7 Kriterien für das erste Buch meines Kindes 

 07/08/2018

Wie Helmut Spanner um eine Kiste Bier wettete und zum Erfolgs-Autor für die ganz Kleinen wurde.

„Take your pleasure seriously“ – diesen Satz von Charles Eamus habe ich gerade für eine Freundin auf ein T-Shirt drucken lassen. „Nimm ernst, was dir Freude macht!“ – dieser Satz ist mir sehr wichtig: die eigene Leidenschaft und Begeisterung als Kompass für das Leben.
Was dieser Freude-Kompass mir jüngst wieder beschert hat, ist der schönste Beleg für diese Wahrheit:
Weil ich so begeistert bin, von den Büchern der beiden alten Damen aus den USA, Adele Faber und Elaine Mazlish, habe ich in München den Verlag „ObersteBrink“ aufgesucht, der alle Werke der beiden in seinem Programm hat. Dort hatte ich ein sehr nettes Gespräch und wurde unterstützt mit einem Stapel Faber-Mazlish-Arbeitsheften, um die Workshops zum „Familien-Glück“ starten zu können.
Bei „ObersteBrink“ weckte man auch mein Interesse für das Werk von Kinderbuch-Autor Helmut Spanner, dem wichtigsten Schöpfer des Pappbilderbuchs. Und bei Helmut Spanner zeigt sich wieder die Wahrheit von „Take your pleasure seriously“. Schon als Jugendlicher muss er einem seiner Lehrer gesagt haben, dass er später mal Kinderbücher gestalten werde. So kam es nach einigen Umwegen. Spanner wurde im zweiten Anlauf in der Kunstakademie München aufgenommen und fand sich in einer Gruppe von Studenten wieder, die sich fragten, was eigentlich ein Kleinkind in einer Zeichnung wahrnehmen kann. Die jungen Männer arbeiteten sich durch die Werke der Entwicklungspsychologen Jean Piaget und Rolf Oerter. Mit diesem Wissen im Kopf untersuchten sie Bilderbücher mit der Frage, wie ein Kleinkind diese Darstellungen wohl verwerten kann. Dabei nahmen sie sich besonders die populären Zeichnungen des Niederländers Dick Bruna vor. Ihr kennt sicher Miffy, Brunas bekannteste Figur, ein Kaninchen mit einem riesigen Kopf und einem schwarzen Kreuz als Schnauze.
Die Studenten wetteten um eine Kiste Bier, dass Kleinkinder mit diesen grob vereinfachten, sehr schematischen Zeichnungen nichts anfangen können. Während die Kommilitonen die Wette bald vergessen hatten, trieb es Helmut Spanner, der Sache auf den Grund zu gehen. Er bat Kindergärtnerinnen in seiner Nachbarschaft, den Kindern verschiedene Zeichnungen von Objekten vorzulegen und zu fragen, was sie auf den Bildern erkennen würden. Er selbst saß dabei hinter einer Trennwand und protokollierte. Das kleine Experiment bestätigte die Vermutungen der Studentengruppe: grob vereinfachte Zeichnungen von Gegenständen konnten die zwei- bis dreieinhalbjährigen Kinder oft nicht erkennen. Manche griffen sogar auf die Pappe und kratzten daran, um eine Vorstellung von den Umrissen entwickeln zu können.
Spanners Erkenntnisse lassen sich folgendermaßen zusammenfassen:
Besonders die ganz Kleinen bis etwa zwei Jahre brauchen es, dass

  • die Gegenstände möglichst realistisch gezeichnet sind, denn diese Bücher machen ihnen dann eine Freude, wenn sie in der für sie neuen Zweidimensionalität des Buches ihre eigene Welt wieder entdecken können („Oh, da ist ja mein Ball, nur diesmal ganz flach in einem Buch!“)
  • das Wesen des Objekts erkennbar ist: bei einem Teddybären, dass er ein plüschiges Fell hat, Augen, Schnauze, Arme, Beine; bei einer Tasse, dass sie einen Hohlraum hat und einen Henkel;
  • die Zeichnung sich auf das beschränkt, was das Objekt ausmacht, und auf jeden Schnicknack verzichtet; so ist das Kind eher irritiert, wenn auf der Tasse eine Katze abgebildet ist oder der Teddy eine Halskette trägt
  • der Gegenstand klar von vorne gezeigt wird, da zum Beispiel von einem Teddy, der von der Seite gezeichnet wird, nur ein Auge zu sehen ist. Das verwirrt die ganz kleinen „Leser“ total.
  • Objekte aus ihrer Alltagswelt vorkommen, also ihr Schnuller, ihr Bett, ihr Holzauto, ihre Zahnbürste … bitte nicht Ufos, denn die landen selten in ihrem Zimmer;
  • wenige Objekte auf einer Seite zu sehen sind; aufgrund der Zentrierungsschwäche und sogenannten „Feldabhängigkeit“ in dem Alter, hat das Kind noch nicht die Fähigkeit, sich mit seiner Aufmerksamkeit auf einen von mehreren Gegenständen zu konzentrieren; sogenannte Wimmelbücher machen erst etwas größeren Kindern Spaß;
  • der Hintergrund in neutralem Weiß gehalten ist; Erwachsene im Allgemeinen und leider auch Erwachsene in Verlagen glauben: „Je bunter ein Bilderbuch desto besser.“ Kleine Kinder aber entdecken ihre Welt durch Greifen, durch Entdecken der Form. In ihren ersten Büchern sind die Umrisse entscheidend und nicht die Farben. So irritieren zu viele Farben sie eher und halten zum Beispiel eine Banane mit einem blauen Hintergrund in den meisten Fällen für den Mond.

Erwachsene – so erklärt Spanner – nehmen sich in ihren Zeichnungen für Kinder gerne Kinderzeichnungen zum Vorbild. Noch so ein Irrtum! Kinder können meistens gar nichts anfangen mit dem, was ein anderes Kind gemalt hat. Es ist viel zu schematisch. Einem Kind „gibt“ die Zeichnung eines anderes Kindes nichts! So ein Kinderbild ist Ausdruck seines Innenlebens und nicht Abbild der Realität. Der Mann aus der Nachbarschaft, den es groß und düster ganz vorne zeichnet, ist nicht wirklich so groß, aber das Bild des Kindes zeigt, dass es Angst vor ihm hat. Aus diesem Grund sollten erste Bücher nicht kindliche, sondern realistische Bilder zeigen. Denn was für das eine Kind Papier gewordener Ausdruck seines größten Schreckens ist, ist für ein anderes Kind nur Krickelkrakel.
All dieses Wissen (und noch viel mehr) steckt hinter den scheinbar so simplen ersten Büchern, die ein Student vor 40 Jahren für Kleinkinder erschuf. Der Verlag Ravensburger war damals auf die Gruppe an der Kunstakademie aufmerksam geworden. Aber von allen Mitstudenten war nur Spanners Leidenschaft so groß, dass er schließlich die Bücher und Leporellos mit den dicken Seiten schuf, die bald aus den Kinderzimmern der Bundesrepublik nicht weg zu denken waren. Sie sind bis heute über zwölf Millionen mal verkauft worden. (Zum Vergleich: eines der erfolgreichsten deutschen Sachbücher, Harpe Kerkelings „Ich bin dann mal weg“ über seine Pilgerreise, wurde fünf Millionen mal verkauft.)

Helmut Spanner in seinem Atelier in Bayern auf dem Land. Er zeichnet mit Buntstiften und aquarelliert die Zeichnungen anschließend.

An der Kunstakademie gab es für sein Bilderbuch als Abschlussarbeit eine 5 (für den theoretischen Teil aber eine 1), sein Vater, ein Fuhrunternehmer, enterbte ihn, als er die Kinderbuch-Gestaltung zum Beruf machte … aber das alles hielt Spanner nicht davon ab, seit fast 40 Jahren seiner Leidenschaft und Freude zu folgen.
Einen Blick für den Wert dieser Bücher hatte kürzlich ein amerikanischer Hirnforscher. Auf der Suche nach guten Bilderbüchern für seinen kleinen Sohn stieß er auf das Werk des Müncheners und entwickelte eine App mit den Bildern von „Zieh mich raus, hier kommt die Maus“.
Helmut Spanners Examensarbeit von 1977 an der Kunstakademie München mit allen Erkenntnissen zur Wahrnehmungspsychologie des Pappbilderbuchs ist in diesem Jahr in einer verkürzten Form als Broschüre erschienen: hier!
Und nun komme ich noch zur Gewinnerin meiner jüngsten Verlosung:
„Minimaus auf Reisen“ geht an Kristin! Herzlichen Glückwunsch! Bitte sende mir deine Adresse, dann geht das Buch in die Post.
Und da ich in München noch mehr Bücher geschenkt bekommen habe, kann ich ein Weiteres verlosen: „Minibär im Schnee“. Das passt ja zum Wetter.

Wenn du an der neuen Verlosung teilnehmen möchtest, nenne mir drei Sachen, die dir ähnlich viel Freude bereiten, wie Helmut Spanner das Zeichnen für Kinder und wie mir das Schreiben und Eiskaffee-Trinken, … Es kann etwas Berufliches sein oder ein Hobby, eine Leidenschaft, irgendetwas, das dich in „Flow“ versetzt.
Einsendeschluss ist diesen Freitag, 10. August, um 24 Uhr.
Immer fröhlich ernst nehmen, was dir Freude macht! Das führt zu einem richtig guten Leben,
deine Uta

  • Liebe Uta,
    meine Leidenschaft ist es, Menschen zu begleiten, in Ihren Alltagssorgen, an Übergängen im Leben.
    Und wenn das nicht dran ist, dann liebe ich es zu Reisen
    und 3., am Strand zu liegen
    LG EG

  • Wir hatten viele dieser Bilderbücher und auch Kindergeschirr mit der Maus drauf. Es ist schön zu erfahren, wer – und was – hinter diesen schönen Zeichnungen steckt. Wieder was gelernt!
    Wir brauchen keine Bilderbücher mehr (aber ich habe viele aufgehoben!), ich verrate trotzdem, was ich mag:
    – wenn es still ist in der Stadt alleine auf der Terrasse sitzen und es mit allen Sinnen genießen.
    – die Tasse Tee, die mir am Wochenende mein Mann ans Bett bringt
    – mit Menschen zusammen zu sein, die ich liebe, schätze und deren Leben meines bereichert
    Die Reihenfolge ist keine Rangfolge.
    Beste Grüße
    die SteffiFee

  • Liebe Uta,
    auch wenn ich eben gerade erst ein Buch vor dir gewonnen habe, möchte ich gern noch einmal mitmachen…
    Drei Dinge, die ich gern tue und die mir gut tun, sind:
    * Singen und Musik selbst machen oder eben „echte“ Musik anhören (Die Patentante meiner großen Tochter spielt professionell Cello. Was für ein Erlebnis, ihr zuzuhören…)
    * Schreiben und Lesen (Tue ich derzeit meist nur für meine Arbeit, und da ist es nichts „schöngeistiges“, womit ich da zu tun habe, aber immerhin, es macht mir Freude.)
    * Inline-Skaten… ist nicht so anstrengend wie Joggen (und macht mich einfach nur glücklich: mein Tempo, mein Atem, mein Puls, der Wind um die Nase und die anfangs noch so lauten Gedanken im Kopf, die immer leiser werden…)
    Allein das Auflisten hat jetzt schon für ein bisschen „Flow“ gesorgt..
    beschwingte Grüße,
    Kristin

  • Hallo liebe Uta,
    hier 3 Dinge die mir Freude bereiten:
    – laut Musik anmachen und dazu durchs Haus tanzen (am liebsten mit meinen Kindern, selbst Mini-Maus wackelt schon mit dem Popo und wippt mit den Beinchen)
    – persönliche Geschenke basteln (Das macht mir immer viel Spaß sich da was zu überlegen und dann dran zu sitzen, zu basteln, zu kleben, Collagen machen aus Fotos etc…)
    – gekrault werden von meinem Mann. Ich liebe es gekillert zu werden an Armen und Beinen. Oft reiche ich ihm abends ein Körperteil rüber und er krault mich Stundenlang vor dem TV. Da kann ich richtig entspannen 😉
    Liebe Grüße Karina

  • Ich mag Spanners Bilderbücher sehr und finde seine Aussagen auch richtig. Doch jetzt kommt ein Aber, ein Teil, der noch fehlt. Das Verstehen von Bilderbüchern hängt ganz stark von der Beziehung zum Erwachsenen und von den Vorbildern wie ältere Geschwister ab. Zudem ist es auch eine Übungsfrage und ein Teil der individuellen Entwicklung des Kindes. Ein Kleinstkind, das sehr früh Büchererfahrung macht, mit dem viel Gesprochen wird, mit dem gemeinsam Bilderbüchern angeschaut wird, das in seiner Art ernst genommen wird, das positive Erfahrungen mit dem Anschauen verbindet und das ggf. sogar ältere Geschwister als Vorbild hat, das wird recht schnell sich auch in komplizierteren Bilderbüchern hinsichtlich Aufbau etc. (Wimmelbuch) zurecht finden. Es wird nicht alles sofort sehen, sondern Stück für Stück ersehen. Es wird jedoch schon recht früh sich mit dem Buch beschäftigen, vieles sehen, es sich selbst erschließen.

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    Uta


    Ich arbeite als Eltern-Coach, Buchautorin und Journalistin, bin Ehefrau und Mama (ein Sohn, eine Tochter) und kann es nicht lassen, dem Familien-Glück auf die Spur zu kommen. Ich forsche in Büchern, spreche mit Experten und teste alle Erkenntnisse in der Praxis. Nur was mich überzeugt, weil es das Leben mit Kindern wirklich erfüllender macht, schafft es auf diese Seite.

    Deine, Uta

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