Ohne unseren Bewertungs-Bulldozer 

 07/09/2018

Kronprinz (20) verbringt ein paar Tage in der Heimat, um sich Weisheitszähne ziehen zu lassen, und ich saß gestern im Wartezimmer eines Kieferchirurgen und gönnte mir eine Auffrischung der Ideen von Adele Faber und Elaine Mazlish, den beiden Kinder-Eltern-Kommunikations-Expertinnen aus Long Island.
Ich entdeckte einen Dialog zwischen einem Vater und seiner Teenager-Tochter Holly wieder, der zu meinen etwa 200 Lieblingsstellen in dem Buch zählt.
Man stelle sich Folgendes vor:
Holly kommt aus der Küche und es platzt aus ihr heraus, dass ihre Sportlehrerin sie heute in der Schule angeschrien hätte. Der Vater aus dem Beispiel ist ein 70er Jahre USA-Papa und berichtet im Elternkurs, dass er normalerweise gesagt hätte, Holly hätte sicher etwas falsch gemacht und sie solle das nächste Mal der Lehrerin besser zuhören. Wahrscheinlich hätte sie ihr nur wichtige Hinweise zur Aufschlag-Technik geben wollen. Ein Papa im Jahre 2018 in Deutschland hätte wahrscheinlich gesagt: „Was fällt Frau G. nur ein, der dummen Kuh! Ich rufe meinen Anwalt an.“ Aber das ist ein anderes Thema.
Im Buch berichtet der Vater, dass er nach einem Workshop von Faber und Mazlish zu folgender Reaktion fähig war:

Meine Tochter Holly kam aus der Küche.
Holly: „Frau G. hat mich heute in der Turnstunde angeschrien.“
Ich: „Oh.“
Holly: „Sie hat mich angeschrien.“
Ich: „Sie war richtig sauer.“
Holly: „Sie schrie: `So schlägt man den Ball nicht beim Volleyball. So macht man es!‘ Wie sollte ich das wissen? Sie hat uns nie gesagt, wie man ihn genau schlägt.“
Ich: „Du warst wütend auf sie wegen ihres Geschreis.“
Holly: „Sie hat mich ärgerlich gemacht.“
Ich: „Es kann frustrierend sein, wenn einen jemand grundlos anschreit.“
Holly: „Sie hatte kein Recht dazu!“
Ich: „Du hast das Gefühl, sie hätte dich nicht anschreien dürfen.“
Holly: „Nein. Ich bin zornig auf sie, ich könnte auf ihr rumtrampeln … Ich möchte Nadeln in eine Puppe von ihr stecken und ihr Leid zufügen.“
Ich: „Sie an den Daumen aufhängen.“
Holly: „Sie in Öl kochen.“
Ich: „Sie aufspießen.“
An diesem Punkt lächelte Holly. Ich lächelte auch. Sie begann zu lachen und ich auch. Dann meinte sie, dass Frau G.s Reaktion wirklich dumm war. Sie sagte: ‚Ich weiß jetzt ganz sicher, wie man einen Volleyball schlägt, …“ (aus: Adele Faber, Elaine Mazlish: So sag ich’s meinem Kind. München 2016, 7. Auflage, Seite 50/51)

Der Vater berichtete noch, dass diesmal nicht passierte, was sonst häufig geschah nach einem Gespräch mit seiner Tochter. Diesmal rannte sie nicht in ihr Zimmer, schlug die Tür zu und wütete darüber, wie blöd die Erwachsenen eigentlich sind, sondern – wie beschrieben – sie lachten am Ende herzlich zusammen, der Ärger war verflogen und das Vater-Tochter-Verhältnis wieder ein bisschen inniger.

Ich hätte an dieser Stelle ein Foto von den heraus operierten Weisheitszähnen vom Kronprinzen bringen können, zog es aber vor, ein Bild von seinem Papa und seiner Schwester in Kanada zu zeigen.

Immer fröhlich zuhören, sich einfühlen, wiedergeben, was man verstanden hat von dem Erzählten, und nicht – wie gewohnt – mit dem Bewertungs-Bulldozer über alles drüber fahren,
eure Uta

  • „Bewertungs-Bulldozer“ was für ein treffendes Bild! Das muss ich mir einprägen, denn nur langsam wird mir bewusst wie sehr der Bulldozer hier im Dauereinsatz ist! Auch und besonders im Selbstgespräch.
    Danke für die tollen Inputs!

  • {"email":"Email address invalid","url":"Website address invalid","required":"Required field missing"}

    Uta


    Ich arbeite als Eltern-Coach, Buchautorin und Journalistin, bin Ehefrau und Mama (ein Sohn, eine Tochter) und kann es nicht lassen, dem Familien-Glück auf die Spur zu kommen. Ich forsche in Büchern, spreche mit Experten und teste alle Erkenntnisse in der Praxis. Nur was mich überzeugt, weil es das Leben mit Kindern wirklich erfüllender macht, schafft es auf diese Seite.

    Deine, Uta

    >