Wie du deinem Teenager wieder vertrauen kannst 

 14/09/2021

Die 10 entscheidenden Punkte für einen Neuanfang

Im Coaching diskutiere ich häufig mit Eltern darüber, ob sie ihrem Teenager vertrauen oder nicht. Der Klassiker während der Pubertät ist, dass Mama oder Papa oder beide vehement beteuern, sie würden ihrem Sohn oder ihrer Tochter vertrauen. Für mich als Coach oder auch für Außenstehende aber ist sonnenklar, dass sie es nicht tun. Hier ein Beispiel: 

Der Sohn von Michael und Claudia macht im nächsten Jahr sein Abitur. So lautet zumindest der Plan. Leo aber ist, was man eine „faule Socke“ nennt. Die Proben mit seiner Band sind ihm wichtiger als die maximale Punktzahl in der Englisch-Klausur, und was er bis tief in die Nacht alles an seinem Rechner macht, ist den Eltern sowieso suspekt. Wenn Claudia sich nach seinen Vorbereitungen für die Abitur-Prüfungen erkundigt, geht der Sohn ihr fast an die Gurgel. Der Vater sagt: „Ist ja auch schwierig jetzt mit Corona und den ganzen Hormonen in seinem Körper.“ Darauf Claudia: „Du willst ihn bloß wieder in Schutz nehmen.“ 

Uta zu Claudia: „Vertraust du Leo?“

Claudia: „Doch! Ich weiß ja, was er drauf hat. Und ich will, dass er seine Talente nicht verkümmern lässt. Ich habe einfach Angst, dass er unter seinen Möglichkeiten bleibt. Denn das zeigt die Erfahrung, die wir in den vergangenen Jahren mit ihm gemacht haben: er lernt auf die letzte Minute und dann reicht es so gerade, um durchzukommen.“

Uta: „Hast du ihn mal gefragt, ob er sich bessere Ergebnisse wünscht?“

Claudia: „Ich frage ihn ständig, aber dann bekomme ich nur patzige Antworten.“ 

Michael: „Ja, weil du ihm nicht vertraust.“

Claudia (sauer): „Du verstehst das einfach nicht. Ich traue ihm sehr viel zu, mache mir aber Sorgen, dass er sein Potenzial nicht nutzt und ein viel schlechteres Abi macht, als er könnte.“

echtes vertrauen in mein kind

Vertrauens-Test: Gespräch möglich?

Das ist eine typische Situation aus dem Coaching. Wir diskutieren darüber, ob jemand seinem Kind vertraut oder nicht. Diese Diskussion habe ich besonders häufig mit Eltern, deren Tochter oder Sohn in der Pubertät steckt. Dabei gibt es ein einfaches Zeichen für echtes Vertrauen. Wenn du dich fragst, ob du deinem Teenager WIRKLICH vertraust, dann achte mal darauf, ob er oder sie die Unterstützung, die du anbietest, annimmt oder nicht. Vielleicht nicht jeden deiner Vorschläge. Es sind sicher auch welche dabei, die das Kind aus inhaltlichen Gründen ablehnt. Der ultimative Test für Vertrauen aber ist, ob ihr - kurze Sendepausen sind normal - grundsätzlich im Gespräch bleibt und dein Teenager in der Regel kooperativ ist.

Ein anderes Beispiel:

Meine Leserin Katharina schrieb mir von ihrem Sohn Chris (16). Dieser steuerte im Frühjahr auf ein Abschlusszeugnis der 10. Klasse zu, das katastrophal auszufallen drohte. Chris wollte nach dem mittleren Abschluss eine Ausbildung als Kfz-Mechatroniker machen. Mit einem Zeugnis voller Vieren und einer drohenden Fünf machte sich Katharina Sorgen, dass keine Auto-Werkstatt ihn als Lehrling nehmen würde. Es gab aber noch eine Chance, seine Papierform ein wenig auf zu bessern: eine Präsentation im Fach Musik, mit der sich eine 4 aus dem Vorjahr noch in eine 3 verwandeln lassen würde, wenn er dafür eine 1 oder 2 schaffen sollte.

Katharina erinnerte ihren Sohn beharrlich an diese Chance. Zwei Wochen blieben Zeit bis zur Präsentation „Der Aufbau einer Sonate“. Nichts tat sich. Katharina schreibt: „Zwei Tage vor der Präsentation, hab ich ihn genötigt, uns alles im Wohnzimmer vorzuführen, was er vorbereitet hatte. Sein großer Bruder Tim war auch zu Hause und so guckten wir beide zu. Es war ein Desaster, und zwar noch viel schlechter, als ich erwartet hatte. Ich hätte mit guten Willen dafür eine 4- gegeben, Tim auch. Also war ich streng und habe gesagt, er solle die Kritikpunkte überarbeiten und alles üben und so musste er die Präsentation am Dienstag mehrfach über den Tag verteilt vortragen, damit er Sicherheit bekam. Es wurde auch von Mal zu Mal ein bisschen besser, aber von gut war es weit entfernt. Tim und ich wussten an diesem Tag tatsächlich mehr von der Präsentation, als er selbst.“

Ein Freund von Chris kam und gab noch Tipps für eine gute Körperhaltung beim Vortrag. Seine Paten nahmen im Wohnzimmer Platz und gaben ein freundliches Publikum. Schließlich hatte Chris die Präsentation so oft gehalten, dass man ihn nachts hätte wecken können und er hätte im Halbschlaf die Sonatensatzform und ihre Teile herunterbeten können.

Am anderen Morgen fuhr Katharina ihn mit allen Instrumenten und Noten zur Schule und ging währenddessen einkaufen. Nach 40 Minuten konnte sie ihn abholen. „Er stieg ins Auto und ich fragte gleich: ‚Und?` Da grinste er und sagte: ‚Ja, ne Zwei!“

Was ist der Unterschied zwischen beiden Beispielen?

Klar! Zwei verschiedene Familien lassen sich kaum vergleichen. Leo, der junge Mann aus dem ersten Beispiel, ist zudem zwei Jahre älter als Chris. Trotzdem habe ich in diesen Tagen viel darüber nachgedacht, warum es Katharina gelingt, mit ihrem Sohn in Beziehung zu bleiben, während Claudia auch das Beste für ihr Kind will, bei Leo aber nur auf Ablehnung stößt.

Das Mama-Verhalten, das Katharina zeigt, würde ich durchaus als übergriffig bezeichnen. Sie nötigt Chris, den Vortrag vor allen möglichen Leuten im Wohnzimmer zu halten. Sie lässt einfach nicht locker und sitzt einmal sogar bis tief in die Nacht mit Chris zusammen, um gemeinsam die Korrekturen an seinem Exposé durchzugehen.  

Hätte ich dazu geraten? Wahrscheinlich nicht. Ich hätte hier geschrieben, dass sie Unterstützung anbieten kann, es dann aber an ihm liegt  - schließlich ist er 16 - ob er sie annimmt oder nicht. 

Nicht das Verhalten der Eltern ist entscheidend, sondern die innere Haltung. So würden Katharinas Maßnahmen der Mama Claudia aus dem ersten Beispiel nicht helfen. Das gleiche Verhalten würde nicht zu den gleichen Ergebnissen führen. Deshalb sind pauschale Erziehungs-Tipps so nutzlos. Wir müssen tiefer gehen, um die Gründe zu verstehen. 

Mögliche Gründe, warum es bei Katharina funktioniert

  • Sie unterstützt ein Ziel, das ihr Sohn sich selbst gesetzt hat: Kfz-Mechatroniker werden. Parallel dazu könnte Claudia sich für die Musik interessieren, die Leos Band macht. Hier geht es darum wahrzunehmen, wer mein Kind ist, statt ihm meine Agenda überzustülpen.
  • Es ist ein Unterschied, ob ich einzelnen Talenten meines Kindes vertraue oder ob ich dem „Gesamtpaket“ vertraue, dem ganzen Menschen. Wenn ich sage. „Er ist begabt, aber das wird wegen seiner Faulheit nichts nützen“ hilft das wenig. Vertrauen gibt es nur für die ganze Person und nicht für Teile von ihr.
  • Auf dem Fundament dieses Vertrauens kann Katharina sogar Druck ausüben und Chris dazu bringen, seinen Vortrag mehrfach zu halten. Offenbar ist für den Jungen spürbar, dass Mama „für ihn ist“ in allem, was sie macht. Auch Claudia liebt ihren Leo. Keine Frage. Aber diese Liebe kommt bei Leo offenbar nicht an (siehe 'zu sehr eigene Agenda’). Deshalb nehmen wir uns im Coaching die Frage vor: Wie kannst du deinem Teenager wieder vertrauen?
  • Nur wenn ich in Beziehung bin und bleibe, kann ich Einfluss ausüben. Deshalb hilft es, sich zu überlegen, wie ich unsere Beziehung stärken kann. 
  • Damit ist keine künstliche Dauer-Harmonie gemeint. Auch zwischen Katharina und Chris gab es ein paar Tage Funkstille.
  • Es geht um das Dranbleiben, um die Gewissheit „Ich bleibe an deiner Seite, auch wenn es schwierig wird.“ 

Ein typischer Satz von Eltern, mit denen ich über Vertrauen spreche, ist: „Die Erfahrung der letzten Jahre zeigt einfach, dass wir ihm nicht vertrauen können.“ Auch Leos Mutter, Claudia, sagt diesen Satz: „Das zeigt die Erfahrung: er lernt auf die letzte Minute .…“

Wenn ich so spreche, vertraue ich meiner Erfahrung, nicht meinem Kind.  

Wenn ich so spreche, vertraue ich nur, wenn bisher alles bestens lief. Das ist Vertrauen für Anfänger. Den unerschütterlichen Glauben in unser Kind brauchen wir ja gerade, wenn es schwierig wird. Sonst bin ich wie jemand, der seine Frostschutzmittel im Sommer lobt. (Krasser Vergleich, würde Prinzessin an dieser Stelle anmerken.)

Wenn ich so spreche und auf meine Erfahrung poche, schreibe ich die Vergangenheit fest und gebe einer Veränderung keine Chance. 

„Nach dem Empfinden mancher Eltern ist Vertrauen nicht von der Grundmotivation abhängig, sondern vom Endergebnis. Sie sehen Vertrauen als etwas, das verdient werden muss, nicht als zu tätigende Investition.“ 

Gordon Neufeld,

kanadischer Entwicklungspsychologe

Die 10 entscheidenden Punkte, wie du deinem Teenager wieder vertrauen kannst:

  1. Mache dir bewusst, was du wirklich über dein Kind denkst und schreibe es für dich ungefiltert auf.  „Er ist faul.“ -„Sie bildet sich ein, alles ginge mit dem geringsten Widerstand.“ - „Er weiß nicht zu schätzen, was wir alles ermöglichen.“ ... Haue einmal alles raus, was dir in den Kopf kommt. Dann überprüfe, ob es wirklich stimmt. Finde Beispiele im Alltag, die deine Überzeugungen widerlegen könnten. Am Ende die Blätter verbrennen.
  2. Vertrauen gibt es nur für die ganze Person und nicht für Teile von ihr
  3. Vertrauens-Test: Frage dich, wie eure Beziehung gerade ist. Nimmt dein Kind deine Unterstützung an? Könnt ihr miteinander sprechen? Ich weiß, das klingt hart. Aber wenn du die beiden Fragen gerade nur mit 'nein' beantworten kannst, weißt du, dass du ihm nicht wirklich vertraust. 
  4. Überlege dir, was du für die Verbesserung eurer Beziehung tun könntest. Möglichst etwas, was mit eurem Streitthema (hier Schule) nichts zu tun hat. Vielleicht gemeinsam etwas kochen oder unternehmen und sich für die Leidenschaften deines Heranwachsenden interessieren. 
  5. Mache dir den Unterschied zwischen Kontrollfragen und interessierten Fragen bewusst: Eine Kontrollfrage basiert auf Misstrauen,  interessierte Fragen basieren auf der Absicht wirklich zu verstehen. 
  6. Sprich mit deinem Kind darüber, was seine Ziele sind. Was für einen Abschluss möchte es erreichen und wozu? Was möchte es beruflich machen? Wovon träumt es? Überlegt zusammen, welches die ersten Schritte sind, um die Ziele zu erreichen.
  7. Akzeptiere, dass die Ziele deines Kindes von deinen Vorstellungen abweichen werden.
  8. Würdige seine Anstrengung, nicht sein Talent. Wenn Eltern auf Begabungen herumreiten, entsteht beim Kind Angst, das Talent nicht zeigen zu können, während Anstrengung leichter reproduzierbar ist. Obwohl ich zum Beispiel ein Schreib-Talent habe, kann ich nicht immer gut schreiben, aber ich kann mich eine Stunde hinsetzen und es einfach tun. Meistens bringt mich das weiter. 
  9. Du brauchst Vertrauen, wenn es schwierig wird. Es funktioniert nicht, wenn dein Kind es durch gute Verhalten oder beste Noten "ansparen" muss. Hat es kein Guthaben, gibt es kein Vertrauen? Nein, so funktioniert das nicht. Vertrauen ist eine immer neue Investition in Sachen Liebe.
  10. „Ich vertraue meinem Kind“, bedeutet nicht, dass ich sicher bin: „Jetzt kommen nur noch Einser und Zweier“, sondern ich vertraue, dass es seinen Weg geht und die Erfahrungen macht, die es braucht, um der Mensch zu werden, der es sein möchte. 

Jetzt habe ich für euch alles gesammelt, was ich über Vertrauen weiß. Eine Erkenntnis aber fehlt noch. Sie ist die beste Erklärung dafür, warum Misstrauen nicht funktioniert, auch wenn viele Eltern eisern daran festhalten.

Wenn ein Kind Misstrauen spürt, kann es unsere Tipps nicht annehmen, weil es damit bestätigen würde, dass unser Misstrauen in seine Person gerechtfertigt ist. Und wer tut das schon? 

(Eine Weisheit meiner Coaching-Ausbilder, ausgedrückt in eigenen Worten)

Immer fröhlich Vertrauen investieren - ins Kind und ins Leben,

Eure Uta 

Die Fotos in diesem Beitrag sind von Artem Podrez von Pexels. Vielen Dank!

  • Voll erwischt, liebe Uta… Das große Kind ist zwar erst 12 aber sie hätte nie und nimmer so auf meine Drängeleien gehört wie der Sohn in deinem zweiten Beispiel. Ich dachte beim Lesen, dass das wahrscheinlich kind-/ bzw. elternabhängig ist aber (ABER!) beim Thema „Kontrollfragen/interessierte Fragen“ und allerspätestens bei deinem absolut genialen Satz: „Wenn ein Kind Misstrauen spürt, kann es unsere Tipps nicht annehmen, weil es damit bestätigen würde, dass unser Misstrauen in seine Person gerechtfertigt ist. Und wer tut das schon? “ wurde mir klar, dass es in dem Fall ein mutterabhängiges Problem ist. Ich versuche Besserung und danke dir sehr für diesen Artikel!
    Liebe Grüße
    Dana

    • Liebe Dana, danke herzlich für deinen Kommentar und danke dafür, dass du bereit bist, dich selbst zu hinterfragen. Wer tut das schon gerne? Liebe Grüße, Uta

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    Uta


    Ich arbeite als Eltern-Coach, Buchautorin und Journalistin, bin Ehefrau und Mama (ein Sohn, eine Tochter) und kann es nicht lassen, dem Familien-Glück auf die Spur zu kommen. Ich forsche in Büchern, spreche mit Experten und teste alle Erkenntnisse in der Praxis. Nur was mich überzeugt, weil es das Leben mit Kindern wirklich erfüllender macht, schafft es auf diese Seite.

    Deine, Uta

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