Das Lieferando-Leben 

 08/02/2023

Wie ich wieder auf die Spur von Freude und Leichtigkeit komme

Vor ein paar Tagen stresste ich mich damit, ein Paket für unseren Kronprinzen noch am gleichen Tag auf den Weg bringen zu müssen. Er ist inzwischen 25 und absolviert ein Auslandssemester in Stockholm. Zuerst fand ich keinen passenden Karton, dann war mein Passwort für den Paketdienst vermeintlich falsch, schließlich war die Rolle mit dem breiten Paketband leer. Erst als ich beschloss, die Fahrt zur Post um zwei Tage zu verschieben, ließen Ärger und Stress nach. Am nächsten Tag packte sich das Paket fast wie von selbst.

Wir vergessen leicht den Unterschied zwischen Dringlichkeit und Wichtigkeit. Ich muss nicht auf jede WhatsApp zeitnah reagieren, muss nicht sofort die Steuerberaterin zurückrufen oder am gleichen Tag das Deo besorgen, das Prinzessin braucht. Es gibt so viel künstlichen Zeitdruck in unserer Gesellschaft und bei mir. Schluss mit diesem Lieferando-Leben, in dem alle immer alles sofort wollen.

Ich habe dieser Tage den Podcast der „Grünen Wiese“ gehört. Patrizia und Stefan, die beiden Unternehmens-Gründer, vertreten die Coaching-Philosophie, nach der ich gelernt habe. In der jüngsten Folge geht es darum, warum die meisten Menschen keine Zeit und viel Stress haben. Die beiden Coaches fanden vielfältige Gründe.

Ausrichtung im Leben fehlt

Einer hat mich besonders angesprochen. Viele Menschen wissen nicht, was genau ihre Ausrichtung im Leben ist. Warum bin ich hier? Was sollen die Leute auf meiner Beerdigung über mich sagen? Und welche Erfahrungen möchte ich auf dieser Erde machen? Wenn ich darüber wieder mehr Klarheit gewinne - das merke ich gleich - , verlieren einige Arbeiten, mit denen ich mich quäle, ihre Wichtigkeit.

Ich persönlich sehe meine Aufgabe darin, mehr Freude und Leichtigkeit in die Welt zu bringen. Es soll helfen, es selbst zu leben.

Gedanken wie „Ich müsste dringend mal wieder bloggen.“, entlarven sich durch das „müsste“. Muss ich das wirklich? Und war ich nicht aus purer Freude vor elf Jahren damit angefangen? Und war das nicht der Grund für seinen Erfolg, dass die Texte strotzten von meiner Lust am Schreiben? 

Mit dem Lebensziel direkt vor meiner Nase wird die tägliche „to-do-Liste“ kräftig durchgelüftet. Manches wird durchgestrichen, Freudvolles hüpft in die frei gewordenen Zeilen. 

Ein Anruf, den mein Pflichtgefühl mir diktierte, wird gestrichen. Ohne Freude hat meine Gesprächspartnerin wenig von unserem Austausch. Und die Frau, die mich nach einer weiteren Hunderunde fragt, bekommt einen Korb. Unsere Polly blutet vom Toben im Brombeergestrüpp am Ohr und ich will nach Hause und einen Tee trinken. 

Es ist ja wunderschön gerade, aber auch verflixt kalt.

Sein Lebensziel aus den Augen zu verlieren, ist ein Grund für Zeitmangel, weil man sich Aufgaben auflädt, die damit nicht im Einklang stehen. Weg damit!

Wenn ich wenig Zeit habe, hat es auch damit zu tun, das ich die Immer-Nette sein will. Mir fällt es schwer, jemandem eine Bitte abzuschlagen, nicht jede Mail oder WhatsApp zu beantworten oder ein Gespräch zu beenden, das mir zu lang wird oder sich ausschließlich im Klage-Modus befindet.  Das mit der Nettigkeit ist wirklich die Pest. Zudem ist es unaufrichtig dem anderen Menschen gegenüber, wenn ich stehen bleibe, obwohl ich weitergehen möchte, oder wenn ich das Telefon weiter ans Ohr halte, obwohl ich auflegen möchte. Mein neuer, alter Vorsatz: es trainieren und aushalten, auch mal abgelehnt zu werden. Uta - schroff und arrogant. Für einen Tag könnte ich das mal ausprobieren.

Wenn man wenig Zeit hat oder leicht gestresst ist, sollte man sich auch seinen inneren Treiber anschauen. Das können so Gedanken sein wie „Ich muss es perfekt machen, sonst bin ich angreifbar“ oder „Ich muss alles schnell erledigen, sonst gelte ich als lahm und unfähig.“ oder „Ich darf nicht sagen, dass mir ein Auftrag zu viel wird, sonst wirke ich wenig belastbar.“ 

Mein nervendes Mantra lautet „Ich darf es mir nicht leicht machen, sonst ist meine Arbeit nichts oder weniger wert.“ Ich kann euch sagen, das ist sehr anstrengend. Ein blindwütiger Eifer entsteht. Ich tue Dinge, die wenig zielführend sind, und warte vergeblich auf die Fleißkärtchen, die ich als Kind in der Schule eingesammelt habe. 


  • Was ist dein Lebensziel? Und welche vermeintlichen Pflichten kannst du mit dem Bewusst-Werden deines Ziels über Bord werfen?
  • In welchen Lebensbereichen könntest du schauen, was wirklich wichtig ist, statt dem wichtigtuerischen Druck des Dringlichen zu erliegen?
  • Was ist dein innerer Treiber? Hast du ihn schon entlarvt?

Immer fröhlich bleiben,

Eure Uta 

Mögt ihr mir schreiben, was euer innerer Treiber ist? Auch Lebensziele würden mich interessieren.

  • Liebe Uta, ohne Stress auslösen zu wollen: Schön von dir zu lesen!
    Mein Treiber ist ganz klar „was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen“. Ich kann erst entspannen, wenn aufgeräumt ist, jede Nachricht beantwortet, jedes To do erledigt ist. Anstrengend. Dabei las ich mal eine Abwandlung des Spruchs: “ was du heute kannst besorgen, das verschieb‘ getrost auf morgen, denn was du heute kannst erleben, kann dir morgen niemand geben“. Ich übe mich darin. Wir haben im September zu unseren tollen Jungs noch eine Tochter bekommen und ich versuche diese besondere Zeit bestmöglich zu genießen und auch einfach mal nichts zu tun und nur das Baby anzuhimmeln. Herzliche Grüße von Lisa

    • Nur das Baby anzuhimmeln – wie schön! Ich gratuliere sehr herzlich zur Tochter und freue mich, wieder von dir zu lesen, liebe Lisa! Die neue Wendung deines „Treibers“ gefällt mir ausgesprochen gut. Das werde ich mir merken. Alles Gute für euch und viele Grüße, Uta

  • Oh wie schön, liebe Uta! Deine Texte lese ich so gerne.
    Mein Treiber ist es, gemocht werden zu wollen, nett gefunden zu werden, Freude Anderer über mich zu erleben und Unmengen an schlechtem Gewissen. Das führt(e) zu ganz viel „Hier, ich, ich übernehme das/helfe aus!“ und Ja-Sagen am laufenden Band. Gott sei es gedankt, dass meine Seele und mein Körper das irgendwann nicht mehr mitgetragen haben. Dadurch musste und durfte ich lernen, dass ich so wichtig bin, dass ich tatsächlich an erster Stelle stehen muss, um dann gerne auch wieder für andere Menschen da sein zu können.
    Mit Lebenszielen tu ich mich ein bisschen schwerer. Vielleicht, die Menschen um mich herum geliebt zu wissen und ihnen zu zeigen, dass sie wichtig sind, richtig sind und bemerkt werden.
    Ganz liebe Grüße
    Dana

    • Liebe Dana, danke, dass du geschrieben hast! Ich habe die Kommentare erst jetzt entdeckt, weil ich nach meiner langen Blog-Pause gar nicht damit gerechnet habe.
      Ja, und ich finde auch, dass man wenig Echtes zu geben hat, wenn man selbst ausgebrannt und leer ist. LG Uta

  • Liebe Uta! Wie immer: Danke für den Denkanstoß! Wie so oft, brauchte ich ein paar (geschriebene) Worte, um jetzt mal in mich zu gehen und die nächste Situation „zu üben“ wo ich auch mal wieder zu viel über mich ergehen lasse.
    Du fragst nach Lebenszielen, Treibern:

    Lebensziel: Mein Mann, mein Sohn und ich möchten am Ende jeden Tages, trotz evtl. nicht so positiven Dingen am Tag doch glücklich und zufrieden sein, weil ja auch, wenn man sich geärgert hat, das Leben an sich schön ist. Also mein Lebensziel: „Kathrin trug viel Glück in sich“ wäre ein schöner Beerdigungsspruch.

    Mein innerer Treiber dafür ist, dass wir nicht wissen, wann unser Glück durch Schicksal mal wieder auf die Probe gestellt wird.
    Also müssen wir jeden Augenblick so annehmen und dann daraus unser Glück basteln. Ganz nach dem Motto:
    „Willst Du glücklich sein im Leben, dann sei es.“ (L. Tolstoi)

    Vielleicht hilft es, nicht das Schlimme, sondern das Gute daran zu sehen:
    Unser erster Sohn ist mit drei Wochen auf meinem Arm gestorben. Damals war viel Leid, Tränen, Verzweiflung. Heute sagen wir, wir durften ihn drei Wochen lang kennenlernen. Das ist viel mehr, als vielen andere Eltern haben, wo die Kinder z.B. tot geboren werden.
    Unser zweiter Sohn hatte Leukämie. Die Intensivchemo war die Hölle. Heute gibt es zwar jeden Tag noch Chemo, aber alles ist so viel besser geworden. Das Gute daran: Wir haben soviel mehr Zeit miteinander verbracht, als es gewesen wäre, wenn er in den Kindergarten und nicht ins Krankenhaus gemusst hätte.

    Mein Treiber ist das Gefühl von Glück (und vielleicht auch Dankbarkeit). Dafür möchte ich jetzt aufgrund Deines Denkanstoßes auch vielleicht mal für mich unliebsame Gespräche eher beenden oder die vermeindliche „nötige“ Erledigung streichen.

    Danke liebe Uta!

    Kathrin

    • Liebe Kathrin, ganz herzlichen Dank für deine Zeilen! Das Zitat von Tolstoi gefällt mir richtig gut. Dass du bei allem, was du schon mitgemacht hast, so ein positiver Mensch geblieben bist, beeindruckt mich tief. Ich werde diesen Kommentar gedanklich abspeichern für meine Momente der Nicht-Wertschätzung. Danke liebe Kathrin!

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    Uta


    Ich arbeite als Eltern-Coach, Buchautorin und Journalistin, bin Ehefrau und Mama (ein Sohn, eine Tochter) und kann es nicht lassen, dem Familien-Glück auf die Spur zu kommen. Ich forsche in Büchern, spreche mit Experten und teste alle Erkenntnisse in der Praxis. Nur was mich überzeugt, weil es das Leben mit Kindern wirklich erfüllender macht, schafft es auf diese Seite.

    Deine, Uta

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