Monsieur Baptiste und das Hamsterbuch 

 04/08/2016

Jesper Juul, Katia Saalfrank und Kirsten Boie beantworten Elternfragen

Ich sitze auf einer Hotelterrasse in Südfrankreich. Bis eben wusste ich nicht, was ich schreiben sollte, als der ehrenwerte Monsieur Baptiste, Inhaber des Hotels und – trotz Affenhitze – Träger von Bundfaltenjeans und gestärkten Kurzarmhemden mit einer Wasserpistole zwischen den Beeten auftauchte und unter großem Gelächter seinen Neffen durch den Garten jagte.
Das stimmt zuversichtlich und lässt auch die Dame vergessen, die ihre kleine Tochter gestern am Strand verfolgte und mehrfach anblaffte, sie möge ihren Finger aus dem Mund nehmen. Ist der Finger schmutzig? (Jetzt ja nicht mehr.) Ist sie Kieferorthopädin und befürchtet Fehlstellungen im Schneidezahnbereich?
Überhaupt die Befürchtungen. Janusz Korczak, der berühmte Pädagoge, beklagte schon 1929: „Das Misstrauen verändert sich mit dem Alter, aber es wird nicht weniger, es steigert sich sogar.“ (Janusz Korczak: Das Recht des Kindes auf Achtung. Fröhliche Pädagogik. Gütersloh 2013, Seite 17)
Auch die Katzenklo-Eltern tappten wieder in die Falle. Statt sich jede Minute zu freuen, dass der große Sohn noch mit auf Reisen geht, nährten sie gegenseitig ihre Sorge, seine Begeisterung für die Luxusjachten hier im Hafen könne auf eine bisher unerkannte Oberflächlichkeit hindeuten, er könne vielleicht demnächst Zielen hinterher jagen, die ihn unglücklich und uns arm werden ließen, er könne … Wir haben dann eine Nacht darüber geschlafen und kamen wieder zur Besinnung. Jetzt träumen wir uns mit ihm auf die Yachten, machen Späße („Ich scheiß dich zu mit meinem Jeld …“ – aus der TV-Serie „Kir Royal“) und lassen die Dummheiten: Misstrauen, Sorge, Bedenken …
Mit im Gepäck habe ich diesmal das Buch „Was tun, wenn der Hamster den Löffel abgibt?“, das mir der Beltz-Verlag zur Verfügung gestellt hat. Vielen Dank dafür! Einige von euch kennen vielleicht die „Familientrio“-Kolumnen aus der Süddeutschen Zeitung. Dort beantworten Jesper Juul, Katharina Saalfrank, bekannt aus der Sendung „Die Supernanny“, und die Kinderbuchautorin Kirsten Boie Eltern-Fragen. In dem Buch sind nun ihre Antworten auf 60 Fragen gesammelt worden.
Das liest sich kurzweilig, zumal die Mischung interessant ist: Da fragt eine Mutter, wie sie darauf reagieren soll, dass sich ihr Sohn an Fasching als IS-Kämpfer kostümieren will, und die nächste will wissen, woran es liegen könne, dass sie und ihr Mann keinen Sex mehr haben, worauf Kirsten Boie fragt, warum sie als Kinderbuchautorin berufen sein sollte, auf solche Fragen zu antworten.
Ich finde es interessant zu lesen, wie drei unterschiedliche Experten auf die gleiche Frage antworten. Dabei gibt es allerdings mehr Übereinstimmung, als man erwarten würde. Die größte Überraschung war für mich, dass mir die Antworten der ehemaligen „Supernanny“ Katharina Saalfrank am besten gefallen haben. Und immer wieder ein Highlight ist für mich die direkte Art von Jesper Juul: Fragt eine Mutter, die mit dem Vater ihres Kindes (4) nie zusammengelebt hat, ob sie ihm – der sich kaum kümmere – das Kind hinterhertragen solle. Erstaunlich ist, wie kunstvoll sie die wenigen semantischen Möglichkeiten einer Frage nutzt, um ihre Verachtung diesem Mann gegenüber zum Ausdruck zu bringen. Und Juul antwortet ganz trocken: „Ihre Tochter hat den Vater, den Sie für sie ausgesucht haben. Und er ist, wie er nun mal ist. Ihn um Regelmäßigkeit in Sachen Kontakt zu bitten oder ihn wegen mehr Stabilität anzugehen ist so, als ob Sie beim Bäcker Fleisch kaufen wollten. Ihre Tochter wird es überleben und ihre eigenen Kämpfe mit ihm austragen, wenn sie größer ist.“ (Seite 55/56)

Insgesamt finde ich das Buch lesenswert. Ihr wisst, dass ich hier keine richtigen Buchbesprechungen mache mit allem Für und Wider, sondern mich eher als Schatzsucherin betätige und in Bücher eintauche, um für mich und für euch Stellen zu finden, die einen weiterbringen oder einfach lustig sind. Lustig finde ich die Dame, die schreibt, ihr Mann hasse den Valentinstag. Sie zwar auch. Aber er würde sich inzwischen insgesamt so wenig kümmern, dass er doch wenigstens am Valentinstag ein paar Blumen bringen könnte. (Nicht dass ihr denkt, in dem Hamster-Buch würden nur Partnerschaftsfragen gestellt. Von den 60 Fragen sind es vielleicht vier oder fünf, die anderen handeln von Eltern, manchmal auch Großeltern und Kindern. Aber die Partnerschaftsfragen fand ich besonders interessant.)
Immer wenn sich jemand aus der Verantwortung stehlen will, ist Jesper Juul zur Stelle. Auch bei der Valentins-Frau. „Sie haben die Nähe und Intimität zueinander verloren und Sie sind beide dafür verantwortlich.“ (Seite 58)
Eine Julia T. berichtet, sie und ihr Mann würden ihre sieben Monate alte Tochter viel im Tuch bei sich tragen, bekämen aber immer wieder von ihren Eltern gesagt, sie würden ihr Kind verweichlichen. Kinderbuchautorin Kirsten Boie stellt klar, dass man ein Kind in dem Alter nicht verweichlichen kann. Und von Katharina Saalfrank muss man sich den Satz merken: „Diskutieren Sie nicht mit Ihren Eltern, sondern sagen Sie nur: ‚Ich höre, was ihr sagt, und mache es so, wie ich es für richtig halte‘.“
Ein Sebastian K. macht sich Sorgen, weil sein 17jähriger Sohn ab und zu Marihuana konsumiert. Als Antwort beschreibt Katharina Saalfrank einen Fall aus ihrer Beratungspraxis. Eine Mutter war mit dem gleichen Thema bei ihr vorstellig geworden und hatte den Sohn gleich mitgebracht. Die Frau schilderte ausführlich die Sorgen, die sie sich um ihn mache, und gab zum Ausdruck, dass sie nicht wegschauen, sondern immer wieder das Gespräch mit ihm suchen werde. Darauf die Antwort des Jungen: „Das finde ich auch gut, Mama, ich kenne andere Eltern, denen ist es ganz egal, wenn die Kinder bekifft sind. Ich merke, dass ich dir wichtig bin.“ (Seite 70/71)
Das ist natürlich wie ein Sechser im Lotto, wenn man mit einem solchen Satz beschenkt wird. Mir ist diese Stelle im Buch sehr wichtig, weil ich das auch in unserem Umfeld beobachte, was den Umgang mit Alkohol oder ähnlichen Themen bei Jugendlichen im Alter zwischen 14 und 17 Jahren angeht: erst sind die Eltern streng und rigide und wenn sie merken, dass sie damit nicht durchkommen, kippen sie ins andere Extrem, lassen alles laufen, sind einfach nicht zu Hause und lassen den Faden der Beziehung abreißen.
Immer fröhlich am Ball bleiben mit den Kindern … wie Monsieur Baptiste hier mit seiner Wasserpistole.
Eure Uta

  • Liebe Uta,
    es ist tatsächlich so, dass mich Katja Saalfrank auch sehr positiv überrascht hat, so dass ich mir vor zwei Jahren sogar ihr Buch zugelegt habe … absolut empfehlenswert!
    Ganz liebe Grüße in den Midi de la France –
    Sabine

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    Uta


    Ich arbeite als Eltern-Coach, Buchautorin und Journalistin, bin Ehefrau und Mama (ein Sohn, eine Tochter) und kann es nicht lassen, dem Familien-Glück auf die Spur zu kommen. Ich forsche in Büchern, spreche mit Experten und teste alle Erkenntnisse in der Praxis. Nur was mich überzeugt, weil es das Leben mit Kindern wirklich erfüllender macht, schafft es auf diese Seite.

    Deine, Uta

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