Selbstgefühl des Kindes stärken 

 17/05/2020

Drei Beispiele für mehr Verständnis und Vertrauen.

Während der Recherchen für mein Buch bin ich bei den amerikanischen Erziehungs-Expertinnen Adele Faber und Elaine Mazlish auf eine Selbsterkenntnis gestoßen, die mich sehr berührt hat:
„Ich sagte meinen Kindern … immer wieder, dass ihre eigenen Wahrnehmungen nicht stimmen und sie sich stattdessen auf meine verlassen sollten.“ („So sag ich’s meinem Kind“, Seite 17)
Das machen wir oft, oder? Dass wir meinen, wir könnten etwas besser einschätzen als unsere Kinder, sogar dass unsere Gefühle richtig wären und ihre falsch.

1. Das hungrige Kind:

Kind: „Mama, ich bin hungrig.“
Mama: „Das kann nicht sein. Wir haben doch erst gerade gegessen.“
Kind (mit Vehemenz): „Aber ich habe Hunger!“
Mama: „Du bist nicht hungrig. Du willst dich nur vor den Hausaufgaben drücken.“
Kind: „Nein, ich will noch ein Brot.“

2. Die gemeine Oma:

Kind: „Bei Oma war es blöd!“
Mama: „Das glaube ich nicht. Sie gibt sich immer so viel Mühe.“
Kind: „Doch! Richtig blöd war es diesmal. Und gemein kann sie sein.“
Mama (verärgert): „Ich möchte nicht, dass du so über Oma sprichst.“
Kind (stampft auf): „Ist aber wahr!“
Mama: „Mach lieber den Meerschweinchen-Käfig sauber, ehe du hier rummotzt!“

3. Der kontrollierende Papa: 

Jugendlicher: „Ich fahre jetzt zu Tom.“
Papa: „Hast du denn genug für die Mathearbeit gelernt? Ich habe nicht den Eindruck.“
Jugendlicher (genervt): „Doch! Das Thema habe ich drauf. Tschüss!“
Papa: „Warte mal, mein Freund! Eins kann ich dir sagen, wenn du Mathe versiebst, wird es richtig eng für dich.“
Jugendlicher (noch genervter): „Ich hab’s im Griff!“
Papa: „Im letzten LEG* hat Herr Schulte gesagt, ich soll dir mehr auf die Finger schauen.“
Jugendlicher: „Ja, super! Ihr versteht euch ja richtig gut, du und der Herr Schulte!“ Knallt die Tür zu.

Gerade Jugendliche geraten schnell unter unseren Generalverdacht. Wir Eltern tragen die Überzeugung durch die Gegend, sie müssten die Welt genauso sehen wie wir. Dann seien sie sicher. Wenn wir sie nicht auf dieses oder jenes hinweisen würden, würde Schule und auch sonst nicht viel funktionieren. So „verpeilt“ sei ihr Christopher, ihre Lea, ihr Ben, ihre Sophie… dass sie wirklich nicht wüssten, was mal aus ihm oder ihr werden soll.
Im Coaching frage ich weiter: „Und wenn du ihm oder ihr vertrauen würdest? Wenn du zwar deine Hilfe anbieten würdest und zwar in einer Form, wie du sie aus ganzem Herzen gerne gewähren, dir aber das Kontrollieren, die negativen Erwartungen und den Argwohn abgewöhnen würdest?“ - „Das habe ich schon versucht. Aber bei Christopher/Lea/Ben/Sophie … bringt das nichts.“
Die Antwort ist der Klassiker. Wenn ich dann noch frage „Vertraust du deinem Kind?“, kommt garantiert „Im Prinzip schon, aber …“.
Bei uns Eltern schiebt sich über die Jahre gerne ein düsterer Filter über unser Bild von unserem Kind. Vertrauen? „Ja, wenn der Chaot sich ändern würde, könnten wir ihm auch wieder vertrauen.“

Was für ein Verständnis von Vertrauen?! 

Hier sind 7 Fragen, die euch helfen, aus dieser Haltung herauszukommen:

1. Was denke ich eigentlich über mein Kind? „Ben ist ein richtiger …!“ „Sophie muss immer so … sein.“ Einfach mal ungebremst aufschreiben, einfach mal alles im stillen Kämmerlein rauslassen, was unser pessimistischer Verstand uns zuflüstert … und später verbrennen.

2. Stimmt das, was ich über ihn/sie denke? Woran mache ich das fest? 

3. Gibt es auch Gegenbeweise?

4. Wie bin ich zu ihm, wenn sich dieses negative Bild in meinem Kopf verfestigt? Kann es sein, dass ich gar nicht richtig zuhöre, mein Kind nicht ausreden lasse, mich gar nicht auf es einlasse?

5. Wie wäre ich zu ihm, wenn ich diese Gedanken nicht im Kopf hätte?

6. Welche interessierte Frage könnte ich ihm stellen?

7. Sind die Themen, über die wir uns häufig streiten, wirklich meine Angelegenheiten?

Der letzte Punkt ist eine wichtige Unterscheidung. Es ist so hilfreich, sich immer wieder zu fragen: Ist dies meine Angelegenheit oder ist es übergriffig, wenn ich mich bei diesem Thema einmische?

Nochmal zu den Beispielen von oben:

Das hungrige Kind:
Das Arbeits-Management der Mutter ist ihre, das Hungergefühl des Kindes ist seine Sache. Der Erwachsenen kann sagen: „Ich habe gerade alles weggeräumt und werde nicht mehr kochen, aber wenn du dir ein Brot machen oder dir einen Zwieback nehmen möchtest, gerne!“

Die gemeine Oma:
Wie das Kind den Besuch bei Oma empfunden hat, ist seine Sache. Die Mama hätte nachfragen können, was vorgefallen und warum das Kind so ärgerlich ist. Zu entscheiden, wann die Familie wieder zu den Großeltern fährt, ist Erwachsenen-Sache. Vielleicht kann die Mutter dem Kind helfen, das strittige Thema mit Oma zu klären, seine Wahrnehmung dieser Beziehung aber bleibt seine ureigenste Angelegenheit.

Der kontrollierende Papa:
Was, wann und wie ein Jugendlicher für die Schule lernt, ist seine Sache. Die Rahmen-Bedingungen für eine gute Ausbildung zu schaffen, fällt in die Verantwortung der Eltern: Sich dafür interessieren, wie es in der Schule läuft, wie es dem Jugendlichen dort geht, welche Form der Unterstützung er/sie sich wünscht, zu Hause für einen Arbeitsplatz, ein gute Ausstattung zum Lernen (Computer …) und Ruhe sorgen, Elternabende besuchen, anbieten, sich das vorbereitete Referat anzuhören, Proviant für die Pausen und Snacks im Haus haben … Kontrolle, nein, Unterstützung, ja!

Immer fröhlich die Angelegenheiten unterscheiden und dem Kind seine eigene Wahrnehmung lassen,

eure Uta 

PS: Wegen der Verlinkung des Buches von Adele Faber und Elaine Mazlish gilt dieser Beitrag als Werbung.

* LEG = Lernentwicklungs-Gespräch in der Schule, das was früher der Elternsprechtag war.

  • Ich merke, dass ich mir schwer tue, mit diesem „Mädchen-Getue“ von meiner Tochter gut um zu gehen, und fürchte, dass ich es dadurch nur verstärke… jetzt habe ich sie, gegen Widerstand meinerseits, nach zwei Jahren des Bittens ihrerseits Ohrringe stechen lassen und nun sind nur ständig diese Löcher in ihren Ohren Thema… Nervig, weil ich ja dadurch nur etwas verstärke, wovon ich nicht der Fan bin… Schwierig, da sie so sein zu lassen, wie sie ist, ohne das ständig zu kommentieren – und dadurch sie in eine Schublade zu stecken, in der ich sie ja eben gar nicht haben will… Ja, da hab ich noch viel an mir zu arbeiten, sie so sein zu lassen, wie sie eben sein will, und ihr dadurch auch zu ermöglichen, das wieder zu verändern… :-/
    Vielleicht schreibe ich das mal auf und kann es dann auch wieder sein lassen, mein ewiges Gespött oder was das sein soll…

    • Liebe Charlotte, danke für deine Erfahrungen! Du könntest dich mal fragen, was du denkst über Mädchen-/Frau-Sein. Welche Bewertungen hast du dazu und wo kommen die her? Vielleicht hat deine Tochter zu dem Thema eine kleine Gegenbewegung zu Mamas Position gestartet. Viele Grüße, Uta

  • Liebe Uta,
    oh wie wohltuend, diese Fragen noch einmal zu lesen. Immer mal wieder verfalle ich in den alten „Kontroll- und Kommentar-Modus“ . Und dabei genau diese Frage zu stellen, hilft mir immer sehr. Und beim Teenager tatsächlich auch die letzte Frage zu stellen „Ist das wirklich meine Angelegenheit“.
    Ich danke Dir für’s wieder-ins-Bewusstsein-rufen!

  • Liebe Uta,
    dein Text kommt mir vor, als hättest du ihn für mich geschrieben. Unser Jüngster ( wird nächste Woche 15) hält meiner Meinung nach von Homeschooling gar nichts, schläft, isst und computert im Moment vor sich hin. Das letzte Zeugnis war ziemlich schlecht…nun wird es wohl das Bewerbungszeugnis werden…
    Ich gängelte ihn auch etwas ( muss ich zugeben), weil ich sehe, wieviel er macht ( eben so gut wie nichts) und alle Hilfe die ich anbiete wird in guten Momenten zwar angenommen, aber das wars, nett drüber gesprochen und danach kommt leider nix mehr.
    Wir haben einen Deal, ich soll ihm einfach mal vertrauen, das ist wirklich schwierig, aber ich versuchs.
    Der große Bruder ( 20) sagt nun, ich soll ihn lassen, er wirds selber merken müssen…der hat nämlich seine Hilfe auch schon angeboten und die wurde abgelehnt.
    Von der Schule kommt allerdings auch nicht viel, so dass die Motivation auch im Keller ist, was ich verstehen kann.
    In den letzten zwei Wochen ist er 5 cm gewachsen, die Stimme plötzlich richtig tief…ich versteh ja, dass da nicht so viel Platz für Schule ist. Aber dieses Rumgegammel und Daddeln stundenlang kann es aber doch auch nicht sein.
    Da fällt einem das Vertrauen und Zugucken doch echt schwer…normalerweise spielt er Fußball und Bariton und ist im Schützenverein und in der Feuerwehr. Da hätte ich auch Lagerkoller, aber wie kann man da helfen??? Alle Versuche werden mit missmutigem Türenknallen quittiert.
    Gerade ist er aufgestanden (halb 12) und hat sich mit Frühstück aufs Sofa vor den Fernseher gelegt…
    Ich geh jetzt einkaufen, er möchte Vertrauen, dann mach ich das. Trotzdem ist es schon sehr schwierig, das war bei den Geschwistern wirklich nicht so ausgeprägt.
    Am Samstag war sein Kumpel hier, und als ich den fragte, wie denn sein Homeschooling so läuft und der mir echt nett und gesprächig davon erzählte, kam vom Sohn ein „Sorry, dass tut mir echt leid“ zu seinem Kumpel…wahrscheinlich wäre sein Alptraum, dass die Mutter seines Kumpels ihn auch fragt?!
    Aber wahrscheinlich hat er das unterschwellig schon als übergriffig von mir empfunden, dabei ging es mir mehr darum zu erfahren, wie die Schule des Kumpels das so macht, weil ich die Art und Weise unserer Schule wirklich nicht gut finde…alle sollen ein Heft kaufen und da alles eintragen und das irgendwann mal abgeben, ist doch klar, dass man sich da nicht so Mühe gibt, als wenn es einmal die Woche eine Klassenvideokonferenz gibt bei der vieles durchgesprochen wird.
    Ich versuche fröhlich und im Gespräch zu bleiben…alles wird gut 🙂
    Liebe Grüße
    Christina

    • „normalerweise spielt er Fußball und Bariton und ist im Schützenverein und in der Feuerwehr“ – das lässt doch hoffen, liebe Christina. Und gleichzeitig kann ich verstehen, dass er unter Lagerkoller leidet. Bestimmt weiß er, dass er mehr tun müsste. Das ist ja der Hauptgrund für seinen Frust. Vielleicht kann man ihn digital besser mit Lernstoff erreichen (coole Links von den Geschwistern?) … und sonst bleibt nur: warten und an seiner Seite bleiben. Viel Kraft, Vertrauen und Geduld wünscht Uta

  • Hallo Uta,
    das ist tatsächlich auch genau das Thema, das mich mit meiner großen Tochter (12) am meisten beschäftigt. Dieser tägliche Spagat zwischen „Anschieben“, wenn ich das Gefühl habe, es geht in Sachen Schule oder sonstige Aufgaben (z. B. sich um ihre Rennmäuse kümmern) überhaupt nicht weiter und sich versuchen rauszuhalten und zu vertrauen.
    Ich finde das oft schwer auszuhalten. Manchmal bekomme ich es gut hin, ihr lediglich meine Hilfe anzubieten, ansonsten aber zu signalisieren, dass sie die Entscheidungen, die sie überblicken kann, auch selbst trifft. Oft kann ich sie aber auch nicht lassen und dann geraten wir ziemlich aneinander.
    Langfristig ist für ihre Entwicklung das Loslassen und Vertrauen sicher viel hilfreicher, das sage ich mir immer wieder – und dann kommt doch wieder eine Situation, in der ich eingreife, ihr reinrede und ihr letztlich das Gefühl gebe, dass das, was sie fühlt, denkt und entscheidet, nicht richtig ist, letztlich also, dass sie nicht richtig ist. Das ist echt schwer.
    Ich bleibe dran und werde mir die 7 Fragen als „Mantra“ ausdrucken und in Reichweite legen für die schwierigen Situationen.
    Herzlichen Dank und viele Grüße
    Beate

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    Uta


    Ich arbeite als Eltern-Coach, Buchautorin und Journalistin, bin Ehefrau und Mama (ein Sohn, eine Tochter) und kann es nicht lassen, dem Familien-Glück auf die Spur zu kommen. Ich forsche in Büchern, spreche mit Experten und teste alle Erkenntnisse in der Praxis. Nur was mich überzeugt, weil es das Leben mit Kindern wirklich erfüllender macht, schafft es auf diese Seite.

    Deine, Uta

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