Mutterschutz gehen und irgendeine (noch gar nicht gefundene und eingestellte) Vertretungskraft macht dann die Empfehlungen.
    Schnief.
    Da finde ich es verständlich, wenn ich mir ab und zu Sorgen mache…
    Auch wenn andere Dinge vielleicht viel wichtiger sind im Vergleich dazu. Schule ohne Hochschulabschluss ist keine Einbahnstraße. Karrieren sind nicht mehr linear. Hauptsache, das Kind ist glücklich und gesund.
    Gutes Mantra…
    Beste Grüße in die Blogwelt von der SteffiFee
    Die Welt braucht nicht nur Akademiker.

  • Dein Artikel kommt wie gerufen. Ein Freund hat das Problem, dass seine Frau – eine Lehrerin – ihrem Sohn unnötig Druck macht. Er geht gar nicht mehr gerne in die Schule. Hättest du ein paar Tipps und Ideen, wie man ihm den Spaß zurück geben könnte?

  • Liebe Uta, dein Bericht kommt wie gerufen. Ich habe selbst kleine Kinder und sie sind noch weit von der höheren Schule entfernt. War dennoch geschockt, als der Nachbarvater voller Sorge von den Anforderungen des Gymnasiums sprach, auf das seine Tochter jetzt geht. Um dann nach Hause zu gehen, um mit eben dieser Tochter stundenlang den Schulstoff zu wiederholen, damit sie keine Klassenarbeiten verhaut. Heute sind die Eltern vor Angst gebeutelt, sitzen bibbernd beim Elternabend und notieren sich, wie die Noten zusammengesetzt werden. Die Ansprüche an die Kinder werden höher. Die Kleinen spüren das schon im Kindergarten, in dem „kleine Forscher“ die Naturwissenschaften möglichst früh ergründen sollen. Englisch für Dreijährige ist ja inzwischen Usus. Ich mache da nicht mit. Meine Kinder sollen glücklich, und keine promovierten Nobelpreisträger werden. Danke dir für dem Artikel, Laura

  • Mach der Lektüre (ich muß gestehen: mehrmaliger Lektüre) Deines Buches sehe ich das ganze Schuldingens viel gelassener.
    Seit meine Große in der dritten Klasse den Spaß an der Schule verloren hatte, gab es nur noch Hausaufgabenstreß zu Hause. Jetzt jedoch lasse ich mir davon nicht mehr die Beziehung zu meinem Kind zerstören. Und ich möchte auch nicht mehr, daß der Wert meiner Kinder an Noten festgemacht wird.
    Schule ist wichtig, aber nicht alles im Leben!
    Liebe Grüße
    Suse

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    Uta


    Ich arbeite als Eltern-Coach, Buchautorin und Journalistin, bin Ehefrau und Mama (ein Sohn, eine Tochter) und kann es nicht lassen, dem Familien-Glück auf die Spur zu kommen. Ich forsche in Büchern, spreche mit Experten und teste alle Erkenntnisse in der Praxis. Nur was mich überzeugt, weil es das Leben mit Kindern wirklich erfüllender macht, schafft es auf diese Seite.

    Deine, Uta

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